Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Trier leidet, Trier weint
Nur langsam löst sich die Porta-Nigra-Stadt aus dem Schock der Amokfahrt
TRIER (dpa/AFP) - Mit einer bewegenden Trauerfeier hat Trier am Mittwoch der fünf Toten der Amokfahrt von Dienstag gedacht. „Trier trauert, Trier leidet, Trier resigniert aber nicht“, sagte Oberbürgermeister Wolfram Leibe (SPD) bei der Gedenkveranstaltung vor der Porta Nigra. Seit dem Zweiten Weltkrieg sei in der Stadt so etwas Schreckliches nicht mehr passiert. Leibe appellierte an die Teilnehmer der Veranstaltung, die derzeit in der Stadt zu spürende Solidarität für die kommenden Wochen und Monate aufrechtzuerhalten.
Gegen den dringend tatverdächtigen Mann wurde am Mittwoch Haftbefehl erlassen. Die Tat sei als mehrfacher Mord, Mordversuch und gefährliche Körperverletzung einzustufen, so die Staatsanwaltschaft. Der 51-jährige Deutsche soll am Dienstag betrunken einen PS-starken Sportgeländewagen gezielt in Menschen in der Fußgängerzone gesteuert haben. Fünf Menschen starben, darunter ein neun Wochen altes Baby und sein Vater. 18 Menschen wurden verletzt, darunter sind sechs Schwerverletzte. Die Ermittler gingen davon aus, dass der Amokfahrer ohne organisierten Hintergrund handelte.
Nach Einschätzung des rheinland-pfälzischen Innenministers Roger Lewentz (SPD) lässt sich eine solche Tat schwer verhindern. „Wenn das Auto zur Mordwaffe wird, dann ist es schwierig zu sagen als Staat, das können wir zu 100 Prozent unterbinden. Nein, das können wir nicht“, sagte der SPD-Politiker im Deutschlandfunk. „Wie wollen Sie etwas verhindern, wenn ein Mensch sich entscheidet, sich ins Auto zu setzen und gezielt Menschen anzugreifen.“
Der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg, sprach sich für zertifizierte Barrieren nach bundesweit einheitlichen, aktuellen technischen Sicherheitsstandards aus. Neben mobilen Pollern könnten auch städtebaulich verankerte Barrieren eine Option zum Schutz der Plätze sein, etwa versenkbare Sperren oder auch Bänke, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Eine komplette Sperrung etwa von Fußgängerzonen und Plätzen sei aber nicht möglich.
Der Kriminalpsychologe Jens Hoffmann sprach sich für ein Netzwerk aus Polizei sowie psychiatrischen und sozialen Einrichtungen zur Früherkennung möglicher Gefahren aus. „Falls jemand auffällig ist, haben lokale Teams das größte Potenzial, um gegenzusteuern“, sagte der Leiter des Instituts für Psychologie und Bedrohungsmanagement in Darmstadt. Im Raum Nürnberg gebe es bereits ein solches Netzwerk.
Der zur Tatzeit mit 1,4 Promille alkoholisierte Mann machte sowohl am Dienstag als auch am Mittwoch Angaben bei der Polizei. Diese seien aber wechselnd und in Teilen nicht nachvollziehbar. Es hätten sich weder ein nachvollziehbares Motiv für die Tat herleiten lassen noch Einzelheiten zum Tathergang, erklärte der leitende Oberstaatsanwalt Peter Fritzen. Anhaltspunkte für politische, religiöse oder ähnliche Motive hätten sich weder bei den Befragungen noch durch die weiteren Ermittlungen ergeben.
Die Vernehmung des Tatverdächtigen solle in den kommenden Tagen fortgesetzt werden, erklärte Fritzen. Einzelheiten sollten zunächst nicht mitgeteilt werden, um die weiteren Ermittlungen nicht zu beeinträchtigen.
Da der Verdächtige sowohl bei der Festnahme als auch im Polizeigewahrsam psychische Auffälligkeiten gezeigt habe, sei ein Gutachten zur Frage seiner Schuldfähigkeit in Auftrag gegeben worden. Momentan gebe es aber keine konkreten Anhaltspunkte für einen vollständigen Ausschluss der Schuldfähigkeit.
Lewentz zufolge wurde bisher kein Bekennerschreiben gefunden. Bei der Aufklärung komme es nun auf die Bereitschaft des Verdächtigen an, seine Motive offenzulegen.
Während der Gedenkminuten am Trierer Wahrzeichen Porta Nigra gedachten Hunderte Menschen der Opfer der Todesfahrt in der Mosel-Stadt. Zahlreiche Kerzen und Blumen an dem früheren römischen Stadttor erinnerten am Mittwoch an die Toten und Verletzten. Oberbürgermeister Wolfram Leibe (SPD) legte gemeinsam mit der rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) Kränze nieder. „Lassen Sie uns diese Solidarität, die ich hier gerade erlebe, aufrechterhalten für die nächsten Wochen und Monate“, sagte Leibe. „Wir brauchen uns, wir brauchen uns gegenseitig.“Die Menschen sollten einander ein Gefühl von Nähe und von Sicherheit geben.
„Wir trauern mit den Angehörigen der Toten, und wir beten für die Verletzten“, sagte Dreyer. „Ein Leben lang werden sie die Folgen tragen müssen dieser vier tödlichen Minuten.“Kein Wort könne das Leid der Betroffenen lindern, sagte die SPDPolitikerin, die selbst in Trier wohnt. „Nichts, wirklich gar nichts kann diese brutale und schreckliche Tat rechtfertigen.“An dem Gedenken nahm auch der Oppositionsführer in Mainz, Christian Baldauf (CDU), teil.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bekundete den Familien und Freunden der Opfer sein Mitgefühl. Er sprach von einer „entsetzlichen
Gewalttat“. Der Vorsitzende des Städtetages Rheinland-Pfalz, Michael Ebling, sagte, man blicke traurig und erschüttert nach Trier. „Die vollkommen sinnlose Tat eines Einzelnen zerstört in Sekunden und völlig unvorbereitet das Leben vieler Menschen, trifft das Herz einer ganzen Stadt“, sagte Ebling, der auch Mainzer Oberbürgermeister ist.
Der Weiße Ring forderte, den Blick auch auf die Opfer und ihre Angehörigen zu richten. „Im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses sollten nie der Täter und seine möglichen Motive stehen, sondern die Menschen, die durch seine Tat Leid erfahren mussten“, sagte der Landesvorsitzende der Opferschutzorganisation, Werner Keggenhoff.
Zu den Todesopfern zählen neben dem Baby und dem 45-jährigen Vater drei Frauen im Alter von 25, 52 und 73 Jahren. Die Mutter des Babys hat überlebt und liegt den Behörden zufolge ebenso im Krankenhaus wie ihr eineinhalb Jahre alter Sohn. Der Verdächtige war der Polizei zufolge vier Minuten nach der Alarmierung festgenommen worden.
Oberbürgermeister Leibe kündigte an, dass Trier an diesem Donnerstag um 13.46 Uhr noch einmal an alle Opfer erinnern wolle. Dann sollen auch die Kirchenglocken läuten. 13.46 Uhr war der Zeitpunkt, an dem am Dienstag die Amokfahrt im historischen Stadtzentrum begann.