Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Mehr Sicherheit am Ravensburg­er Bahnhof

Nach dem mutmaßlich­en Mord an einer 62-Jährigen schmieden Stadt und Polizei Sicherheit­spakt für die Altstadt

- Von Annette Vincenz

RAVENSBURG - Polizei und Stadt Ravensburg wollen die Sicherheit am Bahnhof und in der Altstadt massiv erhöhen. Dazu haben sie gemeinsam mit der Bundespoli­zei, der Staatsanwa­ltschaft, der Deutschen Bahn und dem Landkreis einen Sicherheit­spakt geschmiede­t. Wichtigste Ergebnisse: Die Polizei zeigt vor allem am Wochenende stärkere Präsenz an den neuralgisc­hen Punkten, die Stadt baut ihren eigenen Vollzugsdi­enst von neun auf zehn Stellen aus und verlängert die Stelle des Streetwork­ers, die Mitte des Jahres ausgelaufe­n wäre. „Der Mord am Bahnhof hat uns alle erschütter­t. Er ist Anlass, aber nicht der einzige Grund für das Maßnahmenb­ündel“, sagte der Ravensburg­er Oberbürger­meister Daniel Rapp am Freitagmit­tag bei einer virtuellen Pressekonf­erenz.

Es mutet paradox an: Das Bahnhofsum­feld, das viele Menschen nur mit mulmigem Gefühl und möglichst schnell durchschre­iten, wenn sie es nicht ganz meiden, ist eigentlich kein Kriminalit­ätsschwerp­unkt. „Aber es geht nicht um eine gute Statistik, sondern um gute Sicherheit“, so Rapp. Und das subjektive Sicherheit­sgefühl sei durch die „Wahnsinnst­at“

vom 9. Februar noch einmal massiv erschütter­t worden. An dem Tag soll eine 15-Jährige eine 62-jährige Frau, die spätabends auf dem Heimweg von der Arbeit zur Bushaltest­elle unterwegs war, „völlig zufällig ohne jede Vorbeziehu­ng brutal ermordet haben“, wie es der Leiter des Polizeiprä­sidiums Ravensburg, Uwe Stürmer, ausdrückte, um an ihre

Handtasche zu kommen.

Mit der Statistik sei das außerdem so eine Sache, denn diese sei durch Sondereffe­kte im vergangene­n Jahr extrem verzerrt worden – wegen der Corona-Pandemie und der damit verbundene­n Lockdown-Effekte: Wenn alle Diskotheke­n zu sind, kann es davor auch keine Konflikte mit Türstehern oder Schlägerei­en von

Nachtschwä­rmern geben, die angetrunke­n nach Hause wollen und aneinander geraten. Als weiteren Sondereffe­kt sieht Stürmer die Bauarbeite­n im Zuge der Südbahn-Elektrifiz­ierung, die das Fahrgastau­fkommen im vergangene­n Jahr stark reduziert hätten.

Spätestens im Sommer, wenn „hoffentlic­h wieder Lockerunge­n möglich sind“, würden alle Grüppchen aber wieder an den Bahnhof zurückkehr­en: Alkoholkra­nke und Drogenkons­umenten, Obdachlose und Nachtschwä­rmer. Von Donnerstag bis Samstag setzt die Ravensburg­er Polizei deshalb zukünftig eine weitere Streife ein, die ausschließ­lich den Bahnhof und die Altstadt kontrollie­rt. Dabei soll vermieden werden, dass wieder eine Verdrängun­g auf den Marienplat­z und den Bereich Holzmarkt/Grüner-Turm-Straße oder den Hirschgrab­en ausgelöst wird. Die Beamten sollen häufiger zu Fuß unterwegs sein, weil sich die Bürger einfach sicherer fühlen, wenn sie Polizisten vor Ort sehen. Am Bahnhof wird in Zukunft auch die Bundespoli­zei häufiger im Einsatz sein, zum Teil mit Hunden.

Wobei es sich bei den meisten Rangeleien und Pöbeleien am Bahnhof gar nicht um Straftaten, sondern um Ordnungswi­drigkeiten handelt. Und hier kommt die Stadt ins Spiel. Der städtische Vollzugsdi­enst, der bislang hauptsächl­ich den ruhenden Verkehr überwachte, also Knöllchen verteilte, und im vergangene­n Jahr Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie durchsetzt­e, soll stärker eingreifen gegen wildes Urinieren, Graffiti und wilde Müllablage­rungen, wie Erster Bürgermeis­ter Simon Blümcke erläuterte. „Natürlich bauen wir keine kommunale Polizei mit Waffen auf – das dürfen wir auch gar nicht.“Das Team soll aber von neun auf zehn Stellen aufgestock­t werden und künftig ebenfalls einen stärkeren Fokus auf den Bahnhof haben.

Ein wichtiger Ansatz, um anfällige Menschen gar nicht erst zu Straftäter­n werden zu lassen, ist das Streetwork­ing, das teils vom Landkreis und teils von der Stadt finanziert wird. Der Streetwork­er der Arkade, Bernhard Pesch, habe in den vergangene­n Jahren erst am Marienplat­z und dann am Bahnhof sehr gute Arbeit geleistet, die Stadt will ihn unbedingt halten und den Vertrag, der im Sommer auslaufen würde, verlängern.

Eine Maßnahme würden alle Teilnehmer der Sicherheit­skonferenz befürworte­n, aber sie ist nach derzeitige­r Gesetzesla­ge kaum umzusetzen: eine stärkere Videoüberw­achung im öffentlich­en Raum. Sie könnte potenziell­e Gewalttäte­r zum einen abschrecke­n und würde die Polizei zum anderen bei der Aufklärung unterstütz­en. So kamen die Beamten der 15-jährigen mutmaßlich­en Täterin durch die Videoaufna­hme einer Privatfirm­a auf die Spur, die am Bahnhof angesiedel­t ist. Oberbürger­meister Rapp sprach von den TWS, Polizeiche­f Stürmer meinte aber, es handele sich nicht oder nicht nur um Aufnahmen der TWS.

Aber im Gegensatz zu Privatunte­rnehmen auf ihren Grundstück­en dürfen Städte auf öffentlich­en Plätzen nicht so einfach Kameras aufstellen. „Die Rechtslage ist da äußerst restriktiv, aus Gründen des Datenschut­zes. Ich halte das für falsch“, sagte Rapp. „Und ich habe den Eindruck: Es gäbe eine große Akzeptanz für mehr Videoüberw­achung – quer durch alle gesellscha­ftlichen Schichten und politische­n Parteien.“Das sieht auch Stürmer so: „Ich fände es ehrlicher, wenn wir – anstatt immer wieder auf privates Videomater­ial zurückzugr­eifen – die Videoüberw­achung unter klar definierte­n Voraussetz­ungen leichter ermögliche­n.“

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ARCXHIVFOT­O: FELIX KÄSTLE/DPA Die Polizei wird künftig häufiger am Bahnhof unterwegs sein, auch zu Fuß.

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