Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Impftermine bleiben am Bodensee rar gesät
Landrat Lothar Wölfle appelliert an Sozialminister – Sozialministerium erklärt Probleme
FRIEDRICHSHAFEN - Es gibt Impfstoff gegen das Coronavirus, einen Impftermin jedoch zu bekommen ist nicht einfach. Viele Menschen beschweren sich beim Landkreis und fragen sich, warum Menschen über 80 statt im Bodenseekreis ein Termin in Tübingen oder Ulm angeboten wird. Landrat Lothar Wölfle weist die Kritik von sich und das zuständige Sozialministerium erklärt die derzeitige Vorgehensweise, sieht die Probleme jedoch in der zu geringen Verfügbarkeit von Impfstoff, die sich erst Mitte des zweiten Quartals ändern soll.
Detlef Boehnert hat sich direkt an Landrat Lothar Wölfle gewandt. Er betreut zwei 80-jährige Personen, die beide gehörlos sind. Für diese wollte er einen Termin organisieren. „Sechs Wochen lang versuchte ich im Internet, einen Termin zu bekommen, erst nach einem Telefonat unter der Rufnummer 116 117 wurden die beiden Personen auf eine Warteliste gesetzt. Der Mitarbeiter, mit dem ich gesprochen habe, saß irgendwo in Hessen“, schreibt Boehnert in einem Brief, der auch der Redaktion vorliegt. Zwischenzeitig sei auch im Internet für die beiden 80Jährigen ein Termin in Tübingen angeboten worden. Warum das nicht am Bodensee sein könne, fragt er. Von Landrat Lothar Wölfle hat Detlef
Boehnert umgehend Antwort erhalten: „Der Bodenseekreis betreibt das Kreisimpfzentrum (KIZ) nach den Vorgaben des baden-württembergischen Sozialministeriums. Alle Abläufe richten sich nach diesen Vorgaben, einschließlich der Terminvergaben. Baden-Württemberg hat sich dafür entschieden, die Terminvergabe über die Rufnummer 116 117 oder über die Internetseite www.impfterminservice.de vorzunehmen. Der Landkreis hat auf diese einheitliche Vorgabe keinen Einfluss.“Diese Telefonnummer wird dezentral von Callcentern in ganz Deutschland betrieben, es kann also durchaus sein, dass ein Ansprechpartner in Hessen sitzt.
Auch das Sozialministerium gibt auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“auf die Probleme der Impfterminvergabe eine Antwort. „Unser Hauptproblem zurzeit ist, dass der Bund uns noch wenig Impfstoff zur Verfügung stellt, der für Menschen über 65 zugelassen ist – da gibt es zurzeit einen eklatanten Mangel“, sagt ein Sprecher des Ministeriums und erklärt es mit einem Zahlenbeispiel: Es leben im Land 720 000 Menschen über 80 Jahre, die alle zurzeit impfberechtigt sind und nur mit den raren Impfstoffen von Biontech/Pfizer und Moderna geimpft werden können. Und derzeit können davon täglich in Baden-Württemberg nur rund 7000 Menschen mit der Erstimpfung versorgt werden. Für die Impfberechtigten von 18 bis einschließlich 64 ändert sich das langsam, vom für sie zugelassenen Impfstoff Astra Zeneca gibt es bis Mitte März rund 460 000 Impfdosen.
„Aber auch hier können wir diese und nächste Woche zusammen jedem einzelnen Kreisimpfzentrum 3300 Impfdosen zur Verfügung stellen – auch diese Mengen sind zu klein, um hier schon nach Bevölkerungszahl weiter aufzuteilen“, heißt es im Ministerium.
Lothar Wölfle nennt das Verfahren ein „Vergabechaos bei den Impfterminen“und das ärgere ihn nachhaltig. „In allen Stadt- und Landkreisen haben meine Kolleginnen und Kollegen die gleichen Erfahrungen gemacht. Der Präsident des badenwürttembergischen Landkreistages hat deshalb im Namen aller Landrätinnen und Landräte Sozialminister Manne Lucha mehrfach aufgefordert, die Angelegenheit endlich zur Chefsache zu machen und für eine Verbesserung der Situation zu sorgen.“Landrat Lothar Wölfle spricht auch das sogenannte „Recall-System“an, die Warteliste. Die habe die Hoffnung gegeben, dass dadurch die Situation verbessert werde. Das Gegenteil aber sei der Fall.
Das Ministerium erklärt dieses System ausführlich. Der Sprecher des Ministers sagt dazu: „Die Warteliste für Menschen über 80 Jahre wurde Anfang Februar eingeführt und wird durch das Callcenter im Auftrag des Landes geführt und abgearbeitet. Stand heute befinden sich etwas mehr als 97 000 Personen auf der Warteliste, mehr als 21 000 Personen haben einen Termin über die Liste erhalten.“Man könne sich nur telefonisch über die Nummer 116 117 auf die Warteliste setzen lassen. Wer sich telefonisch auf die Warteliste setzen lässt, wird, sobald ein Termin frei ist, entweder telefonisch oder per Mail informiert, wenn eine Mailadresse angegeben wurde. Eine Person wird bis zu viermal zurückgerufen, bevor der Termin an die nächste Person auf der Liste vergeben wird.
Generell sei es sehr schwierig, eine Gewichtung der „Hotline-Website-Warteliste“vorzunehmen, da dies auch von den Terminen abhänge, die vor Ort im jeweiligen Impfzentrum eingestellt werden. Ziel sei in jedem Fall, dass alle Wege der Terminvergabe in etwa gleichermaßen bedient werden. Soll heißen: „Niemand wird benachteiligt, weil er sich auf die Liste hat setzen lassen. Niemand muss befürchten, dass alle Termine über Internet und Hotline bereits weggeschnappt werden und am Ende keiner mehr über die Liste zum Zug kommt“, so ist aus Stuttgart zu hören. Die Warteliste werde nach dem Prinzip „wer zuerst kommt, mahlt zuerst“durch das Callcenter abgearbeitet.
„Bisher ist der Impfstoff noch knapp, das wird sich erst im Verlauf des zweiten Quartals ändern. Wenn mehr Impfstoff zur Verfügung steht, wird auch eine Verimpfung über die Regelversorgung, also bei Hausärztinnen und Hausärzten, möglich sein. Um das flächendeckend zu erreichen, sind jedoch auch deutlich größere Mengen – rund zwei bis drei Millionen wöchentlich für Deutschland – notwendig“, sagt der Sprecher des Sozialministeriums in Stuttgart.
Das Prinzip der Warteliste
„Wer zuerst kommt, mahlt zuerst.“