Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Im Deutschlandtakt nach Stuttgart
Bund will Gäubahn mit 2,1 Milliarden Euro ausbauen – Gutachten weist Wirtschaftlichkeit nach
TUTTLINGEN - Die Region Schwarzwald-Baar-Heuberg soll an den künftigen Deutschlandtakt der Bahn angeschlossen werden: Für den dazu notwendigen Ausbau der Gäubahn zwischen Singen und Stuttgart mit zweigleisigen Abschnitten und einem elf Kilometer langen Tunnel zur neuen Anbindung an den Flughafen Stuttgart stellt die Bundesregierung 2,1 Milliarden Euro bereit. Ein Gutachten zur Wirtschaftlichkeit weise positive Effekte nach, sagte Verkehrsstaatssekretär Steffen Bilger (CDU) am Donnerstag in Berlin. Über Planungszeit oder gar einen Baubeginn konnte Bilger noch keine Angaben machen. In der Region begrüßen Politiker die Ankündigung und fordern die rasche Umsetzung.
Seit über 25 Jahren wird über den Ausbau der Gäubahn gesprochen, passiert ist bisher nichts. Die Züge quälen sich auf der eingleisigen Strecke durchs enge Neckartal. Von Tuttlingen sind sie fast zwei Stunden bis in die Landeshauptstadt unterwegs. Das soll sich ändern, Ziel ist eine um 20 Minuten kürzere Fahrzeit. Bilger verspricht: „Das erreichen wir durch den leistungsstarken Ausbau der Gäubahn. Die Wirtschaftlichkeit ist nun nachgewiesen. Damit sind die Weichen für den Deutschlandtakt und einen optimal vernetzten Bahnverkehr in der Region gestellt.“Der Bundesverkehrswegeplan sichere die Finanzierung.
Die Ausbaupläne sehen den zweigleisigen Neubau des elf Kilometer langen und 976 Millionen Euro teuren „Gäubahntunnels“zwischen Stuttgart-Flughafen und BöblingenGoldberg ebenso vor wie den teilweisen Ausbau der Strecke zwischen Herrenberg und Eutingen sowie zwischen Neckarhausen und Sulz, damit die Züge dort mit einer Geschwindigkeit von 160 Kilometern pro Stunde fahren können. Zwischen Sulz und Epfendorf und zwischen Rietheim und Tuttlingen wird ein zweites Gleis verlegt, der Neubau der „Singener Kurve“ist ebenso enthalten. Der bisher vorgesehene und in der Planung weit fortgeschrittene Ausbauabschnitt zwischen Horb und Neckarhausen sei ebenfalls Bestandteil des neuen Konzepts. Der Baubeginn dort ist weiterhin 2021 geplant.
Zwei Wermutstropfen beinhalten die Pläne: Um Zeit zu sparen, halten die IC-Züge nicht mehr in Böblingen, auch fahren sie am Singener Hauptbahnhof vorbei und stoppen nur noch an der abseits vom Zentrum gelegenen Station Singen-Landesgartenschau.
Anders sei der Deutschlandtakt nicht zu halten, sagt Bilger. Mit diesem sollen Züge bis 2030 deutschlandweit besser aufeinander abgestimmt werden.
„Nicht sinnvoll“, bewertet Stefan Buhl vom Fahrgastverband Pro Bahn im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“diese Pläne: „Dass Fernverkehrszüge an Großstädten wie Böblingen mit dynamischem Wachstum vorbeifahren, ist nicht nachzuvollziehen, auch bietet der Haltepunkt Landesgartenschau keine Aufenthaltsqualität für Fahrgäste, die nach Singen Hauptbahnhof fahren wollen.“Landesverkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) schließt sich der Kritik an: „Aus meiner Sicht geht es nicht, so viel Geld auszugeben und – wie im Gutachten vorgesehen – die beiden großen Städte Böblingen und Singen zu umfahren.“
Die Ausbau-Details begrüßt Hermann zwar, mahnt aber: „Dabei darf es nicht zu Verzögerungen bei der Anbindung der Gäubahn an den Knoten Stuttgart und an den Flughafen kommen. Nach dem neuen Vorschlag aus dem Bundesministerium für Verkehr und Digitale Infrastruktur muss daher nun sehr schnell die Machbarkeit geklärt werden. Die Finanzierung wird ja vom Bund kommen müssen.“Diese Zusage gibt Bilger, denn das Bundesverkehrsministerium
will jetzt mit der Deutschen Bahn die finanzielle Abgrenzung zum Projekt Stuttgart 21 klären. Ziel sei es, die Planungen des neuen Konzepts so schnell wie möglich zu beginnen. Für den Gäubahntunnel rechnet der Staatssekretär mit einer Bauzeit von wenigen Jahren. Zur Planungszeit könne er keine Angaben machen.
Die an der Strecke liegenden Städte Tuttlingen, Spaichingen und Rottweil würden sowohl von kürzeren Fahrzeiten, der Einbindung an den Deutschlandtakt wie auch vom Anschluss an den Flughafen massiv profitieren: „Wenn alles so kommt, wie der Staatssekretär es ankündigt, dann freue ich mich“, sagt der Oberbürgermeister der Stadt Tuttlingen, Michael Beck, „dann wäre das nach langen Jahren des Stillstands der Durchbruch.“Die Unternehmen in der Donaustadt seien auf leistungsfähige Bahnverbindungen angewiesen.
Doch in den Firmen herrscht Zurückhaltung: Immer wieder hatte die Bahn versprochen, die Gäubahn auszubauen, sodass die „Schwäbische Zeitung“im Jahr 2013 optimistisch schrieb: „Bahnchef Grube hält Stundentakt auf Gäubahn schon 2016 für möglich“. Gebaut wurde bisher nicht.
Ein besonderes Ärgernis sind oft lange Umsteigezeiten, die Reisende in Stuttgart einrechnen müssen. Das soll sich mit dem Deutschlandtakt ändern. Umsteige- und Reisezeiten sollen erheblich sinken. Für den Deutschlandtakt soll das Schienennetz so ausgebaut werden, dass die Züge des Nah- und Fernverkehrs zu einer bestimmten Zeit an den Knotenbahnhöfen ankommen und optionalen Anschluss untereinander haben. Vorbild ist die Schweiz, wo seit Jahrzehnten ein Taktfahrplan gilt. Ziel ist das Jahr 2030. Die Bahn will den Halbstundentakt auf weitere große Städte ausbauen.
Daher sagt Guido Wolf (CDU), Landtagsabgeordneter aus Tuttlingen und Justizminister: „Was aus meiner Sicht auf keinen Fall passieren darf, ist, dass eine DeutschlandTakt-Anbindung für die Gäubahn scheitert.“Aus Wolfs Sicht bietet die Wirtschaftlichkeitsberechnung große Chancen: „Die bisherige Problematik auf den Fildern könnte gelöst werden, die Fahrzeitersparnis von 20 Minuten wäre ein Quantensprung und die in Aussicht gestellten Investitionen in Höhe von 2,1 Milliarden Euro würden neue Möglichkeiten eröffnen.“Seinen grünen Koalitionspartner Winfried Hermann, der sich bisher skeptisch gezeigt hatte, mahnt er: „Diese Pläne des Bundes nun vorschnell reflexhaft abzulehnen, wäre daher ein großer Fehler.“