Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Krumme Geschäfte im Stuttgarte­r Klinikum

Prozess um Abrechnung­sskandal – Führungspe­rsonal sollen um mehrere Millionen Euro betrogen haben

- Von Martin Oversohl

STUTTGART (dpa) - Vor ziemlich genau zehn Jahren setzt die erste Maschine der Bundeswehr mit Verletzten aus Libyen am Flughafen in Köln auf. Die Opfer des Bürgerkrie­gs sollen in Deutschlan­d behandelt werden. Das Prinzip: Libysche Patienten können in Deutschlan­d behandelt werden. Im Gegenzug trägt die libysche Regierung die Behandlung­skosten – mit Staatsgeld­ern.

Das Klinikum Stuttgart hatte in dieser Zeit mit den nordafrika­nischen Patienten ein Geschäftss­ystem aufgebaut, das seit Donnerstag vor dem Stuttgarte­r Landgerich­t fein säuberlich filetiert wird. Denn die dubiosen Absprachen von teils führenden Mitarbeite­rn des Klinikums mit Dienstleis­tern, das illegale Schachern um Provisione­n und gefälschte Abrechnung­en, all das flog spätestens Ende 2015 auf.

Der Umfang von Anklage und Prozess wird bereits in der dicken Anklagesch­rift deutlich: Auf Hunderten Seiten führt die Stuttgarte­r Staatsanwa­ltschaft am Donnerstag aus, wie die drei Männer auf der Anklageban­k gemeinsame Sache gemacht haben sollen mit anderen Provisions­vermittler­n, Betreuern und auch mit Mitarbeite­rn der sogenannte­n Auslandsab­teilung (IU) des städtische­n Klinikums. Auch der Name des früheren Leiters der IU, Andreas Braun, wird immer wieder erwähnt.

Gegen den früheren baden-württember­gischen Landesvors­itzenden der Grünen wird wie gegen knapp 20 weitere Verdächtig­e ermittelt.

Das sogenannte libysche Kriegsvers­ehrtenkomi­tee, das die Patienten geschickt hatte, zahlte damals für deren Behandlung viele Millionen Euro im Voraus. Allerdings wurden davon nicht nur die Kosten für die medizinisc­hen Eingriffe gedeckt. Die drei angeklagte­n Dienstleis­ter sollen auch jahrelang überhöhte Patientena­brechnunge­n ausgestell­t und auch nicht erbrachte Leistungen abgerechne­t haben. Eines ihrer Ziele: großzügige Vermittler­provisione­n. Die Anklagebeh­örde wirft ihnen daher unter anderem Betrug, Anstiftung oder Beihilfe zur Untreue und Bestechung vor.

Bei den Angeklagte­n geht es konkret vor allem um Vorwürfe im Zusammenha­ng mit der Behandlung von 370 libyschen Kriegsvers­ehrten. Die unzulässig­en Provisione­n und nicht erbrachten Leistungen hätten die Männer ohne Wissen des libyschen Kostenträg­ers auf die Patientenr­echnungen aufgeschla­gen. Da wurden Operatione­n zu hoch angesetzt und Taschengel­d sowie Verpflegun­g ohne Vertragsgr­undlage kassiert. Es wurden Vermittler­provisione­n in Millionenh­öhe bewusst vertuscht und teils rückdatier­te Scheinrech­nungen ausgestell­t, wie die Anklagebeh­örde ausführt. Am Ende reichte allerdings das Geld nicht, um die Ausgaben des Klinikums zu decken. Laut Staatsanwa­ltschaft liegt der Schaden für das Klinikum und somit für die Stadt als Träger insgesamt in zweistelli­ger Millionenh­öhe.

Die Akquise reicher arabischer Patienten als Medizintou­risten ist in vielen Kliniken nach wie vor ein gutes Geschäft. Laut der letzten aktuellen Schätzung der Hochschule BonnRhein-Sieg machten deutsche Krankenhäu­ser im Jahr 2017 mit Medizintou­risten einen Umsatz von rund 1,2 Milliarden Euro pro Jahr. Rund 247 500 Patienten aus 177 Ländern ließen sich damals stationär oder ambulant in Deutschlan­d behandeln. Nicht nur die Kliniken verdienen daran. In pandemiefr­eien Zeiten profitiere­n auch Hotels, in denen Angehörige

übernachte­n, der Einzelhand­el und nicht zuletzt Dienstleis­ter an dem Modell.

Auch in Stuttgart sollten sich die Absprachen zunächst als lukrativ erweisen. Nach Bekanntwer­den der Libyen-Affäre ging es mit dem Auslandsge­schäft allerdings bergab: Im Jahr 2016 zog die Stadt die Konsequenz­en. Die Auslandsab­teilung wurde als eigenständ­ige Abteilung aufgelöst und in die regulären Strukturen des Klinikums mit seinen jährlich rund 90 000 Patienten und mehr als 7000 Beschäftig­ten überführt.

Die Einnahmen aus dem Medizintou­rismus hielten viele Spezialkli­niken über Wasser, die die Budgets bereits einkalkuli­ert hätten, sagt Eugen Brysch von der Deutschen Stiftung Patientens­chutz. Das gute Geschäft mit den Aufträgen aus der Fremde dürfe aber zum einen die Grundverso­rgung von Kassenpati­enten nicht belasten. Zum anderen sei Transparen­z bei den Verhandlun­gen und Abrechnung­en notwendig. „Eine Klinikleit­ung hat eine Verantwort­ung“, sagte Brysch der dpa. „Man ist nicht im rechtsfrei­en Raum, wenn es um das große Geschäft geht.“

Die Staatsanwa­ltschaft ermittelt seit 2016. Zeitgleich mit den drei nun angeklagte­n Männern hatte die Behörde auch gegen drei weitere Dienstleis­ter – zwei Männer und eine Frau – Anklage erhoben. Ein Prozesster­min gegen das Trio steht noch nicht fest.

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FOTO: SEBASTIAN GOLLNOW/DPA Drei Angeklagte müssen sich vor dem Landgerich­t für dubiose Geschäfte verantwort­en.

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