Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Krumme Geschäfte im Stuttgarter Klinikum
Prozess um Abrechnungsskandal – Führungspersonal sollen um mehrere Millionen Euro betrogen haben
STUTTGART (dpa) - Vor ziemlich genau zehn Jahren setzt die erste Maschine der Bundeswehr mit Verletzten aus Libyen am Flughafen in Köln auf. Die Opfer des Bürgerkriegs sollen in Deutschland behandelt werden. Das Prinzip: Libysche Patienten können in Deutschland behandelt werden. Im Gegenzug trägt die libysche Regierung die Behandlungskosten – mit Staatsgeldern.
Das Klinikum Stuttgart hatte in dieser Zeit mit den nordafrikanischen Patienten ein Geschäftssystem aufgebaut, das seit Donnerstag vor dem Stuttgarter Landgericht fein säuberlich filetiert wird. Denn die dubiosen Absprachen von teils führenden Mitarbeitern des Klinikums mit Dienstleistern, das illegale Schachern um Provisionen und gefälschte Abrechnungen, all das flog spätestens Ende 2015 auf.
Der Umfang von Anklage und Prozess wird bereits in der dicken Anklageschrift deutlich: Auf Hunderten Seiten führt die Stuttgarter Staatsanwaltschaft am Donnerstag aus, wie die drei Männer auf der Anklagebank gemeinsame Sache gemacht haben sollen mit anderen Provisionsvermittlern, Betreuern und auch mit Mitarbeitern der sogenannten Auslandsabteilung (IU) des städtischen Klinikums. Auch der Name des früheren Leiters der IU, Andreas Braun, wird immer wieder erwähnt.
Gegen den früheren baden-württembergischen Landesvorsitzenden der Grünen wird wie gegen knapp 20 weitere Verdächtige ermittelt.
Das sogenannte libysche Kriegsversehrtenkomitee, das die Patienten geschickt hatte, zahlte damals für deren Behandlung viele Millionen Euro im Voraus. Allerdings wurden davon nicht nur die Kosten für die medizinischen Eingriffe gedeckt. Die drei angeklagten Dienstleister sollen auch jahrelang überhöhte Patientenabrechnungen ausgestellt und auch nicht erbrachte Leistungen abgerechnet haben. Eines ihrer Ziele: großzügige Vermittlerprovisionen. Die Anklagebehörde wirft ihnen daher unter anderem Betrug, Anstiftung oder Beihilfe zur Untreue und Bestechung vor.
Bei den Angeklagten geht es konkret vor allem um Vorwürfe im Zusammenhang mit der Behandlung von 370 libyschen Kriegsversehrten. Die unzulässigen Provisionen und nicht erbrachten Leistungen hätten die Männer ohne Wissen des libyschen Kostenträgers auf die Patientenrechnungen aufgeschlagen. Da wurden Operationen zu hoch angesetzt und Taschengeld sowie Verpflegung ohne Vertragsgrundlage kassiert. Es wurden Vermittlerprovisionen in Millionenhöhe bewusst vertuscht und teils rückdatierte Scheinrechnungen ausgestellt, wie die Anklagebehörde ausführt. Am Ende reichte allerdings das Geld nicht, um die Ausgaben des Klinikums zu decken. Laut Staatsanwaltschaft liegt der Schaden für das Klinikum und somit für die Stadt als Träger insgesamt in zweistelliger Millionenhöhe.
Die Akquise reicher arabischer Patienten als Medizintouristen ist in vielen Kliniken nach wie vor ein gutes Geschäft. Laut der letzten aktuellen Schätzung der Hochschule BonnRhein-Sieg machten deutsche Krankenhäuser im Jahr 2017 mit Medizintouristen einen Umsatz von rund 1,2 Milliarden Euro pro Jahr. Rund 247 500 Patienten aus 177 Ländern ließen sich damals stationär oder ambulant in Deutschland behandeln. Nicht nur die Kliniken verdienen daran. In pandemiefreien Zeiten profitieren auch Hotels, in denen Angehörige
übernachten, der Einzelhandel und nicht zuletzt Dienstleister an dem Modell.
Auch in Stuttgart sollten sich die Absprachen zunächst als lukrativ erweisen. Nach Bekanntwerden der Libyen-Affäre ging es mit dem Auslandsgeschäft allerdings bergab: Im Jahr 2016 zog die Stadt die Konsequenzen. Die Auslandsabteilung wurde als eigenständige Abteilung aufgelöst und in die regulären Strukturen des Klinikums mit seinen jährlich rund 90 000 Patienten und mehr als 7000 Beschäftigten überführt.
Die Einnahmen aus dem Medizintourismus hielten viele Spezialkliniken über Wasser, die die Budgets bereits einkalkuliert hätten, sagt Eugen Brysch von der Deutschen Stiftung Patientenschutz. Das gute Geschäft mit den Aufträgen aus der Fremde dürfe aber zum einen die Grundversorgung von Kassenpatienten nicht belasten. Zum anderen sei Transparenz bei den Verhandlungen und Abrechnungen notwendig. „Eine Klinikleitung hat eine Verantwortung“, sagte Brysch der dpa. „Man ist nicht im rechtsfreien Raum, wenn es um das große Geschäft geht.“
Die Staatsanwaltschaft ermittelt seit 2016. Zeitgleich mit den drei nun angeklagten Männern hatte die Behörde auch gegen drei weitere Dienstleister – zwei Männer und eine Frau – Anklage erhoben. Ein Prozesstermin gegen das Trio steht noch nicht fest.