Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Eine Nummer von der Wiege bis zur Bahre
Bundesrat stimmt über die Bürger-ID ab – Opposition und Datenschutz dagegen
BERLIN – Eine elfstellige Nummer als Lebensbegleiter – es mag schönere Vorstellungen als diese geben. Aber aus Sicht der Verwaltungen und Behörden in Deutschland wäre eine solche Nummer natürlich höchst willkommen. Der Bundestag hat Ende Januar das Registermodernisierungsgesetz beschlossen und so den Weg dafür frei gemacht, dass die bisherige Steueridentifikationsnummer als sehr viel umfassendere Bürger-ID genutzt werden kann. Doch Oppositionsparteien und der Datenschutz äußern Bedenken. Heute entscheidet der Bundesrat darüber. Im Folgenden die Details zu diesem Vorhaben.
Wie soll die Bürger-Identifikationsnummer funktionieren?
Im Jahr 2007 wurde in Deutschland eine elfstellige Steueridentifikationsnummer eingeführt, die seither jedem Bürger von Geburt an zugeteilt wird. Einwanderer erhalten sie bei der Anmeldung in Deutschland. Diese Nummer soll künftig nicht mehr nur den von den Finanzämtern genutzt werden können, sondern rund 50 Behörden und Verwaltungen sollen Zugriff darauf haben – beispielsweise das Melderegister, Führerscheinregister, die Rentenversicherung und die Krankenkassen. Wenn der Bürger zustimmt, können die Behörden seine Daten bei einer neu geschaffenen Registermodernisierungsbehörde abrufen. Die Bürger können in einem sogenannten Datencockpit im Internet nachprüfen, welche Behörden welche Daten zu welchem Zweck ausgetauscht haben.
Welche Vorteile soll die BürgerID bringen?
Mit der Bürger-ID soll die Digitalisierung in der Verwaltung vorangetrieben werden. Bereits im Jahr 2017 hatte der Bund das Onlinezugangsgesetz beschlossen, das Bund, Länder und Kommunen verpflichtet, „bis spätestens 2022 ihre Verwaltungsleistungen über Verwaltungsportale auch digital anzubieten“. Die Bürger-ID ist ein weiterer Schritt auf diesem Weg. Die Bundesregierung verspricht sich mehr Effizienz in den Verwaltungen, weil die Behörden Zeit sparen durch den Zugriff auf bereits vorhandene Daten. Auch die Bürger sollen es einfacher haben, wenn sie Behördengänge elektronisch erledigen können und nicht jedes Mal ihre Basisdaten wie Name, Geschlecht und Geburtsdatum angeben müssen. Ein weiterer Vorteil besteht laut Befürwortern darin, dass Verwechslungen wegen Namensänderungen oder falsch geschriebener Namen verhindert werden könnten.
Warum kritisiert die Opposition die Bürger-ID?
Die FDP hält die geplante Einführung der Bürger-ID für unvereinbar mit dem Grundgesetz und verweist auf das sogenannte Volkszählungsurteil von 1983, mit dem das Bundesverfassungsgericht das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung etabliert hat. Die Karlsruher Richter hätten damit „einer umfassenden Registrierung
und Katalogisierung der Persönlichkeit durch die Zusammenführung einzelner Lebens- und Personaldaten zur Erstellung von Persönlichkeitsprofilen der Bürger eine Absage erteilt“, so der FDP-Abgeordnete Benjamin Strasser. Wenn das Bundesverfassungsgericht das Gesetz kassiere, „dann hat die Bundesregierung mit der vermeintlich schnellen Bürger-ID-Lösung die Verwaltungsmodernisierung sogar noch ausgebremst,“teilt er mit. Auch die Grünen-Abgeordnete Margit Stumpp für den Wahlkreis Aalen-Heidenheim befürchtet, dass mit dem neuen Gesetz der Digitalisierung in den Verwaltungen ein Bärendienst erwiesen wird. Denn wenn die Bürger-ID vor dem Bundesverfassungsgericht scheitere, sei auch das Onlinezugangsgesetz in Gefahr. „Das wäre für das Vorankommen im Bereich E-Government verheerend“, schreibt Stumpp.
Und was sagt der Datenschutz?
Auch der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, Ulrich Kelber, hält die „Verwendung der Steuer-ID als einheitliches Personenkennzeichen“für verfassungswidrig. Es sei kein ausreichender Schutz vor Missbrauch des Systems geplant, kritisiert er. „Bei unbefugtem Zugriff von außen könnte es so beispielsweise viel einfacher zu Identitätsdiebstahl und zur Veröffentlichung sensibler Daten kommen.“Als Alternative zur geplanten Bürger-ID schlägt Kelber vor, auf bereichsspezifische Kennziffern zu setzen, die über eine Schnittstelle den Datenaustausch etwa zwischen zwei Behörden ermöglichen. Dies hatte auch die FDP gefordert.
Was sagen die Befürworter zur Kritik an der Bürger-ID?
Der CDU-Abgeordnete für den Wahlkreis Ravensburg, Axel Müller, teilt die verfassungsrechtlichen Bedenken der Gegner des Gesetzes nicht. Bei dem Grundsatzurteil von 1983 sei es darum gegangen, „dem Staat die Erstellung von Profilen seiner Einwohner zu untersagen“, teilt er mit. „Das sieht das Registermodernisierungsgesetz überhaupt nicht vor.“In dem Gesetzentwurf seien „klare und eindeutige Grenzen der Nutzung gezogen“– die Bürger-ID dürfe nur für Verwaltungsdienstleistungen genutzt werden. Eine Profilbildung sei dem Staat organisatorisch und technisch nicht möglich. Das „Datencockpit“schaffe zudem völlige Transparenz für die Bürger. Zur Kritik der Opposition an dem Gesetz sagt der CDU-Politiker: „Offensichtlich plakatieren manche Parteien im Wahlkampf gerne ,Mehr Digitalisierung‘ – wenn es ernst wird, kneifen sie aber und suchen zwanghaft nach dem berühmten Haar in der Suppe.“
Wird der Bundesrat dem Gesetz zustimmen?
Das ist unsicher. Länder mit grüner und liberaler Regierungsbeteiligung teilen die Kritik der Opposition im Bundestag und haben ebenfalls verfassungsrechtliche Bedenken an dem Gesetz in seiner jetzigen Form.