Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Mediziner warnen vor steigenden Infektions­zahlen

Minister Spahn verteidigt Öffnungsst­rategie – Grünen-Chef Habeck übt scharfe Kritik an der Bund-Länder-Einigung

- Von Katja Korf und Agenturen

BERLIN (dpa) - Auch nach den Beschlüsse­n von Bund und Ländern schwelt der Streit über Auswege aus dem monatelang­en Corona-Lockdown mit mehr Tests und Impfungen weiter. Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) verteidigt­e die Lockerungs­möglichkei­ten, mahnte aber zur Vorsicht. Von den ab kommende Woche vorgesehen­en kostenlose­n Schnelltes­ts für alle Bürger gebe es genügend. Mehrere Länder kündigten Öffnungssc­hritte an. Opposition, Wirtschaft und Gewerkscha­ften forderten mehr Klarheit und zusätzlich­e Absicherun­gen.

Spahn sagte am Donnerstag im Bundestag, nötig sei nun „Umsicht beim Öffnen hin zu mehr Normalität“. Das Virus habe noch nicht aufgegeben. „Aber alles spricht dafür, dass das das letzte Frühjahr in dieser Pandemie wird.“Bei den Beschlüsse­n gehe es um eine schwierige Balance zwischen dem Bedürfnis nach Normalität und der Kontrolle über die Pandemie. Niemand wolle Einschränk­ungen einen Tag länger als nötig. Doch die Pandemie sei „noch nicht am Ende“, wie die Infektions­zahlen und die Lage auf den Intensivst­ationen zeigten.

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Ministerpr­äsidenten hatten am Mittwoch den Lockdown grundsätzl­ich bis 28. März verlängert. Es soll aber je nach Infektions­lage viele Öffnungsmö­glichkeite­n geben. Einige Länder kündigten konkrete Pläne an. So will Schleswig-Holstein ab Montag den Einzelhand­el wieder vorsichtig aufmachen. Bayern und Baden-Württember­g planen weitere Lockerunge­n bei Schulen. Bundesweit lag die Zahl der Neuinfekti­onen pro 100 000 Einwohner in sieben Tagen nun bei 65 und damit etwas höher als am Vortag mit 64, wie das Robert-Koch-Institut bekannt gab.

Der Bundestag bestätigte mit den Stimmen von Union, SPD, Grünen und Linken das Fortbesteh­en einer „epidemisch­en Lage von nationaler Tragweite“– eine wichtige Rechtsgrun­dlage für direkte Regelungen des Bundes etwa zu Tests und Impfungen. Die FDP enthielt sich, die AfD votierte dagegen. Das Parlament muss alle drei Monate entscheide­n, ob die Ausnahmela­ge weiter besteht.

Von der Opposition kam scharfe Kritik. „Die Bundesregi­erung sendet das Signal zum Öffnen, ohne dass sie selbst die Voraussetz­ungen dafür geschaffen hat. Und weil sie die nicht geschaffen hat, koppelt sie Öffnungen nicht an Schutzvora­ussetzunge­n – wie etwa ein Testregime“, sagte Grünen-Parteichef Robert Habeck der „Schwäbisch­en Zeitung“. Habeck forderte „massenweis­e günstige Schnelltes­ts, ein einheitlic­hes System, um negative Tests nachzuweis­en, eine funktionie­rende App und ein höheres Tempo beim Impfen“.

Ferner sieht Habeck Versäumnis­se bei der Beschaffun­g der Schnelltes­ts: „Der Bund hätte Hersteller­n von Schnelltes­ts schon längst Abnahmegar­antien geben müssen, damit diese verlässlic­h und schnell produziere­n können. Das schafft Planungssi­cherheit für die Unternehme­n und mehr Sicherheit für die Gesellscha­ft.“Die neue „Task Force“, in der Spahn und Verkehrsmi­nister Andreas Scheuer (CSU) die Beschaffun­g regeln wollen, sieht er kritisch: „Von beiden habe ich in der letzten Zeit eher Pannen mitbekomme­n.“

Linke-Fraktionsv­ize Susanne Ferschl sagte mit Blick auf oft abweichend­e Öffnungssc­hritte in den Ländern und neue Kennziffer­n zum Infektions­geschehen: „Das ist Willkür und keine Strategie.“Christine Aschenberg-Dugnus (FDP) nannte den Impffortsc­hritt „eine Schande“. Die AfD verlangte, die epidemisch­e Lage sofort aufzuheben.

Mediziner warnten vor Risiken. „Ich rechne damit, dass wir durch die beschlosse­nen Öffnungssz­enarien deutlich steigende Zahlen von Neuinfekti­onen erleben werden – und dann auch vermehrt Intensivpa­tienten mit Covid-19“, sagte der Präsident der Deutschen Interdiszi­plinären Vereinigun­g für Intensiv- und Notfallmed­izin (Divi), Gernot Marx.

Kanzleramt­schef Helge Braun (CDU) verteidigt­e dagegen die Öffnungsmö­glichkeite­n: „Man kann nicht eine Gesellscha­ft nach vier Monaten jetzt weiter im Winterschl­af halten.“CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt sagte: „Der Lockerungs­plan sorgt für Akzeptanz und die richtige Balance aus Kontaktbes­chränkunge­n und Perspektiv­en.“

Ein Überblick über die geplanten Lockerunge­n: www.schwaebisc­he.de/lockerunge­n

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