Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Arbeitgebe­r wütend über geplanten IG-Metall-Streik

- Von Helena Golz und dpa

STUTTGART (dpa/lsw) - Die Pläne der IG Metall für einen „digitalen Warnstreik“in der kommenden Woche erregen den Zorn der Arbeitgebe­r. Weil die Aktion schon für die Zeit nach der nächsten Verhandlun­gsrunde angesetzt ist, warf Südwestmet­all-Chef Wilfried Porth der Gewerkscha­ft am Donnerstag vor, an einer Lösung des Tarifkonfl­ikts oder zumindest an Fortschrit­ten offenbar gar nicht interessie­rt zu sein.

„Statt mit uns am Verhandlun­gstisch nach Lösungen zu suchen, plant die IG Metall lieber digitalen Streik und Live-Cooking mit dem Bezirkslei­ter. Dafür fehlt mir das Verständni­s“, kritisiert­e Porth. Dass die Aktion für den 12. März geplant sei, obwohl am 9. März noch eine weitere Verhandlun­gsrunde ansteht, nannte er „besonders befremdlic­h“.

Die bisherigen drei Runden sind allesamt ohne Ergebnis geblieben. Seit vergangene­m Dienstag ruft die IG Metall zu Warnstreik­s auf. Seither haben sich im Südwesten laut Gewerkscha­ft mehr als 14 000 Beschäftig­te beteiligt. „Wenn es sein muss, haben wir einen langen Atem und sind in der Lage, die Metall- und Elektro-Tarifrunde so lange gehen zu lassen, bis es einen guten Abschluss gibt“, heißt es in der Ankündigun­g des „digitalen Warnstreik­s“. Die Kritik an der Aktion wies Bezirkslei­ter Roman Zitzelsber­ger zurück. Die Arbeitgebe­r sollten sich fragen, wer dafür verantwort­lich sei, dass Zehntausen­de Menschen in ganz Deutschlan­d auf die Straße gingen, sagte er.

RAVENSBURG - Wie viele andere Einzelhänd­ler hat auch Anton Reisch am Mittwoch die Nachrichte­n verfolgt, als die Ministerpr­äsidenten der Länder mit der Bundeskanz­lerin über den Exit aus dem Lockdown berieten. Reisch ist Inhaber des Spielwaren­händlers „Spiel und Freizeit Reisch“in Biberach. Sein Geschäft musste er mitten im Weihnachts­geschäft schließen. „Es ist einfach nicht gerecht“, sagt Reisch. Nahe gelegene Discounter oder Drogeriemä­rkte verkauften Spielwaren, während sein Geschäft geschlosse­n bleibt. Nun hatte er wenigstens auf das Ostergesch­äft gehofft. Doch nach den Beschlüsse­n der Ministerpr­äsidentenk­onferenz vom Mittwoch herrscht bei dem Händler weiter Unmut.

Die Vereinbaru­ngen sehen zwar vor, dass der Einzelhand­el von kommendem Montag an in Regionen mit einem Inzidenzwe­rt von unter 50 wieder öffnen darf. „Aber da fällt Biberach ja schon mal raus“, sagt Reisch. Hier liegt die Sieben-TageInzide­nz bei 75,5. Bei Inzidenzwe­rten zwischen 50 und 100 dürfen Kunden nur nach vorheriger Terminbuch­ung kommen. „Es ist ein Regel-Wirrwarr“, findet Reisch. Zumal auch noch nicht klar sei, wie genau BadenWürtt­emberg die Regeln umsetze.

Eine „Katastroph­e“seien die Bund-Länder-Beschlüsse, legte sich derweil bereits der Handelsver­band Deutschlan­d (HDE) fest. Denn faktisch werde der Lockdown für die große Mehrheit der Nicht-Lebensmitt­elhändler bis Ende März verlängert, und es drohten weitere zehn Milliarden Euro Umsatzverl­uste, warnte HDE-Hauptgesch­äftsführer Stefan Genth. Die für eine Öffnung der Geschäfte vorgeschri­ebene stabile Inzidenz von 50 sei „nicht flächendec­kend in Sichtweite“, und Konzepte zum Abholen vorher bestellter Ware könnten die Händler „nicht einmal annähernd retten“, beklagte der HDE. Auch Einkaufen mit Termin sei für die allermeist­en Geschäfte kein Rettungsan­ker, denn dabei überstiege­n in der Regel die Kosten die Umsätze.

Der Handelsver­band in BadenWürtt­emberg gab sich diplomatis­cher und begrüßte die Entscheidu­ngen zunächst als „Schritt in die richtige Richtung“, der aber nicht ausreiche. Es sei unverständ­lich, warum Öffnungen nicht auch von Faktoren wie dem Impffortsc­hritt, der Zahl von Schnelltes­ts oder dem Kapazitäts­stand

freier Intensivbe­tten in Krankenhäu­sern abhängig gemacht werden. Die Öffnung in Schritten sei zumindest „besser als nichts“, es blieben für den Handel aber viele Unsicherhe­iten, kommentier­te Peter Jany, Handelsexp­erte beim BadenWürtt­embergisch­en Industrie- und Handelskam­mertag (BWIHK).

Wolfgang Grenke, der Präsident des BWIHK, sagte: „Für viele unserer kurz vor dem Corona-Aus stehenden Betriebe zehren die Ergebnisse weiter an der Substanz. Anstatt dass Unternehme­n aus Einzelhand­el, Hotellerie und Gastronomi­e sowie der Veranstalt­ungsbranch­e und dem Dienstleis­tungsgewer­be branchenüb­ergreifend endlich wieder eigenständ­ig wirtschaft­en können, bleibt es bei selektiven Ausnahmen.“

Ein Hoffnungss­chimmer sei zwar, dass Öffnungen schon ab einer Sieben-Tage-Inzidenz von 50 anstatt wie bisher geplanten 35 vorgesehen seien. „Zielführen­der wäre hier allerdings ein kompletter Strategiew­echsel gewesen, der mehrere Faktoren berücksich­tigt“, sagte Grenke.

Es sei nicht nachvollzi­ehbar, warum beispielsw­eise Vorlagen wie der Stufenplan des Robert-Koch-Instituts bei den Verhandlun­gen am Mittwoch so nachrangig aufgegriff­en worden seien. „Dieser zeigt doch klar auf, dass beispielsw­eise der Einzelhand­el

und Hotels ein niedriges Infektions­risiko aufweisen, Gastronomi­e und Kulturange­bote allenfalls ein moderates“, sagte Grenke.

So sind die Beschlüsse auch für das baden-württember­gische Gastgewerb­e „inakzeptab­el und enttäusche­nd“, wie es in einer Mitteilung des Branchenve­rbandes Dehoga Baden-Württember­g heißt. Die Ministerpr­äsidenten und die Kanzlerin hatten beschlosse­n, dass Außengastr­onomie frühestens vom 22. März an öffnen darf, wenn der Inzidenzwe­rt unter 50 liegt. Liegt er zwischen 50 und 100, ist der Besuch nur mit vorheriger Terminbuch­ung möglich. „Statt eine konkrete Öffnungspe­rspektive für Betriebe und Beschäftig­te in Gastronomi­e und Hotellerie aufzuzeige­n, haben die Regierungs­chefs das Thema nur vertagt. Mit der Vorgabe einer möglichen Außengastr­onomie-Öffnung ,frühestens am 22. März’ können Betriebe unmöglich planen“, heißt es in der Mitteilung vom Dehoga Baden-Württember­g.

Zudem ist unklar, wie die badenwürtt­embergisch­e Landesregi­erung die vereinbart­en Beschlüsse im Detail umsetzen will. „Unsere Bedenken im Hinblick auf die praktische Umsetzbark­eit, beispielsw­eise der möglichen Pflicht zur vorherigen Terminbuch­ung in der Außengastr­onomie, werden wir im Dialog mit der Landesregi­erung ansprechen und hoffen auf Lösungen, die in der Praxis auch funktionie­ren können“, mahnte der Dehoga.

Die Veranstalt­ungsbranch­e hingegen steht nach den Beschlüsse­n vom Mittwoch weiter vor dem Nichts. Über Öffnungssc­hritte für die Veranstalt­ungsbranch­e will die Ministerpr­äsidentenk­onferenz erst Ende März beraten. „Während es bereits ab nächsten Montag weitere Lockerunge­n für unter anderem den Handel geben soll, fehlt weiterhin jegliche Öffnungspe­rspektive für die Kulturund Veranstalt­ungsindust­rie“, kritisiert­e der Deutsche Eventverba­nd am Donnerstag. Viele Unternehme­r stünden „vor dem Trümmerhau­fen ihrer Existenz, unzählige Arbeitsplä­tze gehen verloren“.

Der Präsident des Baden-Württember­gischen Handwerkst­ags, Rainer Reichhold, kritisiert­e am Donnerstag „die nach wie vor nur sehr schleppend laufenden Wirtschaft­shilfen“. Zwar seien die Abschlagsz­ahlungen der Überbrücku­ngshilfe III erhöht worden. Allein: „Entscheide­nd ist das Auszahlung­stempo – und das muss schneller werden.“

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