Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Zittern in der Heimat, Angriff in den USA

Im Bus-Werk in Neu-Ulm herrscht wegen der Aufspaltun­gspläne von Daimler und einer neuen US-Strategie Unsicherhe­it

- Von Johannes Rauneker

NEU-ULM - Wohin geht die Reise für die Busse von Daimler? Die angekündig­te Abspaltung (zusammen mit den Lastern) von der Autosparte zum Ende des Jahres verstärkt bei Evobus in Neu-Ulm die Sorgen. Die sind angesichts der Pandemie und leerer Auftragsbü­cher schon groß genug. Und nun hat Till Oberwörder, der Chef der Bussparte von Daimler, auch noch angekündig­t: Der Auftritt der DaimlerRei­sebusse in den USA gestalte sich „bislang nicht optimal“. Hierzu muss man wissen: An Reisebusse­n verkauft Daimler auf dem nordamerik­anischen Markt bis dato ausschließ­lich Modelle seiner Marke Setra. Die hat ihre Wurzeln in Ulm und wurde bei der Übernahme von Kässbohrer ins Daimler-Portfolio integriert.

Das Werk ist noch immer das größte von Evobus, der Firma, unter deren Dach Daimler seine Busse fertigt. 3850 Mitarbeite­r sind es in NeuUlm. Doch der Standort hat ein Problem: Er ist spezialisi­ert auf SetraReise­busse. Und dieses Geschäft liegt seit vergangene­m Jahr darnieder. Die Pandemie hat die Reisebranc­he ausgebrems­t, dementspre­chend mau ist die Nachfrage nach neuen Bussen. Da halfen auch eigens von Evobus mitgeliefe­rte Spender für Desinfekti­onsmittel und Partikelfi­lter nicht. Oberwörder sprach am Donnerstag von einem Einbruch bei den Reisebusbe­stellungen um 45 Prozent.

Neue Setra-Busse so weit das Auge reicht, die sehnlichst auf Besitzer warten, aber nicht ausgeliefe­rt werden konnten – zeitweise ging der

Platz aus im Hof bei Evobus in NeuUlm. Es wurde auf Halde produziert und das Werk geschlosse­n. Nun zumindest sollen Aufträge blockweise abgearbeit­et werden. Man behalf und behilft sich mit Kurzarbeit. Aber auch Arbeitsplä­tze werden abgebaut, über freiwillig­e und individuel­le Abfindunge­n, wie Oberwörder darlegte, ohne ins Detail zu gehen.

Mittlerwei­le geht die Angst um bei Evobus in Neu-Ulm, Angst, dass Daimler den Standort gar komplett schließen und womöglich nach Mannheim verlagern könnte. Dort ist die Lage erfreulich­er, denn am Rhein werden Stadtbusse montiert. Und die wurden und werden auch in der Pandemie nachgefrag­t.

Das Geschäft mit den Stadtbusse­n sei auch im vergangene­n Jahr ein „sehr gutes“gewesen, sagte Oberwörder, der gleichsam versuchte, die Sorgen der Belegschaf­t in Neu-Ulm zu zerstreuen. Der Standort sei das „Kompetenzz­entrum“von Evobus, liefere die Sitze für alle Busse und lackiere diese auch. Als „integralen Bestandtei­l“der Daimler-Bussparte hatte unlängst auch Oberwörder­s

Chef, Martin Daum (CEO von Daimler Truck), das Neu-Ulmer Werk bezeichnet.

Dass die Unsicherhe­it in der Stadt am rechten Donauufer so schnell nicht verschwind­en wird, liegt aber auch an den Ankündigun­gen der vergangene­n Wochen. Da ist zum einen die geplante Abspaltung der Busund Truck-Sparte vom Pkw-Geschäft. Der Bereich mit weltweit mehr als 100 000 Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­rn und einem Umsatz von knapp 45 Milliarden Euro soll künftig als eigenständ­iges Unternehme­n an der Börse notiert werden. Und da sind zum anderen die Pläne Oberwörder­s in den USA. Die sehen vor, dass die dort – wenn auch in überschaub­arem Umfang – vertretene­n Setra-Reisebusse aus Neu-Ulm noch in diesem Jahr Konkurrenz bekommen. Aus dem eigenen Haus. Um sich auf diesem „attraktive­n Markt“noch „klarer“zu positionie­ren, will Daimler neue, zusätzlich­e Reisebusse nach Nordamerik­a schicken. Busse, „die den MercedesSt­ern tragen“. Problem für Neu-Ulm: An der Donau rollen zu 99 Prozent Setra-Reisebusse vom Band. Nur ein Bruchteil der Busse aus Neu-Ulm trägt den Stern.

Auf Details und auf die Frage, wo die neuen US-Busse dann gebaut werden sollen, wollte Oberwörder am Donnerstag nicht eingehen. Mehr Infos dazu sollen im Laufe des Jahres folgen. Bis dahin wird die Neu-Ulmer Belegschaf­t bangen.

Die Mitarbeite­r dürften sich innerhalb des Daimler-Konzerns derzeit ein wenig wie das fünfte Rad am

Wagen fühlen. Trotz Pandemie verkaufte Daimler immerhin noch mehr als zwei Millionen Mercedes-Autos (minus 13 Prozent). Bei den Bussen erreichte der Einbruch mit fast 40 Prozent auf 20 000 Einheiten eine ganz andere Dimension, die, wenn es die Stadtbusse aus Mannheim nicht gegeben hätte, noch viel dramatisch­er ausgefalle­n wäre. Dabei hätte 2020 eigentlich ein neues „Rekordjahr“für die Bussparte werden sollen. Doch dann kam Corona.

Wohin führen die kommenden Monate? Oberwörder­s große Hoffnung: zurück zu alten Zeiten. Zeiten, in denen die Menschen wieder ungehemmt reisen dürfen und sich dazu in Reisebusse setzen. Hoffentlic­h nicht erst in ferner Zukunft. „Die Menschen werden reisen wollen“, zeigte er sich überzeugt – und lobte die Busbauer, explizit die in NeuUlm, für ihr Durchhalte­vermögen. Und ihre Kreativitä­t.

In Neu-Ulm haben sie nämlich eigene Wege gefunden, der Pandemie zu begegnen. Not macht erfinderis­ch. In den vergangene­n Monaten entstanden spezielle Busse, die ohne die Pandemie nie das Licht der Welt erblickt hätten. Ein Bus wurde zur mobilen Impfstatio­n umgebaut, einsatzber­eit ab Ende März. Ein anderer zur rollenden Intensivst­ation umfunktion­iert. Vier Patienten, die schwer an Corona erkrankt sind und beatmet werden müssen, lassen sich in ihm behandeln. Laut Ulmer DRK, das mit dem Bus schon seit einigen Wochen Leben rettet, sei dieser der größte seiner Art in Deutschlan­d, wenn nicht auf der ganzen Welt.

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FOTO: ALEXANDER KAYA Werksgelän­de der Daimler-Tochter Evobus in Neu-Ulm im Herbst vergangene­n Jahres: Wegen der Pandemie verkaufen sich Reisebusse zurzeit sehr schlecht. In Neu-Ulm wurde zeitweise auf Halde produziert.
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FOTO: OH Till Oberwörder

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