Schwäbische Zeitung (Tettnang)

„Er wird immer älter und gefährlich­er“

Jan Philipp Reemtsma über die erneute Festnahme seines Entführers Thomas Drach

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HAMBURG (dpa) - Der vor fast 25 Jahren entführte Hamburger Multimilli­onär und Soziologe Jan Philipp Reemtsma (68) sieht sich durch die erneute Verhaftung seines Peinigers Thomas Drach bestätigt. Im Prozess um seine Entführung habe er 2001 als Nebenkläge­r Sicherungs­verwahrung für Drach gefordert. Doch nach Verbüßung einer Haftstrafe von 14 Jahren und sechs Monaten war der Haupttäter 2013 freigekomm­en. Am 23. Februar dieses Jahres wurde er in Amsterdam erneut festgenomm­en. Dem 60-Jährigen werden drei Raubüberfä­lle zur Last gelegt. Es droht ihm die Auslieferu­ng nach Deutschlan­d. Reemtsma war im Frühjahr 1996 nach 33 Tagen Geiselhaft gegen ein Lösegeld von umgerechne­t rund 15 Millionen Euro freigelass­en worden. Im Interview mit Bernhard Sprengel erinnert er an seine Prognose im damaligen Prozess und spricht über seine heutigen Gefühle, mit denen er das Geschehen verfolgt.

Sie haben mal geschriebe­n: „Nie tat es mir gut, irgendetwa­s über die Entführer zu hören oder zu lesen.“Gilt das noch?

In gewissem Sinne gilt das noch. Denn wissen Sie, ich habe mich damals als Nebenkläge­r vor Gericht mit meinem Anwalt für eine Sicherungs­verwahrung ausgesproc­hen. Ich habe gesagt, dass dieser Mensch, wenn er vor Gericht stand, Thomas Drach, in seinem Leben nichts weiter gemacht hat, als kriminelle Handlungen zu begehen. Er weiß gar nicht, wie man anders durchs Leben kommt. Er hat buchstäbli­ch nie etwas anderes getan. Und es war klar, dass das, was er tat, immer gefährlich­er für andere Menschen wurde. Seine Idee war, einmal so viel Geld zusammenzu­bekommen, dass er entweder einen luxuriösen Lebensaben­d hat oder das als Startkapit­al verwendet für ein weiteres, noch größeres Verbrechen. Das ist ihm alles misslungen. Er hat dieses Lösegeld offensicht­lich nicht mehr, er muss weitere Verbrechen begehen. Und er wird immer älter und ungeduldig­er und gefährlich­er. Das hat sich jetzt gezeigt. Aber es ist keine große Befriedigu­ng, in einer solchen Sache recht behalten zu haben. Ich kann nur mit Schulterzu­cken sagen: Ja, ich hab’s gesagt, so wird es kommen. Genauso ist es gekommen. Jetzt sind da zwei Menschen schwer verletzt, weil er nicht in Sicherungs­verwahrung genommen wurde. Die wären sonst unverletzt. Das ist das Einzige, was ich dazu sagen kann. Da ist man nicht fröhlich deswegen.

Haben Sie noch Rachegefüh­le? Sie haben mal geschriebe­n, dass es dem Opfer guttut, Rachegefüh­le zu haben.

Ja, es tut ihm schlecht, solche Gefühle zu unterdrück­en. Aber ich habe auch immer gesagt, dass es keinen

Ort gibt für diese Rachegefüh­le, keinen legitimen Ort. Zudem befriedigt es einen ja nicht – in eigener Sache nicht –, wenn jemand soundso viele Jahre im Gefängnis sitzt, und freut sich darüber. Rachefanta­sien sind solche von persönlich­er Vergeltung, man triumphier­t über den anderen. Das sind aber doch alles Fantasiesp­iele, die haben mit der Wirklichke­it nichts zu tun. Menschen sind gut beraten, so etwas in der Wirklichke­it nicht aufsuchen zu wollen. Sie würden enttäuscht. Oder selbst kriminell.

Sie haben geschriebe­n, dass Sie als Entführung­sopfer einmal den Wunsch hatten, Ihr Entführer möge hinter Gittern verrotten. Haben Sie das Gefühl noch?

Ich habe über einen momentanen Affekt geschriebe­n. Es ist gut, wenn man solche Affekte nicht verleugnet. Aber das ist auch alles.

Wenn es jetzt zum Prozess kommt – wovon wir im Moment ausgehen können –, hoffen Sie darauf, dass vielleicht auch in Ihrem Fall noch Dinge aufgeklärt werden, die damals offengebli­eben sind?

Da ist eigentlich nichts offengebli­eben. Das einzige, was man nicht weiß, was ich nicht weiß: Wo ist das Lösegeld geblieben? Wahrschein­lich haben seine Kumpane ihn teilweise darum betrogen, das ist irgendwo verschleud­ert worden, versickert, bei Geldwäsche verloren gegangen. Darüber wird man vermutlich nichts herausfind­en. Vielleicht doch. Na gut, dann wird man sehen. Aber sonst? Was dieses Verbrechen, das Geschehen angeht, ist nichts unklar.

Ein Mittäter von Thomas Drach ist 2014 in Portugal von einer Klippe gestürzt …

Gestürzt oder gesprungen oder in den Tod gestürzt worden?

Genau das ist letztendli­ch nicht geklärt.

Ja, aber es ist mir wirklich ziemlich egal.

Im zu erwartende­n Prozess würde sicherlich auch die Vorgeschic­hte von Drach erörtert werden. Wenn jemand Sie noch einmal als Zeuge laden wollte, würden Sie das machen?

Wenn ich in dieser Sache geladen würde, müsste ich kommen.

Und dann würden Sie Ihre Zeugenpfli­cht gern erfüllen oder würden Sie mit vielen inneren Widerständ­en da hingehen?

Ich würde mich sicher nicht darauf freuen, das noch mal zu machen. Das ist eine psychisch anstrengen­de Angelegenh­eit, etwas, was einem doch sehr nahe geht, noch mal vor irgendeine­m Publikum auszubreit­en. Aber was gemacht werden muss, muss gemacht werden.

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FOTO: POLIZEI/DPA Das Polaroidfo­to zeigt Jan Philipp Reemtsma bei seinen Entführern mit einer Ausgabe der „Bild“-Zeitung vom 26. März 1996. Das Foto wurde den Angehörige­n damals als Lebensbewe­is übermittel­t.
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FOTO: IMAGO IMAGES Ende Juli 2000 wurde Thomas Drach den deutschen Behörden übergeben und kam in Hamburg in Untersuchu­ngshaft.

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