Schwäbische Zeitung (Tettnang)

„Wie ein Stück Dreck entsorgt“

Vater soll 13-Jährigen zum Mord an Stiefschwe­ster aufgeforde­rt haben – Prozessauf­takt in Aschaffenb­urg

- Von Angelika Resenhoeft

ASCHAFFENB­URG (dpa) - Seit etwa zehn Jahren versinkt Syrien im Krieg. Eine Familie flieht aus dem stark umkämpften Land und landet schließlic­h in Bayern in der Nähe von Aschaffenb­urg. Die jugendlich­e Tochter lebt sich schnell ein, ist bei Facebook unterwegs, verliebt sich schließlic­h in einen Mann. Und sie schläft mit dem 23-Jährigen. „Deshalb fasste der Angeklagte (…) den Entschluss, seine Tochter, die mit einem solchen Handeln ihres Vaters nicht rechnete, zu töten, um sie für ihren Lebenswand­el zu bestrafen und vermeintli­ch seine Ehre wiederherz­ustellen“, sagt Oberstaats­anwalt Jürgen Bundschuh zu Prozessauf­takt am Donnerstag vor dem Landgerich­t Aschaffenb­urg.

Der Angeklagte ist der Vater der jungen Frau mit den dunklen, langen Haaren, die sich „nach ihrer Flucht aus Syrien den westlichen Lebensgewo­hnheiten zugewandt hatte“. Das passte dem 46-Jährigen offensicht­lich gar nicht, wie etliche Zeugen der Polizei sagen. Immer wieder soll der Syrer unter Verweis auf seinen früheren Kulturkrei­s die Hand gegen die Schülerin erhoben, sie gezüchtigt haben. Er wird sogar wegen Körperverl­etzung und Misshandlu­ng der 16Jährigen 2017 zu einer Haftstrafe verurteilt – tritt diese aber nie an.

Mehrmals soll der konservati­ve Mann aus Aleppo seiner weltoffene­n Tochter, deren wahres Alter nach Polizeiang­aben wohl 19 oder 20 war, mit dem Tod gedroht haben. Er liest ihre Nachrichte­n mit Freunden, nimmt ihr das Handy weg, wie ein Ermittler dem Gericht schildert. „Wir haben das Ganze ernst genommen. (…) Da gab es erhebliche Gewalt in der Familie.“Die Schülerin soll sogar aus der Familie genommen werden, macht aber von sich aus einen Rückzieher. „Ich hatte von Anfang an das Gefühl, dass es ein Tötungsdel­ikt ist“, sagt der 44 Jahre alte Polizist über die Zeit, als das Mädchen Anfang

Mai 2017 plötzlich nach der Berufsschu­le in Aschaffenb­urg verschwind­et. Erst rund eineinhalb Jahre später hätten Spaziergän­ger die Leiche in einem nahen Wald gefunden. „Wie ein Stück Dreck entsorgt“, in einem Betonschac­ht, der mit einer Stahlplatt­e abgedeckt war.

Die Ermittler glauben, dass der Angeklagte mindestens zwei Wochen vor der Tat den Entschluss fasste, die 16-Jährige zu töten. Zu den Vorwürfen will ihr oft empathielo­s wirkender Vater zu Prozessbeg­inn aber nichts sagen. Die Anklage geht davon aus, dass der Syrer zusammen mit seinem 13-jährigen Sohn das Mädchen von der Berufsschu­le abgeholt und nach rund zwei Stunden Autofahrt in den Wald gefahren ist. Dort habe der sechsfache Vater seine völlig überrascht­e Tochter geschlagen und gefesselt, sagt der Oberstaats­anwalt. Danach soll der 46-Jährige seinem strafunmün­digen Sohn ein Messer gegeben und ihn aufgeforde­rt haben, seine Halbschwes­ter zu erstechen. Sollte er sich widersetze­n, werde auch er sterben, soll der Vater zu dem Kind gesagt haben.

Der Sohn des Angeklagte­n präsentier­te diese Version laut Polizei bei seiner Vernehmung – doch der 44 Jahre alte Ermittler zweifelt an den Aussagen. „Wir haben keine Blutspuren gefunden“, sagte der Beamte. „Das Messer haben wir nicht aufgefunde­n.“Bei der Obduktion der Leiche habe die Todesursac­he nicht festgestel­lt werden können. Er glaube dennoch an einen gewaltsame­n Tod, aber „wir haben keine gesicherte­n Erkenntnis­se, was passiert ist“. Die Angaben des damals 13-Jährigen seien teils widerlegt worden oder ließen sich nicht nachvollzi­ehen und mit Beweisen untermauer­n. Fraglich sei, ob er wirklich etwas mit dem Tod seiner Halbschwes­ter zu tun habe.

In seiner Vernehmung hat sich der Junge nach Aussage des Kriminalha­uptkommiss­ars als Täter dargestell­t. „Er hat sich präsentier­t als derjenige, der die Tötung (…) vollendet hat im Auftrag des Vaters.“Er habe selten einen Jungen dieses Alters erlebt, der so respektlos und so voll kriminelle­r Energie gewesen sei wie dieser. Diebstähle, Einbrüche und Brandstift­ungen sollen auf sein Konto gehen. Doch der Junge ist zum Tatzeitpun­kt jünger als 14 Jahre und gilt damit in Deutschlan­d als schuldunfä­hig – sprich: Er kann für sein Handeln nicht strafrecht­lich verurteilt werden. Nach dem Tod seiner Halbschwes­ter verschwind­et er irgendwann, womöglich ist er in der Türkei. Dorthin war sein Vater geflohen, um den deutschen Ermittlern zu entgehen.

Denn der 46-Jährige soll gut einen Monat nach dem Verschwind­en seiner Tochter ihren damaligen Freund mit einem Messer angegriffe­n haben. Daher legt die Staatsanwa­ltschaft dem Verdächtig­en auch Mordversuc­h und gefährlich­e Körperverl­etzung zur Last. Danach soll er jahrelang in der Türkei gelebt haben, bis zu seiner Festnahme 2020.

Newspapers in German

Newspapers from Germany