Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Rätsel um Tod eines trächtigen Rehs
Tier verunglückt in Apfelplantage – Fluchtinstinkt möglicherweise durch Drohne geweckt
FRIEDRICHSHAFEN - In einer Apfelplantage in der Nähe eines Waldstücks in Berg ist vor wenigen Tagen ein Reh verunglückt und zu Tode gekommen. Eine Geschichte, die umso tragischer ist, weil das Tier mit Zwillingen trächtig war, wie sich im Nachhinein herausstellte. Ursache für das Unglück war möglicherweise eine über der Anlage kreisende private Drohne, die in der Geiß den Fluchtinstinkt geweckt haben könnte – zu beweisen ist das freilich nicht. Tatsache ist aber, dass das Tier sich an der Umzäunung des Grundstücks verfing, sich das Genick brach und qualvoll verendete. Der hinzugerufene Jagdpächter Frieder Hutt konnte nur noch den Tod des Tieres feststellen.
Was genau ist geschehen? „Ich bin von Spaziergängern darauf aufmerksam gemacht worden, dass in meiner Obstanlage ein Reh in den letzten Zügen liege und dass das Tier ganz offensichtlich auf der Flucht vor einer Drohne gewesen sei“, berichtet Adelinde Beiter, der das größtenteils umzäunte Grundstück gehört. Demnach seien zwei etwa 19 Jahre alte junge Männer am Nachmittag auf das Privatgelände eingedrungen und hätten dort die Drohne steigen lassen. „Ich bin dann sofort hingegangen und habe die beiden Jugendlichen gestellt“, erzählt die Medizinerin und Nebenerwerbslandwirtin im Gespräch mit der Schwäbischen Zeitung. Die Jugendlichen hätten glaubhaft versichert, dass sie keine böse Absicht gehabt, sondern nur als Freizeitspaß mit der Drohne in der Obstanlage gespielt hätten. „Und sie haben mir versprochen, so etwas nie wieder zu tun“, sagt Adelinde Beiter. Sie habe deswegen auch auf eine Anzeige verzichtet. Tieftraurig ist sie trotzdem. „Es ist leider nicht das erste Tier, das auf diese Weise zu Tode kam“, weiß sie. „Vielen Leuten ist offenbar nicht klar, dass durch Anwesenheit und Geräusch einer Drohne bei Tieren Todesängste geweckt werden können.“
Eine Aussage, die auch von Frieder Hutt bestätigt wird. „Wenn der Fluchtreflex ausgelöst ist und das Reh erstmal in Bewegung ist, dann kann sich Panik einstellen und zu völlig unkontrolliertem Verhalten führen“, sagt er. Er verweist allerdings auch darauf, dass der Einsatz von Drohnen in der Landwirtschaft – etwa bei der Heuernte – grundsätzlich sinnvoll und nützlich sein könne. So sei es durch integrierte Wärmebildkameras möglich, Tiere am frühen Morgen vor Mähbeginn im hohen Gras rechtzeitig aufzuspüren und sie so vor dem Tod durch landwirtschaftliche Mähmaschinen zu bewahren, betont Hutt. Statistischen Angaben zufolge sterben jedes Jahr mehr als 100 000 Rehkitze in Deutschland, weil sie beim landwirtschaftlichen Mähen schlicht übersehen werden.
„Es kann viele Ursachen haben, warum Rehe sich erschrecken: Spaziergänger, Jogger, Radfahrer, Hunde - und eventuell auch Drohnen“, sagt Robert Schwarz, Sprecher des Landratsamts. Fakt sei, dass seit Corona der Freizeitdruck auf Wald und Feld enorm gestiegen sei und es dadurch auch vermehrt zu Beunruhigung des Wildes käme.
Für einen vorsichtigen Umgang mit Drohnen gerade in „sensiblen Bereichen“wirbt Gerhard Kersting, Geschäftsführer des Naturschutzzentrums Eriskirch. In Naturschutzgebieten sei der Einsatz von Drohnen für private Interessen ein absolutes No-Go. „Außerdem ist es gesetzlich nicht zulässig“, sagt er. Die Auswirkungen zum Beispiel auf die Vogelwelt könnten gravierend sein. Ihm sei auch ein Fall bekannt, bei dem Menschen von der Beobachtungsplattform im Eriskircher Ried auf eine Drohne im unmittelbaren Umfeld von Enten im Uferbereich und massive Störwirkungen aufmerksam geworden seien.
Weil Drohnen ein großes Potenzial bieten, weil von ihnen aber auch große Gefahren – nicht zuletzt mit Blick auf den Schutz der Privatsphäre
– ausgehen, wurden von gesetzgeberischer Seite schon vor Jahren entsprechende Maßnahmen ergriffen. Zum Jahreswechsel 2020/21 ist eine neue EU-Verordnung in Kraft getreten, die europaweit den Betrieb von Drohnen neu regelt. So müssen sich zum Beispiel auch Betreiber von Drohnen der „offenen“Kategorie mit einem Gewicht unter 250 Gramm registrieren lassen, wenn sie mit einer Kamera oder mit einem anderen Sensor ausgestattet sind, der personenbezogene Daten erfassen kann – sofern es sich nicht um ein Spielzeug gemäß Spielzeugrichtlinie handelt.
Weitere Informationen der neuen europaweiten Drohnen-Verordnung auf der Homepage des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur: www.bmvi.de/SharedDocs/DE/ Artikel/LF/drohnen.html