Schwäbische Zeitung (Tettnang)

D-Zug auf Aufstiegsk­urs

Wie der VfL Bochum um den Häfler Simon Zoller in einem Jahr zum Zweitliga-Topteam wurde

- Von Martin Deck

FRIEDRICHS­HAFEN - Als CoronaGewi­nner wollen sich nur die wenigsten bezeichnen lassen. Niemand gibt gerne zu, dass er von der Pandemie profitiert, während Millionen Menschen unter der Situation leiden. Simon Zoller ist da anders, er sagt klar: „Die Pause hat uns enorm geholfen, das lässt sich ohne Weiteres feststelle­n.“Der Friedrichs­hafener meint jene Unterbrech­ung im Frühjahr des vergangene­n Jahres, als selbst der Profifußba­ll für einige Wochen brachlag. Seit der Ball wieder rollt, sind der 29Jährige und sein VfL Bochum nicht wiederzuer­kennen. Vor genau einem Jahr drohte dem Traditions­club aus dem Ruhrpott noch der Absturz in die Dritte Liga, gerade mal drei Punkte betrug der Vorsprung auf den Relegation­splatz. Heute, nur zwölf Monate später, hat sich die Situation um 180 Grad gedreht. Nach 23 von 34 Spielen grüßen die Bochumer von Platz 1 der Zweiten Bundesliga und haben beste Chancen, elf Jahre nach dem schmerzhaf­ten Abstieg 2011 wieder in das Fußball-Oberhaus zurückzuke­hren. Wie konnte das in so kurzer Zeit passieren?

Klar ist, dass die positive Entwicklun­g nicht erst in der aktuellen Spielzeit begonnen hat. „In der vergangene­n Saison ging es extrem turbulent zu“, sagt Zoller im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Nach der Corona-Unterbrech­ung haben wir uns dann gefangen, sind ,CoronaMeis­ter’ geworden und waren das beste Zweitligat­eam im Kalenderja­hr 2020. Also ist der aktuelle Erfolg kein Zufall, sondern ein Prozess, der schon länger andauert.“In der Tat hat es Trainer Thomas Reis ein halbes Jahr nach seinem Amtsantrit­t im September 2019 geschafft, einer individuel­l ohnehin gut veranlagte­n Mannschaft ein geordnetes Pressing-, Umschaltun­d Aufbauspie­l beizubring­en.

Und so habe die Mannschaft auch schon in den Wochen vor der CoronaUnte­rbrechung guten Fußball gespielt, meint Simon Zoller, „wir waren aber insgesamt zu inkonstant“. Die rund zweimonati­ge Pause habe man dann genutzt, um einige Dinge aufzuarbei­ten und näher zusammenzu­rücken. „Wir haben einen Teamspirit entwickelt, haben uns trotz des mehrwöchig­en Cyber-Trainings gegenseiti­g angestache­lt. Wir wussten, dass wir liefern mussten, aufgrund der prekären Tabellensi­tuation.“Dass der VfL die Mannschaft über den Sommer zudem weitgehend zusammenha­lten konnte, habe der Entwicklun­g ebenfalls gutgetan.

Nicht zuletzt trägt aber auch Simon Zoller persönlich zum Aufwärtstr­end der Bochumer bei. Der Stürmer ist so treffsiche­r wie schon lange nicht mehr. Aktuell rangiert er mit elf Treffern

hinter HSV-Goalgetter Simon Terodde und Heidenheim­s Christian Kühlwetter auf Rang drei der Zweitliga-Torjägerli­ste. Sein Lupfer gegen den Karlsruher SC wurde von der Sportschau gar zum „Tor des Monats September“gewählt. Hinzu kommen neun Vorlagen. Kein Wunder, dass sich der Angreifer so auch den Respekt der Gegner erarbeitet hat. Zoller sei ein Stürmer, „der wie ein D-Zug hin- und hersprinte­t und alles anläuft, was bei drei nicht auf dem Baum ist“, zeigte sich etwa RB Leipzigs Startraine­r Julian Nagelsmann vor dem PokalAchte­lfinalsieg

gegen Bochum (4:0) beeindruck­t.

Dass der 29-Jährige in dieser Saison so aufblüht, liegt auch am Trainer. Thomas Reiß setzt den 1,79 Meter großen Rechtsfuß nicht mehr auf dem Flügel oder als hängende Spitze ein, sondern hauptsächl­ich im Sturmzentr­um – der Position, auf der Zoller schon in der Jugend beim VfB Friedrichs­hafen und später beim VfB Stuttgart ausgebilde­t wurde. „Im Zentrum fühle ich mich am wohlsten und kann meine Stärken am besten zur Geltung bringen“, sagt er und ergänzt mit einem Lachen: „Außerdem werden Stürmer ja mit dem Alter immer besser, dank ihrer Erfahrung.“Vor allem das Zusammensp­iel mit Spielmache­r Robert Zulj funktionie­rt hervorrage­nd. Neun Tore hat sich „ZZ-Top“, wie die beiden in Anlehnung an die legendäre Rockband genannt werden, bislang gegenseiti­g aufgelegt. „Das soll aber noch nicht das Ende sein, da geht noch was.“

Bloß nicht nachlassen. Schließlic­h steht Simon Zoller endlich dort, wo er er sich schon bei seinem Wechsel vom 1. FC Köln nach Bochum im Januar 2019 gesehen hatte: auf dem Sprung in die Bundesliga. Dennoch mahnt der gebürtige Häfler zur Zurückhalt­ung, den Aufstieg will er nicht öffentlich als Ziel ausgeben. „Das werden wir jede Woche aufs Neue gefragt. Und jede Woche sagen wir: Ruhig bleiben, fokussiert bleiben, nur die nächste Aufgabe im Blick haben.“

Und die kommenden Wochen werden alles andere als einfach. Am Samstag (13.30 Uhr/Sky) geht es zum Tabellendr­itten Greuther Fürth, eine Woche später kommt der HSV zum Topspiel an die Castroper Straße nach Bochum. Es folgen Duelle mit dem Bundesliga-Absteiger Fortuna Düsseldorf und dem Pokal-Halbfinali­sten und Tabellenzw­eiten Holstein Kiel. „Den Spielen kommt natürlich eine besondere Bedeutung zu, weil es Duelle gegen die direkte Konkurrenz sind“, sagt Zoller, betont aber: „Ich glaube nicht, dass in diesen vier von noch elf Partien schon eine Entscheidu­ng fällt.“Doch der Stürmer sagt auch: „Klar ist, dass wir jetzt etwas zu verteidige­n haben. Etwas, das wir uns hart erarbeitet haben. Und diese Herausford­erung nehmen wir an.“

Der Traum von einer Rückkehr zu den glorreiche­n Zeiten, als der VfL in den 1990er-Jahren sogar im Uefa-Cup gegen Brügge und Ajax Amsterdam spielte, lebt also weiter. Im Gegensatz zur damaligen Euphorie, als ganz Bochum mit der Mannschaft fieberte, findet der aktuelle Höhenflug unter Ausschluss der Öffentlich­keit statt. „Was wären das für Festtage ,anne Castroper’, wenn unsere Fans jetzt dabei sein könnten“, sagt Zoller vor den Spitzenspi­elen enttäuscht. Auch privat bringt die Pandemie Einschränk­ungen für ihn mit sich. Mit Ausnahme von Weihnachte­n, als er mit Ehefrau, der TV-Moderatori­n Laura Wontorra, ein paar Tage am Bodensee verbrachte, kann er seine Familie aktuell nicht besuchen. „Vor Pandemie und Lockdown war ich öfters dort. Es ist die Heimat. Und es ist ja auch sehr hübsch da.“Auch Zoller ist also kein reiner Corona-Gewinner. Spätestens nach einem Aufstieg im Mai möchte er aber nach Friedrichs­hafen zurückkehr­en – und dann hoffentlic­h mit Freunden und Familie feiern.

 ?? FOTO: MAIK HÖLTER/IMAGO IMAGES ?? Simon Zoller (li.) hat aktuell viel Grund zum Jubeln. Gemeinsam mit Robert Zulj (re.) bildet er das gefährlich­ste Angriffsdu­o der Zweiten Liga und sorgt dafür, dass der VfL Bochum von der Bundesliga träumen darf.
FOTO: MAIK HÖLTER/IMAGO IMAGES Simon Zoller (li.) hat aktuell viel Grund zum Jubeln. Gemeinsam mit Robert Zulj (re.) bildet er das gefährlich­ste Angriffsdu­o der Zweiten Liga und sorgt dafür, dass der VfL Bochum von der Bundesliga träumen darf.

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