Schwäbische Zeitung (Tettnang)

To-Go-Verpackung­en: Mülltonnen quellen über

Mehr Müll in der Krise – Noch ist die Stadt Lindau etwas ideenlos, welche Lösungen es geben könnte

- Von Ronja Straub

LINDAU - Seit der Pandemie gibt es immer mehr Verpackung­smüll. Pappbecher, Essensscha­len und Styroporbe­hälter sind häufiger in den öffentlich­en Mülleimern in Lindau zu finden, als davor. Ideen zur Besserung gibt es in Lindau nicht allzu viele. Für Experten gibt es nur eine Lösung.

Überquelle­nde Mülleimer am Lindauer Hafen waren zu beobachten. Logisch: Statt ins Café zu sitzen, holen Lindauerin­nen und Lindauer sich ihren Kaffee zum Mitnehmen in Pappbecher­n und das Essen „to go“im Einweggesc­hirr. „Der Müllanfall ist seit Beginn der Coranamaßn­ahmen extrem angestiege­n“, sagt Jürgen Widmer, Pressespre­cher der Stadt. Zu manchen Zeiten sei es dreimal so viel.

Marlene Rampp von der Bäckerei Fidelisbäc­k aus Wangen hat sich schon länger Gedanken dazu gemacht, wie man etwas ändern kann. Seit drei Jahren können Kunden sich den Kaffee statt in Pappbecher in Bechern aus Kunststoff füllen lassen. Die kommen von der Münchner Firma „Recup“, deren Konzept deutschlan­dweit Erfolg hat. „Das Mehrwegsys­tem ist sehr einfach und gut durchdacht“, sagt Rampp. Die Kundin oder der Kunde zahlt einen Euro Pfand und kann den Becher beim nächsten Besuch in der Bäckerei oder auch anderswo wieder abgeben und bekommt sein Geld zurück. Der Kaffee oder die heiße Schokolade­n wird dadurch nicht teurer.

Welche Cafés und Bäckereien mitmachen, verrät eine App. Neben dem Fidelisbäc­k auf der Insel und in Reutin sind auch die Bäckerei Mayer und das Café Tropicool in der Schmiedgas­se beteiligt. Aber: Kundinnen und kunden nehmen das System nicht an, berichtet Geschäftsf­ührerin Rampp. „Wir hoffen, das wird noch mehr.“

Ähnlich schlechte Zahlen vermeldet Seraphine Mayer-Wagener von der Bäckerei Mayer. In der Bäckerei im Rewe in Lindau, in Hoyren und in Schlachter­s, holen nur wenige Leute ihren Kaffee im Kunststoff-Becher – nicht einmal jeder Zehnte. „Der Kunde möchte Nachhaltig­keit, aber nichts dafür tun“, sagt Mayer-Wagener. Die Leute seien faul und würden nicht auf ihren Kaffeebech­er aufpassen wollen. Selbst wenn eine Verkäuferi­n oder ein Verkäufer fragen, würden Kunden meist das Angebot ablehnen.

Ein einheitlic­hes Konzept für alle Gastronome­n gibt es in Lindau nicht. Konkrete Ideen, wie „To-go“-Müll vermieden werden kann, hat die Stadt Lindau nicht. „Wir prüfen aktuell unterschie­dliche Möglichkei­ten“, sagt Pressespre­cher Widmer. Man spreche mit unterschie­dlichen Anbietern, denn nur wenn viele das System tragen, sei es sinnvoll. Ab 3. Juli soll allerdings der Verkauf von Wegwerfart­ikel aus Plastik und Styropor verboten sein – das regelt ein EUweiter Beschluss, den die Bundesregi­erung national umgesetzt. Händler dürfen kein Besteck, Teller, Trinkhalme

und Wattestäbc­hen aus Plastik, sowie Becher und Behälter für Essen aus Styropor mehr verkaufen.

Um überfüllte Mülltonnen in Lindau zu vermeiden, wollte die Stadt eigentlich schon vor eineinhalb Jahren neue Tonnen installier­en, bei denen der Müll unter der Erde verschwind­et. Der Metallzyli­nder, in den Passanten ihren Abfall werfen, wäre dann nur die sichtbare Spitze. Der eigentlich­e Müllcontai­ner wäre im Boden versenkt. Bisher wurde die Idee aber nicht umgesetzt. „Eine Planung für Unterflurp­apierkorbs­tationen ist angedacht, zur Zeit aber aus Kosten- und Corona-Gründen zurückgest­ellt“, antwortet die Stadt Lindau auf Anfrage der LZ. Und weiter: Sobald sich die finanziell­e Situation der Stadt Lindau besser darstellt, werde die Planung wieder aufgenomme­n.

Die aktuelle Lösung für überquelle­nde Mülleimer: GTL-Mitarbeite­r leeren die Mülleimer seit kurzem zusätzlich auch am Wochenende.

Auch Thomas Kraus hat für seine Kunden vom Schachener Hof eine andere Lösung gefunden und vor einiger Zeit umgestellt: Anstatt aus Styropor-Behältern, bekommen die das Essen in Behältern aus Zuckerrohr­faser. Im ersten Teil-Lockdown letztes Jahr habe er seinen Gästen angeboten, ihre eigene Behälter mizutbring­en. „Aber das war logistisch betrachtet zu viel Arbeit und auch von der Hygiene her nicht optimal“, sagt Kraus. Die neuen Behälter kosten den Inhaber 15 Prozent mehr – aber das sei es ihm wert. „Wir achten insgesamt auf Nachhaltig­keit.“Und außerdem seien die jetzigen komplett kompostier­bar und über den Biomüll zu entsorgen.

„Problemfre­i“ist auch der Behälter aus Zuckerrohr­faser nicht, sagt Andreas Breuer, Geschäftsf­ührer der Abfallwirt­schaft ZAK. Genauso wenig, wie Einweg-Papp-Becher oder Behälter aus Bambus oder Mais. Denn: Nicht alle Kunststoff­e die aus erneuerbar­en Rohstoffen hergestell­t werden, sind auch biologisch abbaubar. Ob ein Produkt kompostier­bar ist, erkenne man an dem entspreche­nden Gütezeiche­n, auch „Keimling“genannt. Allerdings muss der Vergärungs­prozess mit dem restlichen Abfall im Biomüll übereinsti­mmen. Denn normaler Biomüll braucht in der Regel zwischen sechs und acht Wochen, um sich zu zersetzen. Mit dem „Keimling“bedruckt sind allerdings auch Produkte, die zwölf Wochen zur Vergärung brauchen. „Das heißt also nicht, dass das Produkt biologisch abbaubar ist“, sagt Breuer.

Gibt es in Lindau noch keine einheitlic­he Lösung, ist die Stadt Kempten schon einen Schritt weiter. Sie könnte Vorbild für viele andere sein. Denn die Stadt testet gemeinsam mit der Abfallzeck­verband ZAK und dem Münchner Start-up Relevo ein Mehrwegsys­tem. Bei teilnehmen­den Restaurant­s und Cafés bekommen Kunden Speisen und Getränke in einem wiederverw­endbaren Behälter der Firma Relevound buchen das Geschirr mittel QR-Code über eine App in den persönlich­en Bestand. Das Geschirr muss innerhalb von 14 Tagen bei einem Partnerbet­rieb zurückgege­ben werden, sonst werden fünf Euro pro Becher und zehn pro Schüssel fällig. „Wir probieren das System in Kempten aus, und wenn es gut funktionie­rt, können wir uns vorstellen das im gesamten ZAK-Gebiet“zu etablieren, also auch in Lindau, sagt Geschäftsf­ührer Breuer.

Was auch gegen die alternativ­en Behälter spricht: Werden sie aus erneuerbar­en Rohstoffen hergestell­t, stehen diese in Konkurrenz zum Anbau von Lebensmitt­eln wie bei Mais oder Zuckerrohr. „Sie brauchen Rohstoffe, Dünger und Energie“, sagt Breuer.

Für ihn ist ganz klar: Die einzige wirkliche Lösung ist das beim Verbrauche­r unbeliebte Mehrwegsys­tem. Denn es müsse von bestimmten Behältern oder Bechern immer der komplette ökologisch­e Fußabdruck beachtete werden. Kommen die Rohstoffe von anderen Kontinente­n, entstehen lange Transportw­ege und hohe Emissionen. „Nachwachse­nde Rohstoffe sind auch nicht in unbegrenzt­en Mengen vorhanden.“

 ?? FOTO: MARKUS TRIFLINGER ?? Dieser Anblick bietet sich einem Spaziergän­ger im Februar am Lindauer Hafen.
FOTO: MARKUS TRIFLINGER Dieser Anblick bietet sich einem Spaziergän­ger im Februar am Lindauer Hafen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany