Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Wie Corona den Wahlkampf verändert

Weil vieles in der Pandemie nicht möglich ist, müssen die Parteien neue Wege gehen

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RAVENSBURG (rut) - Abstandsre­geln, Versammlun­gsverbote, Vorsicht allerorten: In der Corona-Pandemie ist Wahlkampf, wie er sonst geführt wird, nicht möglich. Podiumsdis­kussionen mit Publikum sind ebenso tabu wie der direkte Austausch von Kandidaten und Publikum bei Wahlverans­taltungen vor Ort. Trotzdem sind die Landtagska­ndidaten im Wahlkreis Ravensburg nicht untätig.

Weil er als Gesundheit­sminister mit gutem Beispiel vorangehen will, macht Grünen-Kandidat

keine Präsenzver­anstaltung­en. Er hat all seine insgesamt 81 Wahlkampft­ermine ins Internet verlegt – Gespräche mit Experten oder Bürgerdial­oge, in die man sich virtuell einklinken und per Chat Fragen stellen kann. Diese Formate findet Lucha stimmig, denn Zuhörer hätten die Wahl, so lange dabeizuble­iben, wie sie wollen und die Möglichkei­t, ganz konkrete Anliegen loszuwerde­n. Meist seien um die zwei Dutzend Leute dabei – mehr als früher bisweilen zu Hinterzimm­erveransta­ltungen gekommen seien. Das Ganze empfindet Lucha als „sehr intensiv und sehr nah“, auch wenn man natürlich nicht im selben Maß die Stimmung und „die Vibrations“der Menschen aufnehmen könne wie bei einer Präsenzver­anstaltung. Dafür erzögen einen Online-Formate, die meist nicht länger als eine Stunde dauern, dazu, „kurze, präzise Antworten parat zu haben“und nicht „ins Schwallen und Schwadroni­eren“zu geraten. Denn dann, so Lucha, „steigen die Leute aus“. Erreicht man damit nicht immer nur dieselben? Nein, die Dialoge könne man hinterher im Netz abrufen, sagt Lucha.

Lucha Manfred

Und verweist zudem auf sein Bürgertele­fon: Eine Stunde lang ist er da samstags oder sonntags für all jene erreichbar, die lieber zum Hörer greifen, als sich im Netz zu tummeln. Das seien vor allem ältere Menschen, oft auch deren Angehörige – denn Corona ist ein großes Thema im Wahlkampf.

August Schuler

(CDU), nach eigenem Bekunden seit 1976 ein „leidenscha­ftlicher Wahlkämpfe­r“, gibt unumwunden zu, dass ihm diesmal die „realen menschlich­en Begegnunge­n“fehlen. Aber: „Wir haben uns darauf eingestell­t.“Das heißt: Es wurden 20 Prozent mehr Plakate geklebt als sonst. Auch Prospekte wandern in die Briefkäste­n – allerdings ist es laut Schuler heuer schwierige­r, Ehrenamtli­che zu rekrutiere­n, die dabei helfen. Denn: „Niemand möchte irgendwem begegnen.“In Ravensburg, Tettnang und Meckenbeur­en war und ist man zudem mit Infostände­n präsent. Doch auch hier habe man das Problem, dass man den Leuten nicht mal eben einen Apfel in die Hand drücken oder entspannt mit ihnen ins Gespräch kommen könne, räumt Schuler ein. Dafür macht auch er digital mobil, stellt mit Unterstütz­ung der Jungen Union Filmchen in die sozialen Netzwerke Facebook und Instagram oder lädt zu OnlineFach­konferenze­n, etwa mit Kultusmini­sterin Susanne Eisenmann. Um die 30 Leute seien da in der Regel mit von der Partie, „das bringt schon was“, so Schuler. Bei virtuellen Podiumsdis­kussionen, von denen es im Wahlkreis etliche gab, hörten Schuler

zufolge meist 70 bis 80 Menschen zu.

Auch von der FDP fährt bei seinem Wahlkampf zweigleisi­g, lässt die Leute über Postwurfse­ndungen seine Termine wissen, worum es ihm geht, und ist insgesamt auf rund 25 Märkten in der Region unterwegs. Denn das sieht er als Baustein zur „politische­n Meinungsbi­ldung für die digital nicht so firme Bevölkerun­g“. Wobei auch Waidmann die Infostände als enorm unterschie­dlich zu früheren Wahlkämpfe­n erlebt: Erstens verhalte man sich sehr defensiv und gehe nicht auf die Menschen zu. Mögliche Folge: Es kommen nur halb so viele Interessie­rte auf ihn zu wie sonst. Dennoch sei die Stimmung dort angenehm, so Waidmann. Das Gros der Veranstalt­ungen feiert auch er über Online-Formate ab – etwa den OnlineTalk, der zweimal die Woche über die Bühne geht. Auf Instagram und Facebook ist der FDP-Mann ebenfalls aktiv, gesteht aber: „Darüber erreichen wir nicht so viele.“Unterm Strich bedauert Waidmann, dass analoge Veranstalt­ungen derzeit tabu sind: Dadurch gehe insbesonde­re das hartnäckig­e Rückfragen der Menschen verloren. Und: „Früher habe ich mehr Emotionen gespürt.“Zudem sei es eben anstrengen­der, eine Veranstalt­ung am Bildschirm zu verfolgen.

SPD-Kandidat hat sich in letzter Zeit in die sozialen Medien reingescha­fft und ist nun regelmäßig dort anzutreffe­n – unter anderem mit thematisch­en Clips, denn:

LANDTAGSWA­HLEN 2021

Markus Waidmann Jonathan Wolf

„Wir brauchen diese Kanäle, um Menschen unter 30 zu erreichen.“Einmal die Woche lädt die SPD außerdem zu einem digitalen Stammtisch ein, bei dem es um unterschie­dliche Themen geht. Wolf freut sich, dass oft auch Nicht-SPD-Mitglieder und durchaus auch ältere Bürger dazustoßen, die rege Fragen stellen würden. Er macht sogar Vorteile digitaler Veranstalt­ungen aus: „Weil man dabei seine Kamera ausschalte­n oder per Chat schriftlic­h Fragen stellen kann, trauen sich das möglicherw­eise auch Leute, die es in einem Saal vielleicht nicht gemacht hätten.“Dennoch bedauert Jonathan Wolf, dass man online trotz allem nicht im gleichen Maß mit den Menschen in Kontakt käme: „Da ist und bleibt halt der Bildschirm dazwischen.“Darüber hinaus verschicke­n und verteilen die SPD-Ortsverbän­de Flyer und schalten Inserate – um auch jene zu erreichen, die nicht so gern online unterwegs sind oder keine Lust haben, nach der Arbeit abends noch mal vor dem Bildschirm zu sitzen. Auf Märkten in der Region ist Wolf ebenfalls präsent.

Gut aufgestell­t für den derzeitige­n digitalen Wahlkampf ist

denn das Durchschni­ttsalter des Kreisverba­ndes seiner Partei Die Linke liege bei 35 Jahren, wie er sagt: Die meisten seien mit den sozialen Medien aufgewachs­en und kämen gut damit zurecht. So postet er ein bis zweimal wöchentlic­h sogenannte Share-Pics (Fotos mit kleinen Textbeiträ­gen) auf Instagram und Facebook, wobei man mit ´letzterem die zwischen 30- und 50-Jährigen erreichen will. Außerdem gibt es virtuelle Talkrunden, zum Beispiel mit Gregor Gysi, Online-Bürgerspre­chstunden

Sekul, Korbinian

und Livestream­s über das Kommunikat­ions-Tool Zoom. Mit den 25 bis 50 Leuten, die sich in die Livestream­s reinklickt­en, ist Sekul recht zufrieden. Vorteil: Die virtuelle Veranstalt­ung könne man sich auch hinterher noch auf YouTube anschauen. Dennoch macht Die Linke im Wahlkreis 69 auch traditione­llen Wahlkampf, klebt Plakate in allen Gemeinden mit mehr als 1000 Einwohnern und stellt sich auf den Wochenmark­t. Wobei man dort weniger auf Gespräche setzt, sondern mit einer vier Meter großen, aufblasbar­en Figur Aufmerksam­keit erregen möchte. Und Sekul ist auf den Dörfern unterwegs, „um dort auch ältere Menschen zu erreichen“, wie er sagt.

Auch der Kreisverba­nd Ravensburg der AfD ist auf Facebook aktiv, und Landtagska­ndidat

freut sich, dass die Beiträge dort eifrig kommentier­t werden: „Da geht richtig die Post ab.“Zu OnlineVera­nstaltunge­n hingegen lädt er nicht: „Ich bin Rentner, da ist man nicht so fit auf diesem Gebiet“, sagt Dietz auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“. Und vermisst die Termine, die seine Partei vor anderen Wahlen etwa im Schwörsaal oder Kultur- und Kongressze­ntrum auf die Beine gestellt habe. Stattdesse­n setzt die AfD aktuell vor allem auf Flyer und Infostände, „um mit den Leuten in Kontakt zu kommen“, wie Dietz ausführt. Wobei man aktuell darauf verzichtet, bei den Leuten an der Haustür zu klingeln.

Dietz Helmut

Weitere Berichte zur Landtagswa­hl gibt es in einem Dossier unter www.schwäbisch­e.de/ ltw21-rv

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