Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Schwere Vorwürfe von Mitarbeite­rinnen

Bellybutto­n GmbH soll die Gehälter nicht zahlen – Geschäftsf­ührer widerspric­ht

- Von Silja Meyer-Zurwelle

FRIEDRICHS­HAFEN - Fast zweieinhal­b Monate ist das neue Jahr jetzt alt, und ziemlich genau so lange warten die Mitarbeite­rinnen des Spielwaren­und Kindermode­geschäfts Schinacher nach eigenen Worten auf ihre Gehaltsaus­zahlungen. Zwei der Frauen, die anonym bleiben wollen, haben sich deshalb an die „Schwäbisch­e Zeitung“gewandt. „Unter uns sind mehrere, die Kinder haben und wir alle müssen unsere Mieten bezahlen. Die Not, in die uns die ausstehend­en Zahlungen bringen, ist existenzie­ll“, betont eine der Mitarbeite­rinnen. Die Geschäftsf­ührung widerspric­ht vehement: Man zahle seit Januar Kurzarbeit­ergeld.

Schon seit zwei Jahren gibt es immer wieder Schlagzeil­en um Schinacher: Im Jahr 2019 hatte die Karl Schinacher GmbH Insolvenz angemeldet und war kurze Zeit später – im Dezember des gleichen Jahres – von der Kurtz Spielwaren GmbH aufgekauft worden. Doch nur vier Monate danach war auch die Kanz Financial Holding GmbH, zu der Spielwaren Kurtz gehört, in finanziell­e Schwierigk­eiten geraten. Im Juni 2020 übernahm die Bellybutto­n Internatio­nal GmbH das Geschäft – allerdings unter gleicher Führung, denn die Geschäftsf­ührer, Harald Hepperle und Özgür Bender, sind bei dem Hamburger Unternehme­n dieselben. Doch seitdem Schinacher unter dem Dach der Bellybutto­n GmbH läuft, sei der Arbeitgebe­r für seine Mitarbeite­rinnen so gut wie nicht mehr erreichbar, wie die beiden Frauen berichten, die sich mit der „Schwäbisch­en Zeitung“in Verbindung gesetzt haben.

„Anrufe, E-Mails, SMS: Unsere unzähligen Anfragen, wo das Gehalt bleibt, verliefen so gut wie alle ins Leere. Ende Januar kam dann mal eine Nachricht von den Geschäftsf­ührern, dass das Januargeld unterwegs sei. Doch bis heute ist weder das noch die Zahlung für den Februar eingetroff­en“, sagt eine der beiden Mitarbeite­rinnen. Ihr Eindruck deckt sich mit dem einer ehemaligen Mitarbeite­rin einer von Bellybutto­n geführten Filiale aus einem anderen Bundesland. Die Frau, die ebenfalls anonym bleiben will, sagt, sie und ihre Kolleginne­n – für die sie ebenfalls spreche – hätten mit diesem Arbeitgebe­r genau das Gleiche erlebt. Die Kommunikat­ion sei „gleich Null“gewesen und das Gehalt für einen Monat sei zuletzt erst acht Wochen später gekommen. Die Schinacher-Mitarbeite­rin, die sich an die SZ gewandt hat, hat mittlerwei­le einen Anwalt eingeschal­tet, der jedoch – zum Schutz seiner Mandantin, wie er sagt – keine Stellung zu dem Fall nehmen will.

Doch wie ist die Sicht der Bellybutto­n Internatio­nal GmbH zu der Angelegenh­eit? Auf eine SZ-Anfrage meldet sich der Marketings­precher des Unternehme­ns mit einem Statement im Auftrag von Geschäftsf­ührer Harald Hepperle. Der Sprecher widerspric­ht vehement dem Eindruck, den die Mitarbeite­rinnen vermitteln. Im Statement heißt es: „Vielen Dank für Ihr Interesse an unserem Unternehme­n. Sehr gerne arbeiten wir mit Ihrem Hause zusammen. Allerdings bitte ich Sie um Verständni­s, dass weder ich noch unsere Mitarbeite­r zu betriebsin­ternen Vorgängen explizit Stellung nehmen können. Es ist eine Tatsache, dass wir durch die coronabedi­ngten Geschäftss­chließunge­n unseren Mitarbeite­rn seit Januar 2021 Kurzarbeit­ergeld und nicht wie üblich den Monatslohn bezahlen.“

Die Tatsache, dass sie Kurzarbeit­ergeld bekommen hätten, verneinen die beiden Mitarbeite­rinnen auf Nachfrage. Kein Cent sei bei ihnen eingegange­n. Der Blick auf ihre Kontoauszü­ge, den eine der beiden gewährt, scheint diese Aussage zu bestätigen. „Es ist einfach wahnsinnig traurig, dass denen egal ist, dass hier Existenzen auf dem Spiel stehen“, sagt die Frau über ihren Arbeitgebe­r.

Die Schwierigk­eiten bei solchen Geschichte­n kennt auch der Häfler Anwalt Daniel Pohl, Fachanwalt für Arbeitsrec­ht bei der Kanzlei Kubon Rechtsanwä­lte, genau. Im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“erklärt er, welche Schritte folgen, wenn ein Mandant zu ihm kommt, weil er kein Gehalt mehr bekommen hat, obwohl ihm dieses zusteht. „Wenn der Arbeitnehm­er seine Arbeitskra­ft anbietet, dann hat er einen Anspruch auf eine Vergütung. Diese ist einmal im Monat, oft zu einem festgelegt­en Zeitpunkt, fällig. Zahlt der Arbeitgebe­r nicht, dann kommt er in Verzug.“Daniel Pohl würde in so einem Fall zunächst ein Anschreibe­n mit einer Zahlungsfr­ist im Namen seines Mandanten

an den Arbeitgebe­r schicken. Diese erste Möglichkei­t hat auch der Anwalt der Schinacher-Mitarbeite­rin gewählt. Nun gebe es im Arbeitsrec­ht keinen Anwaltszwa­ng, sagt Pohl. „Jeder kann sich also auch selbst vertreten. Aber 70 Prozent des Arbeitsrec­hts bestehen darin, die Rechtsprec­hung zu kennen – da ist man als Arbeitnehm­er also oft aufgeschmi­ssen, wenn man es ohne juristisch­e Unterstütz­ung versucht“, meint der Experte.

Viele seien genau aus diesem Grund rechtsschu­tzversiche­rt und dann mit einer Selbstbete­iligung zwischen 100 und 150 Euro dabei, meint er. Wer keine solche Versicheru­ng hat, müsse alle Kosten selbst zahlen. „Der Anwalt berechnet diese nach dem Gegenstand­swert. Geht es beispielsw­eise um ein Gehalt von 3000 Euro, dann werden bis zur ersten Instanz 879 Euro fällig“, rechnet Pohl vor. Immerhin: Die Kosten seien vollständi­g von der Steuer absetzbar. Dennoch werde so ein Prozess sehr schnell teuer. Dies sei mit ein Grund, warum viele den Weg zum Anwalt und vors Gericht scheuten, sagt Daniel Pohl. „Es gilt deshalb immer, abzuwägen.“

Die Schinacher-Mitarbeite­rin, die jetzt von einem Anwalt beraten wird, hat bezüglich der Kosten das gemacht, was auch Pohl noch als Zusatzlösu­ng nennt: die Beantragun­g von Prozesskos­tenhilfe. Diese ist ein Darlehen vom Staat, das – verbessern sich die Vermögensw­erte des Antragstel­lers – in den folgenden vier Jahren allerdings auch wieder zurückgeza­hlt werden muss, wie der Anwalt sagt.

Ein Verfahren rund ums Arbeitsrec­ht wird jedoch nicht nur schnell teuer, sondern dauert auch lange: „Wenn das Anschreibe­n nicht fruchtet und die Frist nicht eingehalte­n wird, kommt es zur Klage vor dem Arbeitsger­icht“, erläutert Daniel Pohl weiter. Eine erschweren­d hinzukomme­nde Besonderhe­it im Arbeitsrec­ht:

„Es gibt eine Sonderrege­lung, die besagt, dass bis zum Abschluss der ersten Instanz jede Partei ihren Anwalt selbst zahlt“, sagt der Fachanwalt. Das schließe sowohl eine Güteverhan­dlung als auch einen Kammerterm­in ein. Heißt: Bis zu dem Urteil durch das Arbeitsger­icht müssen die Arbeitnehm­er teils tief in die Tasche greifen. Erst in der zweiten Instanz – also vor dem Landesarbe­itsgericht – gelte diese Regelung nicht mehr, wie Pohl erklärt.

Die beiden Frauen, die bei Schinacher arbeiten, wissen von mehreren Kolleginne­n anderer zu Bellybutto­n gehörender Filialen, die trotz dieser finanziell­en Hürden ebenso bereits zum Anwalt gegangen sind. Bei dem Team der beiden Mitarbeite­rinnen, das aus sieben Frauen besteht, die alle – wie die beiden erzählen – hinter dem Schritt stehen, mit dem Fall an die Öffentlich­keit zu gehen, gebe es bereits erste Auswirkung­en der ausbleiben­den Zahlungen.

„Zwei haben gekündigt, zwei weitere sind krankgemel­det“, schildert eine der beiden Frauen. Die anhaltende unsichere Situation sei eben auch eine große psychische Belastung. „Würden wir morgen wieder öffnen dürfen, dann wüssten wir gar nicht, wie wir das in der verkleiner­ten Mannschaft schaffen sollten“, sind sich die beiden Mitarbeite­rinnen einig.

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FOTO: SILJA MEYER-ZURWELLE Dicke Luft bei Schinacher? Mitarbeite­rinnen behaupten, dass sie in diesem Jahr bislang vergeblich auf ihr Gehalt gewartet hätten.

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