Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Das kulturelle Gedächtnis in Flammen
Beim Luftangriff 1944 verliert Friedrichshafen Städtisches Bodenseemuseum und Stadtarchiv
FRIEDRICHSHAFEN - Einst galt Friedrichshafen als „die Museumsstadt am Bodensee“schlechthin, so Stadtarchivar Jürgen Oellers. Die Folgen von Hitlers Kriegstreiberei machten diesem Ruf allerdings auf Jahrzehnte den Garaus. Denn als der Luftangriff der Alliierten am 28. April 1944 Friedrichshafen in Schutt und Asche legte, fiel auch das Städtische Bodenseemuseum in Trümmer.
Im digitalen Gesprächsformat „Debatorial“des Zeppelin-Museums hielt Jürgen Oellers einen Vortrag über die Zerstörung der städtischen Kulturschätze im Zweiten Weltkrieg. Bevor die Bomber über die Stadt flogen, konnte Friedrichshafen nicht nur mit dem Städtischen Bodenseemuseum aufwarten. „Auch die Firmen Dornier, Luftschiffbau Zeppelin und Maybach hatten museale Firmensammlungen, die sie präsentierten. Es gab in der Stadt vier große Museen“, so Oellers.
Gegründet wurde das Städtische Bodenseemuseum unter dem Namen Bodenseemuseum vom Bodensee Geschichtsverein, der über eine ausgeprägte Sammelleidenschaft verfügte. Am 8. Juli 1912, Graf Zeppelins Geburtstag, wurde das Bodenseemuseum in Anwesenheit von König Wilhelm II. von Württemberg eröffnet. Es befand sich in der Schanzstraße, am heutigen Standort der „Schwäbischen Zeitung“. Gezeigt wurden auf zwei Ebenen Gegenstände aus den Pfahlbauten und von römerzeitlichen Fundplätzen, eine Waffensammlung, frühneuzeitliche Kunstwerke, Tierpräparate, Gesteine und Versteinerungen, das Zeppelinzimmer mit Teilen des ersten Zeppelin-Luftschiffs, Trachten und liturgische Gewänder, Steinmetzarbeiten, eine renaissancezeitliche
Bürgerstube, Urkunden, Siegel und Münzen, Zinngeschirr, sowie Bilder und Gegenstände aus der Anfangszeit der Dampfschifffahrt. Unterm Dach befanden sich die Landkartensammlung und die Bibliothek des Bodensee Geschichtsvereins: die Bodenseebibliothek.
Weil dem Verein die finanziellen Mittel für den Unterhalt des Museums fehlten, schenkte er es 1927 der
Stadt Friedrichshafen. In städtischem Besitz wurde das Haus in „Städtisches Bodenseemuseum“umbenannt und weiterhin vor allem von ehrenamtlicher Arbeit getragen. 1940 wurde dem damals 35-jährigen angehenden Lehrer Ulrich Paret die ehrenamtliche Leitung des Städtischen Museums übertragen. Doch im Juni 1943 fand der erste alliierte Luftangriff statt und Paret begann, sich Sorgen um das Museum zu machen – zumal er bei der Übernahme seines Ehrenamts Unteroffizier der Flak war.
Am 30. März 1944, Paret war inzwischen nach München versetzt worden, schrieb er einen Brief an den Friedrichshafener Bürgermeister Walter Bärlin. Darin bot er Bärlin an, die Museumsbestände „in näherer oder weiterer Umgebung in Sicherheit
zu bringen“. Dazu müsste ihm beim Militär allerdings Urlaub genehmigt werden. Aber beim Bürgermeister blieb Parets Brief zweieinhalb Wochen liegen.
Bärlin, so Oellers, antwortete erst am 17. April. Er kündigte Paret an, dass die Bodenseebibliothek, die sich damals nur noch zum kleinsten Teil im Städtischen Museum befand, ausgelagert werde, ins Schloss Hohenems in Vorarlberg. Dort überstand sie heil den Zweiten Weltkrieg und befindet sich heute im Max-Grünbeck-Haus.
Das Städtische Bodenseemuseum und seine Sammlung jedoch verbrannten beim Angriff des 28. April 1944 vollständig. Ulrich Paret, erklärt Jürgen Oellers, hatte zwei Tage nach diesem Angriff, als es bereits zu spät war, Bescheid über sein Urlaubsgesuch bekommen. Es war abgelehnt worden. Reste der Sammlung, die aus den Trümmern geholt werden konnten, gingen in die Sammlung des Bodenseemuseums ein. Ulrich Paret wurde nach dem Krieg Lehrer für Latein und Geschichte am GrafZeppelin-Gymnasium und blieb bis in die 1980er-Jahre ehrenamtlicher Kustos der städtischen Sammlung, die nach dem Krieg neu aufgebaut wurde.
Aber zurück zum 28. April 1944. In dieser Nacht wurde auch das Stadtarchiv zerstört, inklusive des reichsstädtischen Archivs, die sich im Rathaus befanden. „Diese Archivalien sind unwiederbringlich weg. Es ist überhaupt nichts mehr übriggeblieben. Das ist der komplette Verlust des städtischen Gedächtnisses“, bedauert der Stadtarchivar.
Die Zerstörung fiel umso verheerender aus, weil am Abend vor dem Angriff zwei mit Kerosin befüllte Tankwagen vor dem Rathaus parkten, in dem die Archive untergebracht waren. Die Tankwagen gehörtem zu einem Bautrupp der nationalsozialistischen Organisation Todt.
Oellers stößt bei seiner Arbeit täglich auf die gähnenden Lücken des Stadtarchivs. Eine Ausnahme bilden die städtischen Bauakten. „Der damalige Stadtbaurat Markus Schaible ordnete vor dem Luftangriff an, die Stadtbauakten ins Gebäude der katholischen Elementarschule zu bringen.
Sie befand sich nördlich der Nikolauskirche, also nicht im KerosinKorridor der Tanklastzüge vor dem Rathaus“, erklärt der Stadtarchivar. Diese Bauakten über die Kernstadt reichen als einziger Archivbestand bis ins erste Drittel des 19. Jahrhunderts zurück. Sie befinden sich heute komplett im Stadtarchiv.