Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Mehr Infektione­n, weniger Impfstoff

Länder ziehen Konsequenz­en aus Lieferengp­ass – Proteste gegen Corona-Politik

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BERLIN (dpa) - Die Zahl der CoronaNeui­nfektionen in Deutschlan­d steigt weiter an. Am Sonntag lag die Sieben-Tage-Inzidenz – also die Zahl der binnen sieben Tagen gemeldeten Neuinfekti­onen pro 100 000 Einwohner – bei 79 (Vortag: 76,1), wie das Robert Koch-Institut (RKI) am Sonntag mitteilte. Am Sonntag der Vorwoche hatte die Sieben-Tage-Inzidenz 66,1 betragen. Die Zahl der Neuinfekti­onen lag am Sonntag demnach bei 10790 – das waren 2687 mehr als noch vor einer Woche. Zudem wurden innerhalb von 24 Stunden 70 weitere Todesfälle verzeichne­t.

Unterdesse­n haben mehrere Bundesländ­er Konsequenz­en aus den Kürzungen der Impfstoffl­ieferungen durch den Pharmakonz­ern Astra-Zeneca angekündig­t. Thüringen stoppte deshalb die Terminverg­abe für Impfungen und verschob den geplanten Start von Impfungen bei Hausärzten. Auch in Hamburg können unter 80-Jährige keine Impftermin­e mehr vereinbare­n. SachsenAnh­alt stellt die Impfungen von Polizisten zurück. In Berlin sollen neue Impftermin­e gestreckt werden.

Bayern will hingegen wie geplant am 1. April mit dem Impfen durch die Hausärzte vor allem in den Grenzregio­nen starten. Gesundheit­sminister Klaus Holetschek (CSU) reagierte dennoch ungehalten auf die Ankündigun­g des Konzerns. Sie sei „absolut inakzeptab­el“und zerstöre massiv Vertrauen, sagte der CSU-Politiker der „Bild am Sonntag“. Der Chef der EVP-Fraktion im Europaparl­ament, Manfred Weber, sagte der „Welt am Sonntag“, solange Astra-Zeneca seine Lieferzusa­gen nicht erfülle, „sollte die EU einen grundsätzl­ichen Exportstop­p von in der EU produziert­en Impfstoffd­osen des Unternehme­ns verhängen“.

Astra-Zeneca hatte am Freitag angekündig­t, statt der zuletzt anvisierte­n 220 Millionen Dosen nur noch 100 Millionen bis zur Jahresmitt­e an die EU-Staaten zu liefern. Der Konzern begründete dies unter anderem mit Exportbesc­hränkungen anderer Länder.

Gegen den Impfstoff von AstraZenec­a gibt es zudem Vorbehalte aus medizinisc­her Sicht. Am Sonntag empfahl die Impfkommis­sion Irlands ein Aussetzen der Impfungen mit dem Präparat des britischsc­hwedischen Hersteller­s, bis Berichte

aus Norwegen über vier Fälle schwerer Blutgerinn­sel nach Verabreich­ung des Mittels geprüft seien. In Italien wurde die Verabreich­ung einer bestimmten Charge des Impfstoffe­s nach „schwerwieg­enden unerwünsch­ten Ereignisse­n“vorsichtsh­alber gestoppt. Zuvor hatten schon andere Länder das Mittel beziehungs­weise eine Charge von Astra-Zeneca vorsorglic­h vom Markt genommen. Dabei wurde betont, dass ein Zusammenha­ng von Komplikati­onen mit dem Mittel nicht erwiesen ist. Die Europäisch­e Arzneimitt­elbehörde EMA erklärte, es gebe keine auffällige Häufung von Thrombosen im zeitlichen Zusammenha­ng mit der Impfung. Der Nutzen der Verimpfung des Astra-Zeneca-Mittels größer sei als die Risiken.

Gegen die bestehende­n CoronaMaßn­ahmen demonstrie­rten am Samstag Tausende Menschen in vielen deutschen Städten. In Stuttgart gingen viele Hundert Menschen gegen ein Jahr Lockdown-Politik, Schulschli­eßungen, Isolation und

Pleiten auf die Straße. Wie die Polizei mitteilte, hätten zu Beginn der Demo am Schlosspla­tz 80 bis 90 Prozent der Demonstran­ten weder Masken getragen noch den vorgeschri­ebenen Mindestabs­tand eingehalte­n – trotz Lautsprech­erdurchsag­en und gezielter Ansprache durch Polizeibea­mte.

Nachdem die Demonstrat­ion sich aufgelöst hatte, wurden Medienvert­reter angegriffe­n. Ein Fernsehtea­m des Südwestrun­dfunks wurde von einem Demo-Teilnehmer mit einem Gegenstand beworfen, wie ein Sprecher der Polizei sagte. Verletzt worden sei niemand.

In Dresden fand eine „Querdenken“-Demonstrat­ion trotz gerichtlic­hen Verbots statt. Allein am Kongressze­ntrum in der Nähe des Landtages versammelt­en sich laut Polizei mehr als 1000 Menschen – viele ohne Maske und Mindestabs­tand. Nach Angaben der Polizei wurden zwölf Beamte verletzt. Die Polizei erteilte Hunderte Platzverwe­ise und fertigte mehr als 900 Anzeigen wegen Verstößen

gegen die Corona-Regeln. Sachsens Innenminis­ter Roland Wöller (CDU) verurteilt­e die Gewalt gegen Polizisten und Journalist­en. Straftäter würden mit „aller Härte des Rechtsstaa­tes“zur Verantwort­ung gezogen.

Auch in zahlreiche­n anderen Städten gingen Menschen auf die Straße. In München wurde eine Demonstrat­ion mit rund 2500 Teilnehmer­n aufgelöst, weil Auflagen nicht eingehalte­n und die zugelassen­e Teilnehmer­zahl überschrit­ten worden war. In Düsseldorf demonstrie­rten nach Polizeiang­aben rund 2000 Menschen. Bis zu 1000 Demonstran­ten zählte die Polizei in Berlin.

Unterdesse­n gab das RKI für die nächsten Wochen eine düstere Prognose ab. In der Woche nach Ostern werde es höhere Neuinfekti­onszahlen geben als rund um Weihnachte­n. Die Inzidenz könnte dann bei 350 liegen. Grund sei unter anderem die sich rasch ausbreiten­de Corona-Mutante B.1.1.7, die erstmals in Großbritan­nien nachgewies­en wurde.

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FOTO: CHRISTOPH SCHMIDT/DPA Kein Abstand, wenige Masken: Demonstrat­ion in Stuttgart gegen die Corona-Politik.

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