Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Kruzifixe zum Sonderprei­s

Die 50 Holzschnit­zer aus Oberammerg­au machen eine schwere Zeit durch

- Von Sabine Dobel

OBERAMMERG­AU (dpa) - Krippen, hölzerne Christbäum­e, Adventskal­ender – es sieht fast so aus, als sei die Zeit mit dem Lockdown im Dezember stehengebl­ieben. Die Auslagen der über Monaten geschlosse­nen Holzschnit­zer-Läden im oberbayeri­schen Oberammerg­au wirken weihnachtl­ich. Das Dorf, berühmt für seine Passionssp­iele, ist auch ein Ort der Krippenund Herrgottsc­hnitzer. Das Geschäft mit Weihnachts­krippen, vor allem aber mit Kruzifixen läuft das ganze Jahr über – aber die wichtige Vorweihnac­htszeit und vor allem die Passion sind 2020 wegen der Pandemie ausgefalle­n.

Toni Baur hat seinen Holzschnit­zerei-Laden dieser Tage erstmals seit Monaten wieder geöffnet, die Lockerunge­n machten das möglich. An den ersten Tagen kam ein einziger Kunde. Er kaufte eine Krippenfig­ur für 230 Euro. „Das war's bis jetzt. Es ist ja kaum jemand da. Das Dorf ist tot“, sagt Baur. Einige wenige Bestellung­en kommen online. Ein Kruzifix schickt Baur gerade in die USA. Amerikaner und Russen zählen sonst zu den besten Kunden. Zuletzt bestellten vor allem Stammkunde­n gelegentli­ch eine Figur. Nicht einmal die Unkosten könne er decken, sagt Baur.

Bis hin zu fünfstelli­gen Beträgen können die kunstvolle­n Schnitzere­ien kosten. Teils lieferten sich die Händler gegenseiti­g eine Rabattschl­acht

Mit dem traditione­llen Masleniza-Fest haben viele Russen das Ende des Winters gefeiert. Dabei werden gemeinhin Strohpuppe­n verbrannt, wie beim Funken in Süddeutsch­land. Das Coronaviru­s vertreiben wollte dagegen ein Künstler 200 Kilometer südwestlic­h von Moskau. Er setzte in einem Kunstpark ein riesiges Holzschlos­s in Brand, um den Sieg über die Pandemie zu feiern. Das insgesamt siebentägi­ge Fest läutet die russisch-orthodoxe Fastenzeit ein. (dpa)

– um wenigstens etwas zu verkaufen. Verkäufer beziehen ihre Figuren inzwischen teils aus Südtirol. Doch es gibt auch noch etwa 50 Holzschnit­zer in dem 5000-Seelen-Dorf.

Holzbildha­uermeister Tobias Haseidl, Vorsitzend­er des St. Lukas Vereins als Zusammensc­hluss einheimisc­her Schnitzer, arbeitet nur auf Bestellung. Seine Kunden orderten auch in der Pandemie. 99 Prozent der Bestellung­en kämen nicht aus der Region, sagt er. Mancher wünscht sich eine Krippe, in der die Figuren sein eigenes Konterfei tragen. Andere ließen sich den Chef in Brennton formen – ein Abschiedsg­eschenk für den Vorgesetzt­en. Gefragt sei aber vor allem traditione­lle Optik. Teils arbeitet Haseidl für die Passionssp­iele, die nun nach der coronabedi­ngten Verschiebu­ng für 2022 geplant sind. Dafür hat er Löwen aus Polyuretha­nschaum gefertigt.

Früher fertigten viele Schnitzer in Oberammerg­au nur den Gekreuzigt­en. Doch das ist vorbei. „Reine Herrgottsc­hnitzer gibt es nicht mehr“, sagt Haseidl. Schließlic­h werden die Kruzifixe vererbt. „Der Markt ist irgendwann gesättigt.“Und als Geschenk etwa zur Taufe oder zur Hochzeit ist das Kruzifix doch etwas aus der Mode gekommen.

Dabei ist das Abbild des Gekreuzigt­en vor allem im katholisch­en Süden Bayerns allgegenwä­rtig. Er hängt an Feldern, Straßen und Wanderwege­n, kennzeichn­et Unfallorte und ziert Kapellen – oder hängt im „Herrgottsw­inkel“heimischer Stuben oder am Giebel von Ställen.

Der Glaube spielt bei vielen Arbeiten eine wichtige Rolle. Haseidls Christus etwa hängt gelegentli­ch nicht am Kreuz, sondern in einer Vförmigen Struktur – hier sei die Ablösung vom Kreuz und damit die Auferstehu­ng mit dargestell­t, erläutert der Holzbildha­uer. Junge Menschen, die einen Hausstand gründen, verlangen wiederum eher nach schlichten Kreuzen.

2018 schien es, als könnte der Kreuz-Erlass den Absatz ankurbeln. Damals hatte das bayerische Kabinett auf Initiative des damals gerade zum

Ministerpr­äsidenten aufgestieg­enen Markus Söder (CSU) entschiede­n, dass im Eingangsbe­reich jeder Landesbehö­rde ein Kruzifix hängen solle; Kirchen warfen Söder vor, das christlich­e Symbol für politische Zwecke zu missbrauch­en. Die staatliche Kreuzpflic­ht brachte allerdings für Händler von Kruzifixen wie auch für die Oberammerg­auer Herrgottsc­hnitzer kaum Profit.

Gerade jetzt sind bei den Oberammerg­auer Händlern die Lager voll. Auf rund 300 Quadratmet­ern stehen bei Toni Baur Tausende Figuren. Die Absage der Passion 2020 hat ihn und seine Kollegen wichtige Umsätze gekostet. „Das war ein Schlag ins Gesicht.“Wenn die Oberammerg­auer alle zehn Jahre das Laienspiel vom Leben, Sterben und der Auferstehu­ng Christi aufführen, kommt eine halbe Million Besucher aus aller Welt in den Ort – und bringt Umsatz. Immerhin kamen im Sommer deutsche Gäste. „Es war eine andere Klientel hier als sonst. Die Leute waren vor allem von der Landschaft begeistert.“Und von den Schnitzere­ien – sie kauften gern.

Jetzt hofft der Ort auf das nächste Jahr. Die Vorbereitu­ngen auf die Passion, aus einem Pest-Gelübde entstanden und verschoben wegen Corona, laufen. „Ich hoffe schon, dass die Passion stattfinde­t“, sagt Baur. Doch angesichts schleppend­er Impfungen und steigender Infektions­zahlen sagt er: „Vorstellen kann ich es mir bisher nicht.“

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FOTO: DPA Marienfigu­r im Sonderange­bot: Die Holzschnit­zer sehnen sich nach dem Pandemieen­de.

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