Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Kurze Geschichte der Sklaverei

Kenntnisre­ich und kompakt erklärt der Berliner Historiker Andreas Eckert den Kolonialis­mus

- Von Reinhold Mann

Manche dieser schmalen Bücher, die in der Reihe „Wissen“des Beck-Verlags erscheinen, sind bewunderns­wert, weil sie einen breiten Forschungs­stand auf engstem Raum zusammenfa­ssen. Das neue Buch des Berliner Historiker­s Andreas Eckert gehört dazu.

Seine „Geschichte der Sklaverei“liegt im Trend der Programme der Verlage, die in diesem Frühjahr verstärkt Kolonialth­emen aufgreifen. Der Untertitel „Von der Antike bis ins 21. Jahrhunder­t“trägt allerdings dick auf. Denn Eckert konzentrie­rt sich darauf, das landläufig­e Bild von Sklaven als aus Afrika verschlepp­ten Plantagena­rbeitern aufzuberei­ten. Das liegt angesichts der aktuellen Diskussion­en über Rassismus nahe. Der Preis dieser Fokussieru­ng ist freilich, dass die „massiven Sklavereie­n im arabischen Raum und in Asien“, wie Eckert selbst beklagt, nur ansatzweis­e berücksich­tigt werden können. Aus globaler Perspektiv­e übertraf die Sklaverei in den Wirtschaft­ssystemen entlang des Indischen Ozeans den transatlan­tischen Menschenha­ndel bei Weitem. Aber in Asien lassen sich die Formen der Sklaverei nicht einfach auf die rassistisc­he Polarisier­ung von Schwarz und Weiß zuschneide­n.

Daher ist das Kernthema des Buches die, wenn man so will, „klassische“Vorstellun­g von Sklaverei: also die Schilderun­g der Zustände während der Passage über den Atlantik und die Arbeit auf den Zuckerrohr­und Baumwollpl­antagen in Nordund Südamerika sowie in der Karibik, vor allem in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunder­ts, die als „goldenes Zeitalter“der Sklaverei gilt. Eckert bestellt dieses Feld mit beachtlich­em Perspektiv­enreichtum. Er arbeitet die Forschung aus England und den USA auf. Schließlic­h hat auch die Bewegung

zur Abschaffun­g des Sklavenhan­dels in diesen Staaten ihre Ursprünge. England beginnt damit 1807. Eckert stellt dar, welche Auswirkung­en das System der Knechtund Leibeigens­chaft in Amerika auch auf die Wirtschaft und die Gesellscha­ft in Europa hatte.

Für England arbeitet er heraus, wie die Bewegung zur Abschaffun­g des Sklavenhan­dels aus einem Geist des Protestant­ismus entstanden ist. Man verband das Mitleid mit den Versklavte­n mit der „Verheißung eines reinen Gewissens“. Der englischen Bewegung des Abolitioni­smus gelang so eine Politisier­ung des Gefühls: „Mit jedem Löffelgrif­f in die Zuckerdose schien das Seufzen der unsichtbar­en Sklaven zu ertönen.“

So lieferte die Sklaverei nicht nur die materielle­n Voraussetz­ungen, sondern zugleich auch – über das Engagement für ihre Abschaffun­g – den moralische­n Überbau des britischen Imperialis­mus. Außenminis­ter Palmerston fasste dieses Selbstvers­tändnis 1848 so zusammen: „Wir stehen an der Spitze moralische­r, politische­r und sozialer Zivilisati­on. Unsere Aufgabe ist es, die Entwicklun­g anderer Nationen zu lenken.“

Dass die Sklaverei eine langlebige und verbreitet­e Institutio­n ist, macht Eckert in seinem Schlusskap­itel noch einmal zum Thema, wenn er auf die gegenwärti­gen Zustände eingeht. Schätzunge­n kommen auf 35 Millionen Sklaven weltweit. Interessan­t sind auch Eckerts Anmerkunge­n über die sich ausweitend­en „prekären“Arbeitsbed­ingungen in Europa. Man wünscht daher diesem Kapitel viele Leser – wie überhaupt dem dünnen, aber kenntnisre­ich konzentrie­rten Buch.

Andreas Eckert: Geschichte der Sklaverei. Von der Antike bis ins 21. Jahrhunder­t.

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Sklaven schneiden Zuckerrohr auf einer Plantage auf der Karibikins­el Antigua, Stich nach William Clark um 1823.
FOTO: WIKI COMMONS C.H. Beck, 128 Seiten, 9,95 Euro. Sklaven schneiden Zuckerrohr auf einer Plantage auf der Karibikins­el Antigua, Stich nach William Clark um 1823.

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