Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Riebsamen: Schlimmes Ergebnis für die CDU
Politiker aus dem Bodenseekreis äußern sich zur Landtagswahl 2021 Landrat: Wähler sind ihrer Verantwortung bewusst gewesen
BODENSEEKREIS - Martin Hahn (Grüne) und Klaus Hoher (FDP) sind die strahlenden Sieger, ihre Ziele nicht erreicht haben bei der Landtagswahl im Bodenseekreis am Sonntag (Wahlkreis 67) Dominique Emerich
(CDU), Jasmina Brancazio (SPD) und Christoph Högel (AfD). Die SZ fragte Politiker aus der Region nach ihrer Meinung zum Wahlergebnis.
„Die Wahlbeteiligung von über 67 Prozent ist unter den Umständen bemerkenswert“, sagt die Wähler und Wählerinnen seien sich ihrer Verantwortung bewusst gewesen. Mehr als die Hälfte der Stimmen sei über Briefwahl abgegeben worden. „Man darf ihm dazu herzlich gratulieren“, sagt Landrat Wölfle in Richtung Martin Hahn (Grüne), der zum zweiten Mal in Folge das Direktmandat holte und sein Ergebnis von 2016 noch steigerte. „Klaus Hoher ist einer, der überall präsent ist, man nimmt ihn überall wahr“, sagt der Landrat zum hervorragenden Abschneiden des FDPManns im Bodenseekreis, das sei das Dankeschön des Wählers dafür. Der Kandidatin seiner eigenen Partei, Dominique Emerich, „hätte ich mehr gewünscht“, sagt Wölfle etwas enttäuscht. Nach einem ersten Blick auf die Zahlen habe Hoher der CDU wohl einige Stimmen abgenommen. Mit Online-Terminen sei es in der aktuellen Sondersituation für jeden, der neu antritt, extrem schwierig. Das gelte auch für die SPD, die ja wie die AfD im Wahlkreis 67 Verluste erlitten hat. „Ich hätte mir eine stärkere Position der SPD gewünscht“, meinte Wölfle mit Blick auf diese beiden Parteien vielsagend.
Wölfle (CDU), Landrat Lothar Lothar Riebsamen (CDU, MdB)
ist enttäuscht. Es sei nach den Umfragen ja schon klar gewesen, dass die Bäume nicht in den Himmel wachsen könnten, aber mit einem derartig schlechten Ergebnis habe er nicht gerechnet. Dabei betont er mehrmals, dass er dieses nicht der CDUKandidatin des Bodenseekreises, Dominique Emerich, ankreiden will. „Sie hat getan, was sie konnte, sie musste sich zunächst einmal bekannt machen und das während der Corona-Pandemie. Das hat sie wunderbar gemacht“, sagt Lothar Riebsamen, der ihr auch ans Herz legen möchte, dran zu bleiben. Sie solle jetzt nicht alles das aufgeben, was sie erreicht habe, dann habe sie bei der nächsten Wahl schon einen deutlichen Vorteil. Im Übrigen mache sie eine gute Arbeit.
Das Ergebnis auf Landesebene, aber auch im Landkreis, sieht Riebsamen
als „schlimm“an. Als „schlimm“bezeichnet er aber auch das Ergebnis, das die AfD eingefahren hat, eine Partei, die vom Verfassungsschutz als Verdachtsfall geführt werden sollte. „Wer kann denn eine solche Partei wählen, wenn sie verfassungsfeindlich ist?“, fragt er. Grundsätzlich aber beschäftigen ihn die Gründe der Verluste der Union. Als wichtigste Ursache sieht er die allgemeine politische Situation. „Es gab keine Wechselstimmung. Selbst CDU-Wähler haben gesagt, sie könnten sich Kretschmann als Ministerpräsidenten weiterhin vorstellen.“Die Auseinandersetzungen um Impfstoffe und Impftermine lässt er als Ursache außen vor. Auch die Affären um die Masken-Provisionen, in die Unionspolitiker auf Bundesebene verstrickt sind, sieht er nicht als Ursache an. Wohl aber könnte das ewige Hin und Her bei der Öffnung der Schulen und die Auseinandersetzungen von Susanne Eisenmann und dem Ministerpräsidenten eine Rolle in diesem Fall zum Nachteil für die CDU gespielt haben. Fehler in der Pandemie seien nicht auf Landesebene gemacht worden, sondern in der EU und beim Bund.
Volker Mayer-Lay, CDU-Kreisvorsitzender
CDU Vorsitzende des Bodenseekreises, Volker Mayer-Lay,
Auch der
sieht das enttäuschende Ergebnis der Union im Land und im Kreis nicht als Folge der Kandidatur von Dominique Emerich. Sie habe einen guten Fernwahlkampf geführt, habe das Problem gehabt, als neue Kandidatin sich erst einmal bekannt machen zu müssen. „Ich wüsste aber nicht, was sie hätte besser machen können“, sagt Mayer-Lay.
„Wir gingen nach den letzten Umfragen nicht mehr davon aus, dass es rosig werden würde“, da sitze der Schock nicht ganz so tief, sagt Mayer-Lay. Die Ursachen für die Wahlschlappe sieht der Kreisvorsitzende in vielen Punkten. Da seien diejenigen, denen die Corona-Maßnahmen zu streng gewesen sind, aber auch jene, denen es nicht weit genug ging. Auch die Debatten um Impfstoffe und Impftermine seien der Bundes-CDU angelastet worden, „auch wenn hier der grüne Landesminister Lucha nicht ganz unbeteiligt ist“. Volker Mayer-Lay sieht auch in der Person Susanne Eisenmanns eine Ursache, sie habe es als Spitzenkandidatin nicht geschafft und sei als Kultusministerin auch aus einer ungünstigen Position heraus gestartet. Die Probleme des Schulsystems, in der Pandemie plötzlich digitalisiert auftreten zu müssen, seien ihr auf die Füße gefallen, auch wenn das an sich schon vorher klar gewesen sei, dass das nicht in einem Jahr zu schaffen ist. Mit Öffnungsstrategien der Schulen habe sie keine klare Linie vertreten.
Markus Böhlen, Kreisvorstand Grüne
Große Freude herrscht am Sonntagabend dagegen beim Grünen-Kreisvorstand Markus Böhlen: „Ich bin natürlich sehr glücklich über das Ergebnis. Aber ich hatte nicht daran gezweifelt, dass wir die stärkste Partei im Land werden.“Wegen der aktuellen Lage und der angespannten, gesellschaftlichen Stimmung habe er es trotzdem nicht ganz absehen können, wie das Wahlergebnis ausfallen könnte. Grün-Rot sei seine favorisierte Koalition, so Böhlen. Aber auch mit einer Ampel könnte er gut leben.
Die Grünen-Fraktion gehe auch im Bodenseekreis mit Rückenwind in die kommenden Jahre. „Wir haben hier schon Spezialthemen im Kreis, wie etwa der Regionalplan. Auch den Schwerlastverkehr müssen wir reduzieren.“ Die Wahl sei ein deutliches Zeichen, dass die Wähler da eine klimafreundliche Lösung suchen, so der Kreisvorstand. Außerdem sei das Ergebnis eine deutliche Bestätigung für die Arbeit von Martin Hahn. „Er war sehr präsent im Wahlkampf und hat viele Themen angesprochen. Er ist sehr engagiert hier am Bodensee“, sagt Böhlen.
Feierstimmung herrsche auch bei ihr, sagt Anna Hochmuth, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Friedrichshafener Gemeinderat: „Die Wählerinnen und Wähler haben gesehen, dass wir einen großen Gestaltungswillen haben. Die Grünen sind nicht mehr wegzudenken, weder in unserer Fraktionsstärke, noch unsere Ideen.“Auch, dass im Wahlkampf durchaus kommunale und regionale Themen wichtig waren, nicht nur die Landespolitik, sei deutlich geworden, sagt Hochmuth: „Wir wurden zum Beispiel auf mehr Radverkehr für Friedrichshafen angesprochen oder mehr Klimaschutzziele für die Stadt.“Die Grüne Jugend habe die Grünen im Wahlkampf gestärkt und wünsche sich eine grün-geführte, progressive Landesregierung.
Norbert Zeller (SPD), Kreistagsfraktionsvorsitzender
Norbert Zeller, Kreistagsfraktionsvorsitzender der SPD,
ist enttäuscht und sieht rückblickend ein Problem im Wahlkampf bei den quasi komplett ausgefallenen Kontakten mit Wählern: „Neue Kandidatinnen und Kandidaten hatten es schwerer als Landtagsabgeordnete, die man schon kennt. Jasmina Brancazio hat bei allen Menschen, die sie persönlich getroffen hat, starken Eindruck hinterlassen. Das macht Hoffnung für die Zukunft der SPD.“Die Wahl zeige, dass es eine konservative grüne Wählerschaft im Land gebe und das hänge sehr an Ministerpräsident
Kretschmann. „Ich plädiere für eine Regierungsbeteiligung der SPD. Grün-Rot wird vermutlich nicht alleine reichen, aber eine Ampel-Koalition wäre ein Vorteil gegenüber der Grün-Schwarzen Regierung“.
Leon Hahn, Kreisvorsitzender der SPD im Bodenseekreis
und Bundestagskandidat, hat trotz ausbaufähigem Ergebnis Hoffnung für die Regierungsbildung im Land. Mit um die zehn Prozent für die SPD sei er aber nicht zufrieden: „Wir sind keine Zehn-ProzenPartei. Aber die Zahlen geben Mut, dass wir eine andere Koalition im Land umsetzen können. Baden-Württemberg braucht eine andere Regierung und die SPD will regieren und mitgestalten.“Die SPD stabilisiere sich aus seiner Sicht. „Wir hatten mit Jasmina Brancazio eine Kandidatin, die das junge und moderne Gesicht der SPD vertreten hat. Wir haben gutes Personal und wir müssen uns nicht verstecken“, so Hahn. Das Ein-Stimmen-Wahlrecht habe sich vermutlich nicht gut für die SPD ausgewirkt, da viele Wählerinnen und Wähler sicher für den Ministerpräsidenten und damit für Grün gestimmt haben. „Den Wahlkampf unter Pandemiebedingungen kannte noch niemand, darum war es auch so schwer vorherzusehen, wie sich die Wahl entwickeln wird“, sagt der SPDler. Die CDU sei aus seiner Sicht die klare Verliererin der Wahl, sowohl im Land als auch im Bodenseekreis.
Hans-Peter Wetzel, Kreisvorsitzender der FDP,
Für
Leon Hahn, SPD-Kreistagsvorsitzender
Hans-Peter Wetzel, Kreisvorsitzender der FDP
ist der Wahlabend ein guter Abend. „Es ist das beste Ergebnis für die FDP bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg seit 1968“, sagt Wetzel. „Besser geht’s nicht.“Die FDP sei nicht nur die Partei mit den höchsten Zuwächsen, sondern sogar die einzige
Partei, die bei dieser Wahl überhaupt zugelegt habe. Das sei auf die gute Arbeit des Fraktionsvorsitzenden und des Landesvorsitzenden zurückzuführen. „Hoffentlich hält die gute Stimmung bis in den
Herbst“, sagt
Wetzel mit Blick auf die Bundes- tagswahl im Sep- tember. Eine Regierungsbeteiligung der FDP halte er für möglich, doch das sei von den Sondierungsgesprächen abhängig. „Die FDP müsste ihr Programm im Koalitionsvertrag schon wiederfinden“, sagt er.
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Das gute Ergebnis der FDP sei sicherlich auf den Kandidaten Klaus Hoher zurückzuführen sagt
Gaby Lamparsky, Vorsitzende des FDPOrtsverbands Friedrichshafen und stellvertretende Kreisvorsitzende,
Im Wahlkreis Bodensee liege das Ergebnis mit rund 13 Prozent sogar über dem Landesdurchschnitt. Hoher habe den Wahlkreis in den vergangenen fünf
Jahren in Stuttgart vertreten und sei gleichzeitig im Bodenseekreis sehr präsent gewesen. Dass die FDP Teil einer Regierungskoalition wird, hält Gaby Lamparsky durchaus für realistisch. „Ministerpräsident Kretschmann hatte vor der Wahl angekündigt, dass er mit allen demokratischen Parteien sondieren möchte“, sagt sie.
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Roberto Salerno (Die Linke)
„Wir haben uns zwar gesteigert, aber es ist nicht das erwartete Ergebnis“, sagt
Roberto Salerno, Kreistagsabgeordneter der Linken.
Eigentlich seien er und seine Parteikollegen überzeugt gewesen, dass ihre Themen, wie sozialer Wohnungsbau oder auch Umwelt mehr Anklang finden würden. Trotz des unter den Erwartungen bleibenden Ergebnisses bescheinigt er dem Landtagskandidaten Sander Frank einen „sehr guten Wahlkampf“. Am Ende suchen die Menschen seiner Meinung nach aber vor allem nach „starken Persönlichkeiten im Wahlkampf. Da haben die Grünen mit ihrer Gallionsfigur Kretschmann gewonnen.“So eine Persönlichkeit hätte die Linke in Baden-Württemberg wiederum nicht gehabt. Allerdings zeigt er sich etwas enttäuscht von der bisherigen Leistung der Regierungspartei: „Die Umsetzung der letzten Wahlversprechen zeigt derzeit eine eher traurige Bilanz. Da hätte ich mehr erwartet.“
Anfragen der „Schwäbischen Zeitung“an den
AfD-Kreisvorsitzenden Detlev Gallandt AfDBundestagsabgeordnete Alice Weidel
und die
blieben bis Redaktionsschluss um 23.30 Uhr unbeantwortet.