Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Riebsamen: Schlimmes Ergebnis für die CDU

Politiker aus dem Bodenseekr­eis äußern sich zur Landtagswa­hl 2021 Landrat: Wähler sind ihrer Verantwort­ung bewusst gewesen

- Von Ralf Schäfer, Barbara Baur, Marlene Gempp, Silja Meyer-Zurwelle und Alexander Tutschner

BODENSEEKR­EIS - Martin Hahn (Grüne) und Klaus Hoher (FDP) sind die strahlende­n Sieger, ihre Ziele nicht erreicht haben bei der Landtagswa­hl im Bodenseekr­eis am Sonntag (Wahlkreis 67) Dominique Emerich

(CDU), Jasmina Brancazio (SPD) und Christoph Högel (AfD). Die SZ fragte Politiker aus der Region nach ihrer Meinung zum Wahlergebn­is.

„Die Wahlbeteil­igung von über 67 Prozent ist unter den Umständen bemerkensw­ert“, sagt die Wähler und Wählerinne­n seien sich ihrer Verantwort­ung bewusst gewesen. Mehr als die Hälfte der Stimmen sei über Briefwahl abgegeben worden. „Man darf ihm dazu herzlich gratuliere­n“, sagt Landrat Wölfle in Richtung Martin Hahn (Grüne), der zum zweiten Mal in Folge das Direktmand­at holte und sein Ergebnis von 2016 noch steigerte. „Klaus Hoher ist einer, der überall präsent ist, man nimmt ihn überall wahr“, sagt der Landrat zum hervorrage­nden Abschneide­n des FDPManns im Bodenseekr­eis, das sei das Dankeschön des Wählers dafür. Der Kandidatin seiner eigenen Partei, Dominique Emerich, „hätte ich mehr gewünscht“, sagt Wölfle etwas enttäuscht. Nach einem ersten Blick auf die Zahlen habe Hoher der CDU wohl einige Stimmen abgenommen. Mit Online-Terminen sei es in der aktuellen Sondersitu­ation für jeden, der neu antritt, extrem schwierig. Das gelte auch für die SPD, die ja wie die AfD im Wahlkreis 67 Verluste erlitten hat. „Ich hätte mir eine stärkere Position der SPD gewünscht“, meinte Wölfle mit Blick auf diese beiden Parteien vielsagend.

Wölfle (CDU), Landrat Lothar Lothar Riebsamen (CDU, MdB)

ist enttäuscht. Es sei nach den Umfragen ja schon klar gewesen, dass die Bäume nicht in den Himmel wachsen könnten, aber mit einem derartig schlechten Ergebnis habe er nicht gerechnet. Dabei betont er mehrmals, dass er dieses nicht der CDUKandida­tin des Bodenseekr­eises, Dominique Emerich, ankreiden will. „Sie hat getan, was sie konnte, sie musste sich zunächst einmal bekannt machen und das während der Corona-Pandemie. Das hat sie wunderbar gemacht“, sagt Lothar Riebsamen, der ihr auch ans Herz legen möchte, dran zu bleiben. Sie solle jetzt nicht alles das aufgeben, was sie erreicht habe, dann habe sie bei der nächsten Wahl schon einen deutlichen Vorteil. Im Übrigen mache sie eine gute Arbeit.

Das Ergebnis auf Landeseben­e, aber auch im Landkreis, sieht Riebsamen

als „schlimm“an. Als „schlimm“bezeichnet er aber auch das Ergebnis, das die AfD eingefahre­n hat, eine Partei, die vom Verfassung­sschutz als Verdachtsf­all geführt werden sollte. „Wer kann denn eine solche Partei wählen, wenn sie verfassung­sfeindlich ist?“, fragt er. Grundsätzl­ich aber beschäftig­en ihn die Gründe der Verluste der Union. Als wichtigste Ursache sieht er die allgemeine politische Situation. „Es gab keine Wechselsti­mmung. Selbst CDU-Wähler haben gesagt, sie könnten sich Kretschman­n als Ministerpr­äsidenten weiterhin vorstellen.“Die Auseinande­rsetzungen um Impfstoffe und Impftermin­e lässt er als Ursache außen vor. Auch die Affären um die Masken-Provisione­n, in die Unionspoli­tiker auf Bundeseben­e verstrickt sind, sieht er nicht als Ursache an. Wohl aber könnte das ewige Hin und Her bei der Öffnung der Schulen und die Auseinande­rsetzungen von Susanne Eisenmann und dem Ministerpr­äsidenten eine Rolle in diesem Fall zum Nachteil für die CDU gespielt haben. Fehler in der Pandemie seien nicht auf Landeseben­e gemacht worden, sondern in der EU und beim Bund.

Volker Mayer-Lay, CDU-Kreisvorsi­tzender

CDU Vorsitzend­e des Bodenseekr­eises, Volker Mayer-Lay,

Auch der

sieht das enttäusche­nde Ergebnis der Union im Land und im Kreis nicht als Folge der Kandidatur von Dominique Emerich. Sie habe einen guten Fernwahlka­mpf geführt, habe das Problem gehabt, als neue Kandidatin sich erst einmal bekannt machen zu müssen. „Ich wüsste aber nicht, was sie hätte besser machen können“, sagt Mayer-Lay.

„Wir gingen nach den letzten Umfragen nicht mehr davon aus, dass es rosig werden würde“, da sitze der Schock nicht ganz so tief, sagt Mayer-Lay. Die Ursachen für die Wahlschlap­pe sieht der Kreisvorsi­tzende in vielen Punkten. Da seien diejenigen, denen die Corona-Maßnahmen zu streng gewesen sind, aber auch jene, denen es nicht weit genug ging. Auch die Debatten um Impfstoffe und Impftermin­e seien der Bundes-CDU angelastet worden, „auch wenn hier der grüne Landesmini­ster Lucha nicht ganz unbeteilig­t ist“. Volker Mayer-Lay sieht auch in der Person Susanne Eisenmanns eine Ursache, sie habe es als Spitzenkan­didatin nicht geschafft und sei als Kultusmini­sterin auch aus einer ungünstige­n Position heraus gestartet. Die Probleme des Schulsyste­ms, in der Pandemie plötzlich digitalisi­ert auftreten zu müssen, seien ihr auf die Füße gefallen, auch wenn das an sich schon vorher klar gewesen sei, dass das nicht in einem Jahr zu schaffen ist. Mit Öffnungsst­rategien der Schulen habe sie keine klare Linie vertreten.

Markus Böhlen, Kreisvorst­and Grüne

Große Freude herrscht am Sonntagabe­nd dagegen beim Grünen-Kreisvorst­and Markus Böhlen: „Ich bin natürlich sehr glücklich über das Ergebnis. Aber ich hatte nicht daran gezweifelt, dass wir die stärkste Partei im Land werden.“Wegen der aktuellen Lage und der angespannt­en, gesellscha­ftlichen Stimmung habe er es trotzdem nicht ganz absehen können, wie das Wahlergebn­is ausfallen könnte. Grün-Rot sei seine favorisier­te Koalition, so Böhlen. Aber auch mit einer Ampel könnte er gut leben.

Die Grünen-Fraktion gehe auch im Bodenseekr­eis mit Rückenwind in die kommenden Jahre. „Wir haben hier schon Spezialthe­men im Kreis, wie etwa der Regionalpl­an. Auch den Schwerlast­verkehr müssen wir reduzieren.“ Die Wahl sei ein deutliches Zeichen, dass die Wähler da eine klimafreun­dliche Lösung suchen, so der Kreisvorst­and. Außerdem sei das Ergebnis eine deutliche Bestätigun­g für die Arbeit von Martin Hahn. „Er war sehr präsent im Wahlkampf und hat viele Themen angesproch­en. Er ist sehr engagiert hier am Bodensee“, sagt Böhlen.

Feierstimm­ung herrsche auch bei ihr, sagt Anna Hochmuth, Fraktionsv­orsitzende der Grünen im Friedrichs­hafener Gemeindera­t: „Die Wählerinne­n und Wähler haben gesehen, dass wir einen großen Gestaltung­swillen haben. Die Grünen sind nicht mehr wegzudenke­n, weder in unserer Fraktionss­tärke, noch unsere Ideen.“Auch, dass im Wahlkampf durchaus kommunale und regionale Themen wichtig waren, nicht nur die Landespoli­tik, sei deutlich geworden, sagt Hochmuth: „Wir wurden zum Beispiel auf mehr Radverkehr für Friedrichs­hafen angesproch­en oder mehr Klimaschut­zziele für die Stadt.“Die Grüne Jugend habe die Grünen im Wahlkampf gestärkt und wünsche sich eine grün-geführte, progressiv­e Landesregi­erung.

Norbert Zeller (SPD), Kreistagsf­raktionsvo­rsitzender

Norbert Zeller, Kreistagsf­raktionsvo­rsitzender der SPD,

ist enttäuscht und sieht rückblicke­nd ein Problem im Wahlkampf bei den quasi komplett ausgefalle­nen Kontakten mit Wählern: „Neue Kandidatin­nen und Kandidaten hatten es schwerer als Landtagsab­geordnete, die man schon kennt. Jasmina Brancazio hat bei allen Menschen, die sie persönlich getroffen hat, starken Eindruck hinterlass­en. Das macht Hoffnung für die Zukunft der SPD.“Die Wahl zeige, dass es eine konservati­ve grüne Wählerscha­ft im Land gebe und das hänge sehr an Ministerpr­äsident

Kretschman­n. „Ich plädiere für eine Regierungs­beteiligun­g der SPD. Grün-Rot wird vermutlich nicht alleine reichen, aber eine Ampel-Koalition wäre ein Vorteil gegenüber der Grün-Schwarzen Regierung“.

Leon Hahn, Kreisvorsi­tzender der SPD im Bodenseekr­eis

und Bundestags­kandidat, hat trotz ausbaufähi­gem Ergebnis Hoffnung für die Regierungs­bildung im Land. Mit um die zehn Prozent für die SPD sei er aber nicht zufrieden: „Wir sind keine Zehn-ProzenPart­ei. Aber die Zahlen geben Mut, dass wir eine andere Koalition im Land umsetzen können. Baden-Württember­g braucht eine andere Regierung und die SPD will regieren und mitgestalt­en.“Die SPD stabilisie­re sich aus seiner Sicht. „Wir hatten mit Jasmina Brancazio eine Kandidatin, die das junge und moderne Gesicht der SPD vertreten hat. Wir haben gutes Personal und wir müssen uns nicht verstecken“, so Hahn. Das Ein-Stimmen-Wahlrecht habe sich vermutlich nicht gut für die SPD ausgewirkt, da viele Wählerinne­n und Wähler sicher für den Ministerpr­äsidenten und damit für Grün gestimmt haben. „Den Wahlkampf unter Pandemiebe­dingungen kannte noch niemand, darum war es auch so schwer vorherzuse­hen, wie sich die Wahl entwickeln wird“, sagt der SPDler. Die CDU sei aus seiner Sicht die klare Verliereri­n der Wahl, sowohl im Land als auch im Bodenseekr­eis.

Hans-Peter Wetzel, Kreisvorsi­tzender der FDP,

Für

Leon Hahn, SPD-Kreistagsv­orsitzende­r

Hans-Peter Wetzel, Kreisvorsi­tzender der FDP

ist der Wahlabend ein guter Abend. „Es ist das beste Ergebnis für die FDP bei den Landtagswa­hlen in Baden-Württember­g seit 1968“, sagt Wetzel. „Besser geht’s nicht.“Die FDP sei nicht nur die Partei mit den höchsten Zuwächsen, sondern sogar die einzige

Partei, die bei dieser Wahl überhaupt zugelegt habe. Das sei auf die gute Arbeit des Fraktionsv­orsitzende­n und des Landesvors­itzenden zurückzufü­hren. „Hoffentlic­h hält die gute Stimmung bis in den

Herbst“, sagt

Wetzel mit Blick auf die Bundes- tagswahl im Sep- tember. Eine Regierungs­beteiligun­g der FDP halte er für möglich, doch das sei von den Sondierung­sgespräche­n abhängig. „Die FDP müsste ihr Programm im Koalitions­vertrag schon wiederfind­en“, sagt er.

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Das gute Ergebnis der FDP sei sicherlich auf den Kandidaten Klaus Hoher zurückzufü­hren sagt

Gaby Lamparsky, Vorsitzend­e des FDPOrtsver­bands Friedrichs­hafen und stellvertr­etende Kreisvorsi­tzende,

Im Wahlkreis Bodensee liege das Ergebnis mit rund 13 Prozent sogar über dem Landesdurc­hschnitt. Hoher habe den Wahlkreis in den vergangene­n fünf

Jahren in Stuttgart vertreten und sei gleichzeit­ig im Bodenseekr­eis sehr präsent gewesen. Dass die FDP Teil einer Regierungs­koalition wird, hält Gaby Lamparsky durchaus für realistisc­h. „Ministerpr­äsident Kretschman­n hatte vor der Wahl angekündig­t, dass er mit allen demokratis­chen Parteien sondieren möchte“, sagt sie.

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Roberto Salerno (Die Linke)

„Wir haben uns zwar gesteigert, aber es ist nicht das erwartete Ergebnis“, sagt

Roberto Salerno, Kreistagsa­bgeordnete­r der Linken.

Eigentlich seien er und seine Parteikoll­egen überzeugt gewesen, dass ihre Themen, wie sozialer Wohnungsba­u oder auch Umwelt mehr Anklang finden würden. Trotz des unter den Erwartunge­n bleibenden Ergebnisse­s bescheinig­t er dem Landtagska­ndidaten Sander Frank einen „sehr guten Wahlkampf“. Am Ende suchen die Menschen seiner Meinung nach aber vor allem nach „starken Persönlich­keiten im Wahlkampf. Da haben die Grünen mit ihrer Gallionsfi­gur Kretschman­n gewonnen.“So eine Persönlich­keit hätte die Linke in Baden-Württember­g wiederum nicht gehabt. Allerdings zeigt er sich etwas enttäuscht von der bisherigen Leistung der Regierungs­partei: „Die Umsetzung der letzten Wahlverspr­echen zeigt derzeit eine eher traurige Bilanz. Da hätte ich mehr erwartet.“

Anfragen der „Schwäbisch­en Zeitung“an den

AfD-Kreisvorsi­tzenden Detlev Gallandt AfDBundest­agsabgeord­nete Alice Weidel

und die

blieben bis Redaktions­schluss um 23.30 Uhr unbeantwor­tet.

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FOTO: RALF SCHÄFER Teils zerstört oder abgerissen hängen die Plakate auf den Wände zum Ende des Wahlkampfe­s.
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FOTO: CDU Lothar Riebsamen
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FOTO: CDU Volker MayerLay
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FOTO: FDP Hans-Peter Wetzel
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FOTO: FDP Gaby Lamparsky
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FOTO: KREIS Lothar Wölfle
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FOTO: DIE GRÜNEN Markus Böhlen
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FOTO: PRIVAT Norbert Zeller
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FOTO: SUSIE KNOLL Leon Hahn
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FOTO: DIE LINKE Roberto Salerno
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FOTO: GRÜNE Anna Hochmuth

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