Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Kochbuch steht für Lebensgenuss mit Geschichte
Rezepte aus dem Schloss – das legen Mengenangaben, zeremonielle Vorschriften und so manches Rezept nahe
TETTNANG (sz) - Vermutlich war es der Küchenchef der Schlossküche selbst, der die Rezepte aus der Küche des Neuen Schlosses Tettnang von Hand niedergeschrieben hat – 800 Stück insgesamt! So teilen es die Staatlichen Schlösser und Gärten als Landesanstalt mit. Das Kochbuch, entstanden vor über 200 Jahren, gibt einen satten Einblick in eine Welt von Lebensgenuss und Festen.
Gerade jetzt in der Zeit der Corona-Einschränkungen sei das Ausprobieren neuer Gerichte für viele Menschen zu einem attraktiven Hobby geworden, heißt es. Viel Küchentradition birgt ein Kochbuch, das wahrscheinlich aus Tettnangs Neuen Schloss stamme: Es biete eine überwältigende Fülle süßer und salziger Gerichte – mit Rezepten, die aus der Schlossküche kommen könnten.
Die Sammlung der über 800 Rezepte, zusammengetragen auf 525 handgeschriebenen Seiten, befindet sich heute in Privatbesitz in Tettnang. Vieles deute darauf hin, dass es sich um ein Werk für den gräflichen Hof handelt: Die Mengenangaben gehen immer von zwölf, oft gar von 30 Personen aus. Dass das Kochbuch vorgibt, dass auf dem Tisch 20 Servierplatten gleichzeitig angeordnet sein sollten, entspricht den Sitten an den Höfen: Zu den zeremoniellen Vorschriften für die adelige Tafel des 18. Jahrhunderts gehörte es, eine Vielzahl von Gerichten auf dem Tisch zu versammeln und dekorativ zu arrangieren.
Erst im 19. Jahrhundert änderte sich diese Praxis, und die Speisen wurden einzeln von Dienstboten serviert. Die enorme Vielfalt von Speisen auf dem Tisch war in den meisten Bürgerhäusern nicht üblich. Das Kochbuch weist daher deutlich auf die Küche des Tettnanger Schlosses und die Grafen von Montfort hin.
Den wichtigsten Hinweis auf die Entstehungszeit des Buches liefert das Wasserzeichen des Papiers, auf dem die Rezepte aufgeschrieben sind: eine Jakobinermütze und eine französische Lilie. Fachleute können dadurch den Band einordnen. Das Buch entstand nicht vor der Französischen Revolution von 1789. Für Tettnang bedeutet das: Die Rezeptsammlung wurde erst zusammengetragen, als das Neue Schloss und die Grafschaft Montfort bereits zu Österreich gehörten am Ende des 18. oder Anfang des 19. Jahrhunderts.
Eine schöne Geschichte, die man sich vorstellen mag: Der gräfliche Leibkoch trauert den alten Zeiten der Schlossküche nach und trägt die alten Rezepte zusammen, schreibt seine Kreationen aufs Papier und will sie für die Nachwelt erhalten.
Der jetzige Besitzer des Buches, der Tettnanger Bäcker Seppi Reck, ließ die Rezepte in heutiges Deutsch übertragen, nachkochen und mit modernen Mengenangaben versehen. So entstand ein Kochbuch mit 90 Rezepten, das vergessene Gerichte der Region wieder zum Leben erweckt, vom Aal-Frikassee bis zur gedämpften Wildente. Verblüffend viele Rezepte kann man einfach nachkochen, es befinden sich darunter aber auch ein paar Kuriositäten wie „Jungferncreme“, ein Nachtisch, bei dem Bittermandel-Gebäck
gerieben und mit allerhand Feinem kombiniert wird, oder eine „Schokoladensuppe“, bei der Schokolade, Zucker, Eigelb, Sahne und getoastete Weißbrotwürfel zusammenkommen. Schokolade war im 18. Jahrhundert der Inbegriff für exotischen Luxus – und das Rezept für die Suppe aus dieser Kostbarkeit nur reichen Küchen vorbehalten. Neben aufwendigen fürstlichen Rezepturen gibt es auch einfache und bodenständige Gerichte – die scheinen an der gräflichen Tafel auch gerne gegessen worden zu sein. Etwa die „Kartoffelknöpflein“, welche die damals in Süddeutschland noch ganz neuen Kartoffeln in ein Gericht verwandeln, das sich auch gut für die Fastenzeit eignet. Das Rezept:
350 g Salatkartoffeln. Salz, weißer Pfeffer, etwas frisch geriebene Muskatnuss, 3 Eier, 125-200 g Schweineschmalz (oder anderes Fett).
Gekochte und abgekühlte Salatkartoffeln auf der Küchenreibe reiben. Mit Salz, Pfeffer und Muskatnuss würzen und mit Eiern verrühren. Die Masse mit einem Löffel zu Knöpflein formen und in einer Pfanne mit hohem Rand schwimmend in Schweineschmalz ausbacken.