Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Nazi-Bilder auf dem Handy sind kein Spaß

Verbreiten von Hakenkreuz­en und anderen Nazi-Bildchen wird streng bestraft – Täter müssen Aufsatz schreiben

- Von Dirk Augustin

LINDAU - Wenn ein Jugendlich­er mit seinen Eltern zur Polizei muss oder gar mehrere Beamte zur Hausdurchs­uchung anrücken, ist der Schock groß. Polizei und Justiz gehen in Bayern verstärkt gegen Nazi-Propaganda vor. Die Urteile des Lindauer Amtsgerich­ts fallen zumeist sehr originell aus.

Seit Wochen stehen regelmäßig junge Männer vor dem Lindauer Amtsgerich­t, denen die Staatsanwa­ltschaft Volksverhe­tzung oder Verwenden von Kennzeiche­n verfassung­sfeindlich­er Organisati­onen vorwirft. Weil es sich um Jugendlich­e oder Heranwachs­ende handelt, verhandelt Jugendrich­terin Brigitte Grenzstein diese Delikte unter Ausschluss der Öffentlich­keit. Auf Anfrage der SZ erklärt sie aber die Hintergrün­de.

Dabei verneint Grenzstein die Frage, ob es im Kreis Lindau ein größeres Problem mit Neo-Nazis gibt. Zumindest lasse sich das nicht an diesen Verhandlun­gen ablesen. Grenzstein erklärt vielmehr, dass der Staat schärfer gegen die Delikte vorgeht. Denn die jungen Leute – es handelt sich in Lindau bisher ausschließ­lich um junge Männer, die vor Gericht standen – sollen begreifen, dass das nicht witzig ist, sondern dass es sich um eine Straftat handelt.

Grenzstein ist dabei sicher, dass ihr im Gerichtssa­al in den bisher verhandelt­en Fällen keine angehenden Faschisten gegenübers­aßen. Vielmehr

handele es sich zumeist um „jugendlich­en Leichtsinn“oder „Gedankenlo­sigkeit“. Sie will das aber keineswegs kleinreden, denn die Verbreitun­g nationalso­zialistisc­her Propaganda sei eben kein Spaß, sondern ist aus guten Gründen verboten: „Ich finde es vollkommen richtig, dass die Staatsanwa­ltschaft diese Dinge ermittelt.“

Vor Gericht treffe sie dann auf junge Männer, die sehr betroffen sind, wenn sie auf der Anklageban­k Platz nehmen müssen. Polizeilic­he Vernehmung und andere Maßnahmen haben sie dann schon hinter sich, vor allem die Beschlagna­hme des Handys und Laptops. Denn beides zieht die Polizei ein, um Beweise zu sichern. „Das trifft die Jugendlich­en am meisten“, weiß Grenzstein. Nicht nur, dass sie einige Wochen ohne Smartphone auskommen müssen. Hinzu kommt, dass die Polizei alle Chatverläu­fe lesen darf, wobei sie nicht nur weiteren Tätern auf die Spur kommt, die Nazi-Bilder verbreitet haben. Die Jugendlich­en müssen mit dem Gefühl leben, dass jemand alles kennt, das sie geschriebe­n haben und das zum Teil die Eltern sicher nicht kennen und das sie in manchen Fällen nicht mal dem besten Freund zum Lesen geben würden.

Eltern fallen meist aus allen Wolken, wenn sie hören und lesen, was ihr Nachwuchs da verbreitet hat. Dabei

lassen sich die Täter nicht näher einordnen. „Sie kommen aus allen sozialen Schichten, sie kommen aus dem ganzen Landkreis“, berichtet Grenzstein. Sie habe junge Männer aus Lindau ebenso vor sich gehabt wie solche aus kleinen Dörfern.

Dass es vermehrt zu diesen Anklagen kommt, erklärt Grenzstein mit einer neuen Linie der Strafverfo­lgungsbehö­rden. Die Staatsregi­erung hat sogenannte Hate-Speech-Beauftragt­e bei allen Staatsanwa­ltschaften eingesetzt. Die kümmern sich nicht nur um Beleidigun­gen im Netz, sondern auch um Nazi-Propaganda und Rassismus. Und wenn erst ein Fall aufgedeckt ist, folgen aus den Chatverläu­fen auf dem beschlagna­hmten Handy meist weitere Fälle.

Denn die Bilder und Sprüche verbreiten sich vor allem in Chats von Schulklass­en oder anderen Gruppen auf WhatsApp. „Sie bekommen etwas zugeschick­t und leiten es weiter, ohne sich etwas dabei zu denken“, beschreibt Grenzstein die Mechanisme­n. Dabei ist es rechtlich ein großer Unterschie­d, ob man solche Bilder oder Sprüche erhält oder selbst weiterleit­et. Denn der Besitz ist nicht verboten, das Weiterleit­en aber schon. Manche Täter fallen auch auf, weil die Polizei bei einem Haschischf­all die Handys überprüft und auf solche Inhalte stößt.

An Anzeigen von aufgebrach­ten Mitlesern oder empörten Eltern kann sich Grenzstein nicht erinnern. Da funktionie­re wohl der Gruppenzwa­ng und die Angst, als nicht cool dazustehen. Auch finde sich in den Chats leider kaum Widerspruc­h, wenn solche Bilder auftauchen. Das ist für die Richterin ein weiterer Grund, durch Urteile sehr klar zu machen, dass es sich bei diesen Verstößen nicht um Kleinigkei­ten handelt.

Normal wären Gerichtsur­teile, die Geldzahlun­gen oder Arbeitsauf­lagen enthalten. Aber in der Pandemie sei es schwierig, junge Männer irgendwo zu Arbeitsein­sätzen zu zwingen. Deshalb kam Grenzstein auf eine Idee, die sie inzwischen auch unabhängig von der Pandemie für eine sehr gute hält, weil sie tatsächlic­h sehr gute Erfahrunge­n damit gemacht hat. „Die müssen Aufsätze schreiben“, erklärt Grenzstein. Innerhalb einer Frist müssen die jungen Männer auf drei bis vier Seiten beschreibe­n, welche Einstellun­g sie zum Nationalso­zialismus haben.

Damit niemand mogeln kann, verlangt Grenzstein diese Aufsätze handschrif­tlich und lässt sich eine Schriftpro­be geben, damit sie sicher sein kann, dass die Täter dies auch tatsächlic­h selbst geschriebe­n haben. Sie habe tatsächlic­h schon junge Männer vor sich gehabt, denen eine Geldauflag­e lieber gewesen wäre – zumal die wohl die Eltern bezahlt hätten. Doch so einfach kommen sie nicht davon. Für den Aufsatz müssen sie sich ernsthaft mit dem Thema befassen: „Das zwingt die Jugendlich­en eher zum Nachdenken als wenn sie zehn Stunden beim Bauhof arbeiten müssen.“

 ??  ??
 ?? FOTO: OLAF WINKLER ?? Immer häufiger landen junge Männer vor dem Lindauer Amtsgerich­t, weil sie verbotene Nazi-Bilder verbreiten.
FOTO: OLAF WINKLER Immer häufiger landen junge Männer vor dem Lindauer Amtsgerich­t, weil sie verbotene Nazi-Bilder verbreiten.

Newspapers in German

Newspapers from Germany