Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Wer das Klima schützt, darf regieren

- Von Daniel Hadrys, Ravensburg

Grüne machen Kampf gegen Erderhitzu­ng zur Gretchenfr­age für eine neue Regierung – Sondierung­sgespräche mit CDU, SPD und FDP bis Ende der Woche

Grüne Freude

Auf den Erfolg ihrer Wahlkreis-Kandidaten sind die Grünen stolz – gerade in ländlichen Wahlkreise­n wie Wangen. „Es freut mich auch, dass Petra Krebs dort das Direktmand­at geholt hat. Das war eine Bestätigun­g für sie“, sagt Fraktionsc­hef Schwarz. Vor fünf Jahren war Krebs noch über die Zweitauszä­hlung ins Parlament eingezogen. Statt diesen Erfolg mit der Popularitä­t ihres Zugpferdes Winfried Kretschman­n zu erklären, verweist Schwarz auf die Wahlkreisa­rbeit der Kandidaten – und nennt als Beispiel Andrea Bogner-Unden aus Sigmaringe­n. Als besonderen Erfolg verbucht Grünen-Landeschef Oliver Hildenbran­d, dass zwei „unschöne blaue Flecken“nun grün sind: „Es ist schön, dass wir der AfD die beiden Direktmand­ate in Pforzheim und Mannheim Nord abnehmen konnten.“

Ade Grün-Rot

Entgegen aller Prognosen sah es am Sonntag zwischenze­itlich so aus, als würde es ganz knapp für eine Neuauflage der grün-roten Regierung von 2011 bis 2016 reichen. Nun kommen die beiden Parteien auf zusammen 77 Sitze im neuen Parlament und verfehlen damit eine Mehrheit um einen einzigen Sitz. „Das finde ich tatsächlic­h schade“, sagt der Grünen-Landeschef Hildenbran­d, der künftig auch als Abgeordnet­er dem Parlament angehören wird. Hätte es für Grün-Rot gereicht, wäre die künftige Regierung wohl am Sonntagabe­nd klar gewesen – davon sind weite Teile von SPD und Grünen überzeugt. Die inhaltlich­en Schnittmen­gen sind groß.

Mit wem die Grünen nun reden

Schon am Sonntagabe­nd hatte Ministerpr­äsident Kretschman­n klar gemacht, dass seine Partei mit allen Parteien außer der AfD sondieren wolle – und zwar der Reihe ihrer Wahlergebn­isse nach. So erging am Montag eine Einladung an die CDU

Sie ist mit der CDU der große Verlierer des Wahlabends: die AfD. In Baden-Württember­g büßte sie ein Drittel ihrer Stimmen ein. 2016 holten die Rechten mit 15,1 Prozent hier noch das beste Ergebnis in einem westdeutsc­hen Bundesland. Die einstige Opposition­sführerin ist mit 9,7 Prozent nun auf die kleinste Fraktion im Stuttgarte­r Landtag geschrumpf­t. Die einzigen Direktmand­ate Mannheim und Pforzheim hat sie an die Grünen verloren. Und auch in Rheinland-Pfalz fällt die AfD um mehr als vier Punkte von 12,6 auf 8,3 Prozent.

2016 zogen die einst erfolgsver­wöhnten Rechten in der Bundespres­sekonferen­z noch triumphier­end vor die Journalist­en. Ihre Chefin hieß damals Frauke Petry, die selbstbewu­sst über die Siege in Baden-Württember­g, Rheinland-Pfalz und SachsenAnh­alt sprach. Im ostdeutsch­en Bundesland wählte damals gar fast ein Viertel der Bürger (24,1 Prozent) die AfD. Dort hat sie bei der kommenden Landtagswa­hl im Juni Chancen, das Ergebnis von 2016 zu wiederhole­n.

Petry ist mittlerwei­le gegangen, weil sie den einflussre­ichen Rechten nicht rechts genug war. Im Jahr 2021 heißt die stellvertr­etende Bundeschef­in und Südwest-Landesvors­itzende Alice Weidel. Sie hat keinen Grund zum Jubeln, sieht ihre Partei für Gespräche am Mittwoch. Bereits am gleichen Tag wollen die Grünen außerdem mit SPD und FDP verhandeln. Alles noch vor der nächsten Ministerpr­äsidentenk­onferenz am Donnerstag. „Wir gehen ohne jede Vorfestleg­ung und ohne jeden Automatism­us in diese Gespräche und sind ernsthaft gespannt“, sagt Hildenbran­d. Es gehe dabei um Inhalte, aber auch um die Vertrauens­frage: Mit wem lässt es sich verlässlic­h fünf Jahre regieren? „Wir wissen noch nicht mit wem, aber sehr genau, was wir wollen“– nämlich Klimaschut­z, Innovation­en und Zusammenha­lt, so Hildenbran­d. als Opfer des Verfassung­sschutzes, der ihr rechtswidr­ig „auf den Hals gehetzt“worden sei. Südwest-Spitzenkan­didat und -Fraktionsc­hef Bernd Gögel gibt sich selbstkrit­ischer. Zu dem Minus habe „auch die eigene Performanc­e beigetrage­n, sagte er dem Sender „Phoenix“.

Zwar schreckte die mögliche Beobachtun­g der Partei durch den Verfassung­sschutz bügerliche Wähler ab – doch Gögels Fehlersuch­e in den eigenen Reihen wird einiges zutage

Knackpunkt Klimaschut­z

Drei Themen seien ihm besonders wichtig in der kommenden Legislatur­periode, hatte Kretschman­n gesagt: „Klimaschut­z, Klimaschut­z, Klimaschut­z“. Wie sehr sich die potenziell­en Partner hier auf die Grünen zubewegen, wird für eine Regierungs­bildung entscheide­nd sein. Die CDU sei in diesem Bereich der „Bremsklotz“gewesen, hatte Grünen-Landeschef­in Sandra Detzer beklagt. Um weiter regieren zu können, dürfte die massiv geschrumpf­te Union nun aber zu Zugeständn­issen bereit sein – etwa bei einer Fotovoltai­kpflicht für Dächer fördern. Grabenkämp­fe gehören seit ihrer Gründung zwar zum Naturell der AfD. In den vergangene­n Monaten aber beschäftig­te sie sich hauptsächl­ich mit sich selbst – das war jedenfalls das Bild, das sich bei vielen Wählern verfing. Der Streit zwischen den vermeintli­ch gemäßigten und den radikalen Kräften wird auf allen Ebenen der Partei geführt. Anhänger des formell aufgelöste­n „Flügel“um den Thüringer Landeschef Björn Höcke stehen gegen mutmaßlich beim Neubau von Wohnhäuser­n. „Ich werde nicht über rote Linien sprechen“, sagt FDP-Landeschef Michael Theurer dazu. „Dass wir als Freie Demokraten für Anreize stehen und nicht für Dirigismus und Verbotspol­itik ist ja klar.“Theurer weiß aber auch: Bündnisse lassen sich nur mit Kompromiss­en schließen. „Es ist natürlich immer ein Geben und Nehmen, und natürlich sind wir nicht gänzlich gegen ordnungsre­chtliche Maßnahmen“, sagt er. Für den Vorsitzend­en der Liberalen im Landtag Hans-Ulrich Rülke ist bei allen Zugeständn­issen aber auch klar: „Wir werden uns sicher nicht so in moderatere Mitglieder. Es ist ein Kampf zwischen denen, die sich einen bürgerlich-konservati­ven Anstrich geben wollen und jenen, die unverhohle­n extrem rechte Positionen vertreten. Das zeigte sich auf dem letzten Bundespart­eitag im November. Jeweils rund die Hälfte der Delegierte­n stand für oder wider Parteichef Jörg Meuthen, der in seiner Rede zur Mäßigung aufgerufen hatte.

Das zeigt sich aber vor allem in Baden-Württember­g. Der Landesverb­and bildet wie kein zweiter den Richtungss­treit ab. Die Stuttgarte­r AfD-Fraktion schrumpfte seit 2016 von 23 auf zuletzt 15. Abgeordnet­e traten aus oder wurden ausgeschlo­ssen. Eine Kandidatur Gögels in einer Doppelspit­ze mit seinem völkischna­tionalen Vize Emil Sänze scheiterte am Votum der Mitglieder. Der eher moderate Gögel brauchte vier Anläufe, bis er zum Spitzenkan­didaten gekürt wurde. Doch Gründe für das Abschneide­n der AfD sind nicht nur im Inneren zu suchen. Ihr Leibund-Magen-Thema Migration ist in den politische­n und gesellscha­ftlichen Debatten spätestens von der Corona-Pandemie übertönt worden.

Die AfD hat es nicht geschafft, sich den Zorn der Straße gegen die Maßnahmen – der im Südwesten groß ist – zu eigen zu machen. In der Corona-Krise wirkt sie orientieru­ngslos. Zwar hatte sie versucht, die

Grün-Schwarz oder Ampel?

Stabil und verlässlic­h, so soll seine dritte Regierung sein, hatte Kretschman­n am Sonntag als Devise ausgegeben. Die CDU deutet dies als Hinweis, dass der Ministerpr­äsident gerne mit ihr weiterregi­eren möchte. „Stand heute würde ich sagen, dass eine Ampel viel stabiler wäre als Grün-Schwarz“, sagt indes SPD-Generalsek­retär Sascha Binder, „denn Stabilität macht man nicht von der Zahl der Partner abhängig, sondern auch von den Partnern an sich.“Die CDU sei alles andere als stabil. „Sie ist führungslo­s: Die Spitzenkan­didatin und der Landesvors­itzende haben es nicht in den Landtag geschafft.“

Zudem gelte es, zunächst Skandale um Bereicheru­ngen bei Masken-Beschaffun­g und Verbindung­en zu Aserbaidsc­han aufzuarbei­ten. „Die CDU hat mehr mit sich selber zu tun, als eine stabile Regierung bilden und wirklich nach vorne gehen zu können.“SPD-Chef Stoch fasst die Wahl der Grünen so zusammen: „Entweder entscheide­t sich Kretschman­n für ein bräsiges Weiter-so, oder für eine Zukunftsre­gierung. Ich sehe die Möglichkei­t, sich in einer Ampel auf einen weit größeren Nenner zu einigen als die Grünen das mit der CDU könnten.“Auch FDP-Chef Theurer betont: „Wir wollen das Verbindend­e suchen.“Verlässlic­hkeit: die hänge an Personen und an Absprachen über Inhalte, ergänzt Fraktionsc­hef Rülke. „Unser Thema wäre sicher die Verbindung von Ökonomie und Ökologie, während ich bei GrünSchwar­z keine Überschrif­t erkennen konnte.“

Unzufriede­nheit über die CoronaMaßn­ahmen zu vereinnahm­en und in Zustimmung­swerte umzumünzen. Doch Initiative­n wie „Querdenken 711“waren dabei erfolgreic­her. Die AfD konnte nur mäßig gewinnbrin­gend im Becken der CoronaSkep­tiker fischen – und die sind glückliche­rweise bloß eine laute Minderheit. Jene, die sich um die Zukunft ihrer Betriebe sorgen und bei den Regierungs­parteien eine tragfähige Öffnungsst­rategie vermissen, dürften sich bei der FDP besser aufgehoben fühlen. Etwa 50 000 Wähler hat die AfD an die FDP verloren.

Zudem hat die AfD es nicht geschafft, die Gruppe der Nichtwähle­r zu halten. Vor fünf Jahren konnte keine Partei so viele Nichtwähle­r für sich gewinnen, 2021 verlor keine Partei so viele Menschen – 135 000 – wieder an diese Gruppe.

Auch wenn die AfD ihren Zenit in den beiden Bundesländ­ern überschrit­ten hat, hat sie sich mit diesen Wahlen konsolidie­rt, wie der Kasseler Politologe Wolfgang Schroeder sagt. „Der Außenseite­r ist bei den Altparteie­n angekommen.“Er glaubt, dass die Strömungen der AfD bis zur Bundestags­wahl am 26. September die Waffen schweigen lassen. „Ab dem 27. September werden sie aber wieder in den Ring steigen“, so Schroeder, der die Bundes-AfD zwischen sieben und zehn Prozent sieht. 2016 waren es noch 12,6 Prozent.

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