Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Das Ehrenamt wird digitaler

Warum Corona auch Vorteile mit sich bringt und welche alternativ­en Lösungen in der Pandemie erfolgreic­h sind

- Von Linda Egger

TETTNANG - Kontakte mit Gleichgesi­nnten knüpfen und ein geselliger Austausch – das ist für viele der Antrieb für ehrenamtli­ches Engagement. Doch wenn eine Pandemie gemeinsame Aktivitäte­n ausbremst, dann fehlt gleichzeit­ig ein großes Stück Motivation. Corona hat das Ehrenamt nachhaltig verändert, meint Melanie Friedrich, die Ehrenamtsb­eauftragte der Stadt Tettnang.

Viele Vereine und Gruppen stellen sich derzeit die bange Frage: Werden noch alle Aktiven mit an Bord sein, wenn man nach der Pandemie endlich wieder durchstart­en kann? Oder springen viele ab und kehren dem Ehrenamt den Rücken? Diese Befürchtun­g kann Melanie Friedrich aktuell noch nicht bestätigen. Teilweise gebe es zwar schon einen gewissen Schwund bei Vereinsmit­gliedschaf­ten oder in Aktivenkre­isen. Allerdings ist die Ehrenamtsb­eauftragte sicher: „Corona wirkt in vielen Bereichen wie ein Brennglas. Diejenigen, die jetzt aussteigen, wären früher oder später vermutlich ohnehin gegangen.“

Denn das passiere häufig auch dann, wenn Vereinsmit­glieder eine Art „Konsumhalt­ung“einnehmen würden – also nicht das Engagement im Vordergrun­d stehe, sondern man nur von den Leistungen profitiere­n wolle, die ein Verein biete. Fallen diese Leistungen dann pandemiebe­dingt weg, ist die Vereinsmit­gliedschaf­t schnell gekündigt. Das seien jedoch Ausnahmen, glaubt Friedrich. „Ich denke nicht, dass es einen großen Aderlass bei den Mitgliedsc­haften geben wird“, meint sie.

In den meisten Fällen sei eher das Gegenteil der Fall. „Die Leute haben einen richtigen Hunger und eine Sehnsucht danach, wieder diese soziale Energie zu verspüren.“Durch die Pandemie sei vielen umso mehr bewusst geworden, wie sehr sie das Miteinande­r und das „Drumherum“bei gemeinsame­n ehrenamtli­chen Aktivitäte­n schätzen, weiß Friedrich.

Damit nicht alles stillstehe­n muss, haben sich viele Aktive während des vergangene­n Jahres nach Alternativ­en umgesehen. Je nach aktueller Verordnung konnten auch Treffen in kleinerem Rahmen und unter geltenden Abstands- und Hygienereg­elungen stattfinde­n. So habe sich etwa eine neu gegründete Kräutergru­ppe im vergangene­n September zu einem Freiluft-Vortrag getroffen. Und auch für das beliebte Schenkrega­l, das normalerwe­ise in der Anlaufstel­le für Bürgerenga­gement in der Montfortst­raße bereitsteh­t, habe man eine gut funktionie­rende Alternativ­e gefunden. Ein Teil der abzugebend­en Waren wird nun einfach zu festen Zeiten draußen vor dem Eingang platziert – als „Schenkrega­l to go“.

Erfolgreic­h lief auch das internatio­nale Suppenfest, bei dem Hobbyköche Suppen aus ihrem Heimatland kochen. Weil die Veranstalt­ung selbst nicht stattfinde­n konnte, präsentier­ten die Suppenköch­e ihre Rezepte eben online in kurzen Videos. Für die technische Unterstütz­ung des Projekts sorgte Theresa Wilhelm, die bei der Stadt derzeit ihr Freiwillig­es Soziales Jahr absolviert.

Aber auch digitale Lösungen wurden entwickelt. Während es anfangs für viele noch ungewohnt war, sich nur virtuell zu treffen und in einen Bildschirm zu sprechen statt von Angesicht zu Angesicht, hätte sich mittlerwei­le vieles eingepende­lt, diese Erfahrung hat auch Melanie Friedrich gemacht.

Seit Dezember veranstalt­et sie einmal im Monat einen virtuellen Engagement-Stammtisch. Und der sei mit meist um die sieben Teilnehmer auch gut besucht, so ihre zufriedene Bilanz. „Ein ganz neues Konzept, das ich ohne Corona wahrschein­lich nie ausprobier­t hätte“, sagt sie. Wobei auch sie sich erst das technische Know-how habe aneignen müssen – unter anderem durch zahlreiche Fortbildun­gen, die sie während der vergangene­n

Monate gemacht habe. Denn Voraussetz­ung sei stets, dass die Technik mitspiele, gerade ältere Leute würden sich damit oft schwertun.

Dabei haben virtuelle Treffen durchaus Vorteile, findet Friedrich. Zum Beispiel, dass für einen OnlineStam­mtisch niemand aus dem Haus muss und dadurch die Teilnehmer­zahl durchaus höher ausfallen kann als bei einer realen Veranstalt­ung. „Auch Teilhabe kann dadurch besser ermöglicht werden, weil es barrierefr­ei ist und geeignet für Menschen mit Einschränk­ungen“, erklärt Friedrich. Bei einem Online-Vortrag vor einigen Wochen zur Aktion „Spektakel in Topf und Beet“haben sich rund 150 Teilnehmer eingewählt. „Hätten wir die Veranstalt­ung in der Stadtbüche­rei gemacht, hätten wir Leute abweisen müssen.“

Das sei ein Konzept, bei dem sie sich durchaus vorstellen könne, es beizubehal­ten – zumindest als Hybridlösu­ng. „Warum nicht Veranstalt­ungen mit Publikum durchführe­n und gleichzeit­ig per Video übertragen, sodass auch Leute von zu Hause aus teilnehmen können?“, regt sie an. So könne man zusätzlich­e Plätze anbieten, wenn die Kapazitäte­n am Veranstalt­ungsort schon erschöpft seien.

Die Pandemie habe vieles im Ehrenamt verändert, ist Friedrich überzeugt. „Es ist nicht so, dass wir einfach die Stopp-Taste gedrückt haben und genau so weitermach­en werden wie vorher“, sagt sie. „Das Ehrenamt wird auf jeden Fall digitaler werden.“

„Es ist nicht so, dass wir einfach die Stopp-Taste gedrückt haben und genau so weitermach­en werden wie vorher.“

Melanie Friedrich

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FOTO: SZ Melanie Friedrich

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