Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Das Ehrenamt wird digitaler
Warum Corona auch Vorteile mit sich bringt und welche alternativen Lösungen in der Pandemie erfolgreich sind
TETTNANG - Kontakte mit Gleichgesinnten knüpfen und ein geselliger Austausch – das ist für viele der Antrieb für ehrenamtliches Engagement. Doch wenn eine Pandemie gemeinsame Aktivitäten ausbremst, dann fehlt gleichzeitig ein großes Stück Motivation. Corona hat das Ehrenamt nachhaltig verändert, meint Melanie Friedrich, die Ehrenamtsbeauftragte der Stadt Tettnang.
Viele Vereine und Gruppen stellen sich derzeit die bange Frage: Werden noch alle Aktiven mit an Bord sein, wenn man nach der Pandemie endlich wieder durchstarten kann? Oder springen viele ab und kehren dem Ehrenamt den Rücken? Diese Befürchtung kann Melanie Friedrich aktuell noch nicht bestätigen. Teilweise gebe es zwar schon einen gewissen Schwund bei Vereinsmitgliedschaften oder in Aktivenkreisen. Allerdings ist die Ehrenamtsbeauftragte sicher: „Corona wirkt in vielen Bereichen wie ein Brennglas. Diejenigen, die jetzt aussteigen, wären früher oder später vermutlich ohnehin gegangen.“
Denn das passiere häufig auch dann, wenn Vereinsmitglieder eine Art „Konsumhaltung“einnehmen würden – also nicht das Engagement im Vordergrund stehe, sondern man nur von den Leistungen profitieren wolle, die ein Verein biete. Fallen diese Leistungen dann pandemiebedingt weg, ist die Vereinsmitgliedschaft schnell gekündigt. Das seien jedoch Ausnahmen, glaubt Friedrich. „Ich denke nicht, dass es einen großen Aderlass bei den Mitgliedschaften geben wird“, meint sie.
In den meisten Fällen sei eher das Gegenteil der Fall. „Die Leute haben einen richtigen Hunger und eine Sehnsucht danach, wieder diese soziale Energie zu verspüren.“Durch die Pandemie sei vielen umso mehr bewusst geworden, wie sehr sie das Miteinander und das „Drumherum“bei gemeinsamen ehrenamtlichen Aktivitäten schätzen, weiß Friedrich.
Damit nicht alles stillstehen muss, haben sich viele Aktive während des vergangenen Jahres nach Alternativen umgesehen. Je nach aktueller Verordnung konnten auch Treffen in kleinerem Rahmen und unter geltenden Abstands- und Hygieneregelungen stattfinden. So habe sich etwa eine neu gegründete Kräutergruppe im vergangenen September zu einem Freiluft-Vortrag getroffen. Und auch für das beliebte Schenkregal, das normalerweise in der Anlaufstelle für Bürgerengagement in der Montfortstraße bereitsteht, habe man eine gut funktionierende Alternative gefunden. Ein Teil der abzugebenden Waren wird nun einfach zu festen Zeiten draußen vor dem Eingang platziert – als „Schenkregal to go“.
Erfolgreich lief auch das internationale Suppenfest, bei dem Hobbyköche Suppen aus ihrem Heimatland kochen. Weil die Veranstaltung selbst nicht stattfinden konnte, präsentierten die Suppenköche ihre Rezepte eben online in kurzen Videos. Für die technische Unterstützung des Projekts sorgte Theresa Wilhelm, die bei der Stadt derzeit ihr Freiwilliges Soziales Jahr absolviert.
Aber auch digitale Lösungen wurden entwickelt. Während es anfangs für viele noch ungewohnt war, sich nur virtuell zu treffen und in einen Bildschirm zu sprechen statt von Angesicht zu Angesicht, hätte sich mittlerweile vieles eingependelt, diese Erfahrung hat auch Melanie Friedrich gemacht.
Seit Dezember veranstaltet sie einmal im Monat einen virtuellen Engagement-Stammtisch. Und der sei mit meist um die sieben Teilnehmer auch gut besucht, so ihre zufriedene Bilanz. „Ein ganz neues Konzept, das ich ohne Corona wahrscheinlich nie ausprobiert hätte“, sagt sie. Wobei auch sie sich erst das technische Know-how habe aneignen müssen – unter anderem durch zahlreiche Fortbildungen, die sie während der vergangenen
Monate gemacht habe. Denn Voraussetzung sei stets, dass die Technik mitspiele, gerade ältere Leute würden sich damit oft schwertun.
Dabei haben virtuelle Treffen durchaus Vorteile, findet Friedrich. Zum Beispiel, dass für einen OnlineStammtisch niemand aus dem Haus muss und dadurch die Teilnehmerzahl durchaus höher ausfallen kann als bei einer realen Veranstaltung. „Auch Teilhabe kann dadurch besser ermöglicht werden, weil es barrierefrei ist und geeignet für Menschen mit Einschränkungen“, erklärt Friedrich. Bei einem Online-Vortrag vor einigen Wochen zur Aktion „Spektakel in Topf und Beet“haben sich rund 150 Teilnehmer eingewählt. „Hätten wir die Veranstaltung in der Stadtbücherei gemacht, hätten wir Leute abweisen müssen.“
Das sei ein Konzept, bei dem sie sich durchaus vorstellen könne, es beizubehalten – zumindest als Hybridlösung. „Warum nicht Veranstaltungen mit Publikum durchführen und gleichzeitig per Video übertragen, sodass auch Leute von zu Hause aus teilnehmen können?“, regt sie an. So könne man zusätzliche Plätze anbieten, wenn die Kapazitäten am Veranstaltungsort schon erschöpft seien.
Die Pandemie habe vieles im Ehrenamt verändert, ist Friedrich überzeugt. „Es ist nicht so, dass wir einfach die Stopp-Taste gedrückt haben und genau so weitermachen werden wie vorher“, sagt sie. „Das Ehrenamt wird auf jeden Fall digitaler werden.“
„Es ist nicht so, dass wir einfach die Stopp-Taste gedrückt haben und genau so weitermachen werden wie vorher.“
Melanie Friedrich