Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Hochwasser­schutz und Ökologie in Einklang bringen

Experten begutachte­n die Schussen bei Gewässersc­hau – Spuren des Hochwasser­s aus dem Januar sind sichtbar

- Von Karin Schütrumpf

BROCHENZEL­L - „Unsere Ziele sind Hochwasser­schutz für die Menschen und eine gute Gewässerök­ologie für Tiere und Pflanzen“, erklärt Anton Willburger vom Regierungs­präsidium in Tübingen. Zusammen mit seinem Kollegen Hubert Huber, dem Flussbaume­ister Daniel Fricker und Dario Vrondhoff als Vertreter des Landratsam­tes ist er zur Gewässersc­hau an der Schussen angetreten. Die vier Gewässerex­perten starten an der Straßenbrü­cke in Brochenzel­l und wandern erst einmal gegen den Strom Richtung Ravensburg. Schnell zeigt sich: Der Schutz von Mensch und Natur ist am Fluss nicht immer perfekt in Einklang zu bringen.

Am rechten Ufer hat die Schneelast den Teil einer Baumkrone abgeknickt, die nun mit den Zweigen wie eine riesige Gabel durchs Wasser pflügt. Abgebroche­nes Holz entfernt der Flussbaume­ister samt Team oft aus Gewässern, denn Äste und Bäume können sich an Engstellen oder unter Brücken verkeilen und für gefährlich­e Überschwem­mungen sorgen. „Verklausun­gen“nennen die Fachleute solche Verstopfun­gen. Sie zu vermeiden, ist ein wichtiger Teil des Hochwasser­schutzes.

In dem Fall fließt das Schussenwa­sser aber ungehinder­t zwischen den Astgabeln durch. Dieses Holz bleibt im Wasser, weil Fische zwischen herunterhä­ngenden Zweigen Rückzugsmö­glichkeite­n finden – ein Pluspunkt für die Gewässerök­ologie.

Auch für den Biber ist der Tisch nach jedem Wind- oder Schneebruc­h reich gedeckt. Anton Willburger ist auch Biberberat­er. Zweige mit abgenagter Rinde zeigen die Stelle im Fluss, wo Familie Biber kürzlich speiste. „Wenn wir das alles aus dem

Fluss holen, fällt sich der Biber einen neuen Baum“, erklärt er, warum im Wasserbau heute manchmal „lassen statt machen“Gebot der Stunde ist.

Das gilt auch für manche Ausbrüche in der Böschung, die an diesem Tag zu sehen sind. Die so entstanden­en steilen Ufer sind als der Lebensraum für Wildbienen oder Eisvögel ökologisch wertvoll.

Den Bewuchs der Uferböschu­ngen haben die Gewässerex­perten genau im Auge. Neben den heimischen Weiden finden sich bei der Gewässersc­hau aber auch Sommerflie­der, Schmetterl­ingsbaum, Akazie und Forsythie. Letztere darf bleiben, weil sie hier vermutlich schon sehr lange wurzelt. Akazie und Schmetterl­ingsbaum

sind immerhin insektenfr­eundlich und werden deshalb in diesem Fall im Uferbereic­h geduldet. Für eine Thuja-Bepflanzun­g am Ufersaum hat der Anwohner schon eine Ersatzbepf­lanzung mit heimischem Gebüsch geplant.

Beton oder Bauschutt in der Böschung – das geht nach Ansicht der Gewässerfa­chleute gar nicht. Bei der Gewässersc­hau findet das Team an einigen Stellen große Betonbrock­en. Hubert Huber dokumentie­rt jede Stelle mit seinem Tablett. „Dann habe ich auch sofort die genaue GPSPositio­n“, freut er sich. „Das hilft bei der Beseitigun­g der Zustandsst­örungen“. Weil der Schuldige oft nur schwerlich dingfest zu machen ist, bleibt die Beseitigun­g oft Sache des Grundstück­seigentüme­rs. Auch das Bauhof-Team der Flussbaume­ister kann zum Einsatz kommen.

Im Fokus der Gewässerex­perten sind auch unzulässig­e Bauten, Zäune und Lagerplätz­e. Engmaschig­e Zäune im Uferbereic­h, die dazu im rechten Winkel stehen, stellen eine Querbarrie­re dar, in der sich bei Hochwasser Treibgut verfängt. Die verstopfte­n Stellen sorgen dann für Überschwem­mungen. „Steigt der Wasserdruc­k weiter, wird dann oft der ganze Zaun mitgerisse­n und verkeilt sich zum Beispiel unter einer Brücke“, warum das Entfernen solcher Zäune dem Hochwasser­schutz dient.

Ein Holzlagerp­latz auf dem Uferrandst­reifen ist den Gewässersc­hützern ebenfalls ein Dorn im Auge. Regentonne­n im Uferbereic­h, Gartenbänk­e oder ein Kieshaufen– bei Hochwasser wird das alles weggespült befürchten sie.

„Hochwasser­schutz ist eine gute Investitio­n“, findet Anton Willburger. Einem Anwohner erklärt er, wie das auch auf Privatgrun­dstücken möglich ist. „Bohlen, die sich bei Hochwasser zwischen U-Trägern einschiebe­n lassen, können Kellerräum­e vor Überflutun­gen schützen“, erklärt der Fachmann.

Ein anderer Anrainer beklagt sich über den vielen Müll, der bei Hochwasser angeschwem­mt wird. „Nach einem Hochwasser könnte ich eine ganze Fuhre auf die Deponie fahren. Ich habe schon tote Katzen und alte Christbäum­e eingesamme­lt“, erzählt Bruno Winghard und zeigt die vielen Folienstüc­ke am anderen Ufer, die dort seit dem großen Hochwasser Ende Januar im Gebüsch hängen.

Die Schäden durch das Hochwasser sind bei der Gewässersc­hau noch gut sichtbar. Es gibt aber auch Verbesseru­ngen. Wo das Wasser Ende Januar hoch stand, sind Sandstränd­e am Schussen-Ufer entstanden. „Das sind tertiäre Sandstränd­e – typisch nach jedem Hochwasser“, erklärt Willburger. Sandstein aus dem Tertiär wird vom Wasser zerrieben, bei Hochwasser mitgeschwe­mmt und abgelagert, sobald der Wasserspie­gel wieder sinkt.

Die Schussenst­rände laden zum Verweilen ein. Sofern dafür kein Privatgelä­nde betreten wird, dürfen sie gern für eine Pause am Wasser genutzt werden. „Aber bitte so verlassen, wie sie sie vorgefunde­n haben. Keinen Müll liegen lassen“, mahnen die Vertreter der Wasserwirt­schaft.

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FOTO: SCHTF Nehmen die Schussenuf­er in Brochenzel­l kritisch in Augenschei­n: Anton Willburger der stellvertr­etende Flussbaume­ister Daniel Fricker, Hubert Huber vom Landesbetr­ieb Wasser und Dario Vrondhoff vom Landratsam­t (von links).

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