Schwäbische Zeitung (Tettnang)

„Der Hunger macht die Menschen rasend“

Augenzeuge­nbericht aus Damaskus

-

Mohammad Mansour (Name auf Wunsch geändert), Angestellt­er, erzählt aus Damaskus. Der Kontakt wurde von dem in Nürnberg lebenden und aus Syrien stammenden Journalist­en Mahmoud Ali vermittelt.

Wir haben nur zwei bis drei Stunden Strom am Tag. Das syrische Pfund ist nichts mehr wert, und ein Angestellt­er wie ich kann sich nicht mal mehr Gemüse kaufen. Wir ernähren uns von Brot und dem, was wir eingemacht haben. Alles dreht sich nur noch darum, Essen aufzutreib­en. Hafiz al-Assad, der Vater von Bashar, versprach in den 60ern, dass es den Syrern nie an Brot mangeln würde. Ich stehe acht Stunden Schlange für Brot. Der Hunger macht die Menschen rasend. Jeder denkt nur noch an sich. Und jeder klaut, wenn er die Möglichkei­t hat. Auf den Straßen leben viele, die ihre Miete nicht mehr bezahlen können.

Viele Nachbarn sind am Coronaviru­s gestorben. Die Regierung hat offiziell natürlich die Lage im Griff. Aber jeder weiß, dass das nicht stimmt.

Wie sollen wir uns schützen? Wir müssen für alles dicht an dicht Schlange stehen. Ärzte können uns nicht helfen. Die Krankenhäu­ser sind kaum ausgestatt­et. Die Regierung sagt, an dem Mangel seien nur die US-Sanktionen schuld. Sie haben sicher ihren Anteil am Elend. Aber die Regierung ist korrupt und unfähig wie eh und je.

Während ich das erzähle, muss ich aufpassen, dass die Nachbarn nichts hören. Wer weiß, ob sie mich verpfeifen. Die Geheimpoli­zei verhaftet ständig Leute, die sich beklagen. Ich glaube, seit der Feind geflohen ist, fühlt der Sicherheit­sapparat sich völlig frei, uns zu schikanier­en. Vor zehn Jahren hatte ich die Hoffnung, dass es bald keine Geheimpoli­zei mehr geben würde. Ich wollte ohne Angst sagen können, was ich denke.

Ich denke, dass es richtig war, auf die Straße zu gehen. Die Generation vor uns hat einfach alles ertragen. Im Moment fällt es mir schwer, mir eine Zukunft vorzustell­en. Was mich enttäuscht, ist die Gleichgült­igkeit der Welt. Die zivilisier­ten Länder schauen ja einfach nur zu.

Newspapers in German

Newspapers from Germany