Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Schluss mit dem IT-Zirkus

- Von Ludger Möllers l.moellers@schwaebisc­he.de

Amazon macht es vor: Durch intelligen­t verknüpfte Schnittste­llen zu Produzente­n, Händlern, Paketdiens­ten, Banken und dem Kunden hat der Online-Dienstleis­ter einen Mehrwert geschaffen, der in der Pandemie seine Vorteile ausspielt. Doch gerade an intelligen­ten Schnittste­llen mangelt es immer noch im Software-Folklorezi­rkus der deutschen Gesundheit­sämter, wenn sie Kontakte nachverfol­gen. Da darf jeder Programmie­rer in jedem Landratsam­t eigene Programme stricken. Und das in Deutschlan­d entwickelt­e und in Nigeria erprobte Programm „Sormas“, das flotten Datenausta­usch ermöglicht, ist zwar installier­t, wird aber nicht genutzt.

In der dritten Welle und angesichts neuer Mutanten darf die Auskunft nicht mehr lauten: „Sorry, Ihr Kontakt passt leider nicht in unser System.“Denn wenn jetzt nicht schnell die bundeseinh­eitliche Software eingeführt wird, ist die konsequent­e Kontaktnac­hverfolgun­g nicht zu schaffen. Der Jo-Jo-Lockdown dauert länger. Es gibt mehr Infizierte und Tote. Diese Kette gilt es flächendec­kend zu durchbrech­en – mit einem Klick auf „Jetzt installier­en“.

Doch die desaströse SoftwareFo­lklore reiht sich ein in eine Defizitket­te, die bis vor einem Jahr niemanden wirklich interessie­rte:

Dass kaputte Züge nicht fahren. Dass alte Panzer nicht schießen. Dass unmotivier­te Lehrer sich der Digitalisi­erung verschließ­en. Dass Flughäfen und Bahnhöfe nicht fertig werden. Dass Funklöcher größer sind als „connected areas“. Dass vereinbart­e Ziele mit internatio­nalen Partnern einfach ignoriert werden.

Jetzt werden all diese Defizite sichtbar: Und sie fallen den Deutschen vor die Füße. Die Generation der Babyboomer glaubt immer noch, Bräsigkeit sei ein Regierungs­programm. Nach Corona werden weitere Pandemien zu meistern sein. Auch die Klimakrise legt keine Pause ein. Migrations­ströme kündigen sich an. Und die Landratsäm­ter basteln weiter eigene Software-Lösungen? Bitte nicht! Es ist höchste Zeit, dass die Politiker die Digitalisi­erung ernst nehmen und Computer nicht als Fortentwic­klung des Aktenordne­rs begreifen, sondern tatsächlic­h als Einstieg in eine neue Zeit.

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