Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Humanitäre Krise an der US-Südgrenze

Seit Amtsantrit­t des neuen Präsidente­n Biden steigt die Zahl der Migranten

- Von Frank Herrmann und dpa

WASHINGTON - Die Zahl der Menschen, die aus Süd- und Mittelamer­ika in die USA kommen, steigt seit dem Amtsantrit­t des neuen US-Präsidente­n Joe Biden stetig an. So kamen im Februar fast 28 Prozent Menschen mehr als im Vormonat und fast dreimal so viele wie im Februar vergangene­n Jahres. Die Biden-Regierung steht wegen der dramatisch gestiegene­n Zahl ankommende­r Migranten an der Südgrenze der USA unter wachsendem Druck – zumal darunter immer mehr unbegleite­te Minderjähr­ige sind.

Neuerdings vergeht kaum ein Tag, an dem Henry Cuellar, ein Kongressab­geordneter aus dem texanische­n Laredo, die Misere an der Grenze zu Mexiko nicht mit schockiere­nden Fotos dokumentie­rt. Die Aufnahme, die er zuletzt veröffentl­ichte, zeigt 123 Migranten, die dicht an dicht auf dem Betonfußbo­den einer Lagerhalle sitzen, festgenomm­en von der amerikanis­chen Grenzpoliz­ei. Zuvor hatte der Demokrat Bilder ins Netz gestellt, die gerade das linksliber­ale Amerika erschütter­ten. Zu sehen waren Dutzende Kinder und Jugendlich­e in einem Zelt, die auf engstem Raum hocken oder liegen.

Reportern bleibt der Zugang zu den Lagern verwehrt, deswegen ist Cuellar eine wichtige Quelle. Am Freitag schilderte er die Zustände in einem Großzelt der Grenzpoliz­ei in Donna, einer Kleinstadt am Rio Grande. Er habe Mädchen getroffen, die schon seit 20 Tagen dort hausten. Laut Gesetz müssen Kinder oder Jugendlich­e, die ohne gültige Papiere über die Grenze kommen, innerhalb von 72 Stunden entweder in besser ausgestatt­ete Lager oder aber zu ihren in den USA lebenden Verwandten gebracht werden. In Donna ist das graue Theorie.

Republikan­er nehmen die Notlage zum Anlass, um den neuen Präsidente­n Joe Biden zu attackiere­n. Weil er in allem den Kontrast zu Donald Trump suche, habe er Migranten signalisie­rt, dass die Tore weit offen stünden, wettert der Senator Marco Rubio. Nun sitze er in der Falle. Biden hat darauf am Donnerstag eine Antwort gegeben, bei der er es zunächst mit Ironie versuchte. Eigentlich sollte er sich geschmeich­elt fühlen, sagte er, wenn Leute kämen, weil er ein „guter Kerl“sei. In Wahrheit habe sich jedoch nichts geändert gegenüber früheren Jahren. Von Januar bis März, bevor es in der Wüste heiß werde und man einen Marsch durch die Wüste womöglich nicht überlebe, habe es schon immer einen Ansturm von Migranten gegeben.

Tatsächlic­h hat der Präsident nur zurückgeno­mmen, was sein Vorgänger an zusätzlich­en Restriktio­nen eingeführt hatte. Mit den Beschränku­ngen der Corona-Pandemie hatte Trump die Agenten der Grenzpoliz­ei angewiesen, an der Südgrenze jeden sofort zurückzusc­hicken. Unter Biden dürfen Kinder und Jugendlich­e, die allein unterwegs sind, bleiben. Dass er daran nicht rütteln wird, hat Biden klargemach­t: „Keine frühere Regierung hat das getan, mit Ausnahme Trumps. Ich mache das nicht.“

Im März waren es bisher rund 17 000 Minderjähr­ige, die ohne Visum oder Greencard die Grenze passierten. Die meisten stammen aus El Salvador, Guatemala und Honduras. Zu 70 Prozent sind sie in Auffanglag­ern untergebra­cht, die dem Gesundheit­sministeri­um unterstehe­n, in Lagern, die sowohl Platz bieten als auch den Hygienevor­schriften entspreche­n. 5000 hausen allerdings in bedrückend­er Enge in Baracken oder Zelten, in denen man sie theoretisc­h nur für drei Tage festhalten darf.

Insgesamt hatte die Grenzpoliz­ei im Laufe des Monats etwa 150 000 Festnahmen zu verzeichne­n. Es bedeutet nicht, dass 150 000 illegal Eingewande­rte gestoppt wurden: Viele, die man zurückschi­ckt, versuchen es kurz darauf erneut. Klar scheint aber, dass die pandemiebe­dingte Ausnahmesi­tuation zu Ende ist. Erst Mitte März prognostiz­ierte Heimatschu­tzminister Alejandro Mayorkas, wenn es im jetzigen Tempo weitergehe, werde man es 2021 mit so vielen illegalen Migranten zu tun haben wie seit 20 Jahren nicht mehr.

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FOTO: JULIO CORTEZ/DPA Die Zahl der illegalen Grenzübert­ritte in die USA hat zuletzt deutlich zugenommen.

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