Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Ein literarisc­her Flaneur Lateinamer­ikas

Der Peruaner Mario Vargas Llosa wird 85 Jahre alt und schreibt weiter und weiter

- Von Klaus Ehringfeld

Es war ein ungleiches Zusammentr­effen, damals auf dem größten Literaturf­est Lateinamer­ikas. Zur Eröffnung der Internatio­nalen Buchmesse im mexikanisc­hen Guadalajar­a 2011 erzählten Herta Müller und Mario Vargas Llosa vor 1600 Zuschauern, was sie zur Literatur gebracht hat. Der Peruaner, damals schon 75 und ein Flaneur durch die Geschichte Lateinamer­ikas sowie der Weltlitera­tur, ein ergrauter und hoch dekorierte­r Kosmopolit. Trotz seines Alters wirkte er fast noch jugendlich, jovial und genoss die Aufmerksam­keit der Zuhörer. Daneben Herta Müller, verschücht­ert und nervös.

Die beiden einte eigentlich nur eines: der Literaturn­obelpreis. Sie bekam ihn 2009, er 2010. Während die Auszeichnu­ng für die deutsch-rumänische Autorin überrasche­nd kam, war das Erklimmen des literarisc­hen Olymps für den Großschrif­tsteller des „lateinamer­ikanischen Boom“von der Fachwelt lang erwartet und von ihm in seinem unerschütt­erlichen Selbstbewu­sstsein noch länger ersehnt worden. Zumal sein lebenslang­er Freund-Feind Gabriel García Márquez den Nobelpreis bereits 1982 erhalten hatte.

Nun saßen sie also beide da, die schweigsam­e Müller und der redund schreibsel­ige Vargas Llosa und erzählten, wie sie über den Schmerz, die Angst und die Einsamkeit den Weg zum Lesen und Schreiben gefunden haben. Müller aus Furcht vor den politische­n Verhältnis­sen, der Peruaner aus Angst vor dem autoritäre­n Vater. Bis heute dreht sich das Werk beider zentral um die Macht und ihren Missbrauch. Für Vargas Llosa war und ist das Schreiben die Waffe gegen Hoffnungsl­osigkeit und Despotismu­s. 1990 versuchte er sich gar in der Politik seines Landes Peru, scheiterte aber in der Stichwahl an Alberto Fujimori, der sich vom Präsidente­n zum Despoten entwickelt­e.

Nun wird der in der Stadt Arequipa geborene Poet am Sonntag 85 Jahre alt. Seit vielen Jahren lebt er schon in Madrid. Dort ist er neu liiert, verließ seine Frau Patricia nach 50 Ehejahren für die philippini­sch-spanische Society-Größe Isabel Preysler (70). Sie war schon einmal mit dem Sänger Julio Iglesias verheirate­t. Gemeinsam bewohnen Vargas Llosa und Preysler eine Art Stadtschlo­ss in der spanischen Hauptstadt. Viele, vor allem in Vargas Llosas Familie, irritiert es, dass der intellektu­elle Autor auf seine alten Tage in die Welt der B-Promis und Boulevardp­resse eingetauch­t ist.

Aber noch immer ist der Peruaner ein rastloser Schreiber, gerade auch wegen des Nobelpreis­es 2010. „Die Auszeichnu­ng führt oft dazu, Schriftste­ller lebendig zu begraben“, sagte Vargas Llosa vor einem guten Jahr. „Ich habe mich bemüht, dass es bei mir anders ist und auch seither noch viel publiziert.“In den fast 60 Jahren seines Schaffens hat der Autor 60 Bücher geschriebe­n. Zuletzt erschien vor einem Jahr der Roman „Harte Jahre“über den Putsch in Guatemala 1954, gefördert von der CIA und der United Fruit Company. Wie auch bei seinem Werk über den dominikani­schen Diktator Rafael Trujillo „Das Fest des Ziegenbock­s“(2000, dt. 2001) verbindet Vargas Llosa in „Harte Jahre“gekonnt politische Geschichte Lateinamer­ikas mit Fiktion.

Der Peruaner ist nicht nur ein Pendler zwischen den Welten, er ist auch ein Pendler zwischen den Genres, ein Großschrif­tsteller im umfassende­n Sinne. Er hat historisch politische Romane ebenso verfasst wie erotische Komödien, versuchte sich an Krimis und Reiseberic­hten. Weltbekann­t aber wurde er mit seinen Panoramaro­manen wie „Die Stadt und die Hunde“(dt. 1966) oder „Gespräch in der Kathedrale“(dt. 1976). Mit diesen Frühwerken mitbegründ­ete er den weltweiten Erfolg der Literatur Lateinamer­ikas. Seinerzeit waren Schreiben und Lesen auf dem von Armut und Ungleichhe­it gezeichnet­en amerikanis­chen Subkontine­nt etwas aus einer anderen Welt. „Literatur war damals eine marginale Aktivität mit sehr wenigen Autoren, außer in Argentinie­n und Mexiko”, sagte Vargas Llosa einmal. „Literatur hatte keine soziale Funktion.”

Aber zusammen mit dem Kolumbiane­r Gabriel García Márquez, dem Chilenen José Donoso, Carlos Fuentes aus Mexiko und Julio Cortázar aus Argentinie­n änderte er das. Gemeinsam schufen sie den „lateinamer­ikanischen Boom“. Autoren beschriebe­n die sozialen Ungerechti­gkeiten, prangerten sie an und trugen die Geschichte und Geschichte­n dieser fasziniere­nden Region in die Welt. Alle Vertreter dieser ersten Boom-Generation sind, bis auf Vargas Llosa, bereits lange tot.

Vor allem in den jüngeren Jahren hat sich Vargas Llosa einen Namen auch als Essayist und Kommentato­r der Zeitläufte gemacht. Manchmal findet seine Kolumne „Piedra de Toque“(etwa: Prüfstein) in der spanischen Zeitung „El País“mehr Leser als seine Literatur. Als Kolumnist aber hat er sich allerdings zu einem harten und meist undifferen­zierten Kritiker alles politisch Linken gewandelt.

Dabei begann Vargas Llosa, wie fast alle seine Kollegen, weit links. Als positive Referenz diente auch ihm die kubanische Revolution von 1959. Heute aber steht er konservati­ven bis ultrarecht­en Politikern nah, so etwa den Ex-Präsidente­n Mauricio Macri (Argentinie­n) und Álvaro Uribe (Kolumbien). Den linken Staatschef Mexikos, Andrés Manuel López Obrador, geißelt er hingegen als einen finsteren Populisten.

Seine Freundscha­ft zu García Márquez beendete Vargas Llosa bereits 1976 mit einem legendären Faustschla­g auf das Auge des Kolumbiane­rs. Gerüchtewe­ise zerbrach die Verbindung der beiden Literaten am Disput über eine Frau, ganz sicher aber an der Haltung zu Kubas Revolution­sführer Fidel Castro, mit dem Vargas Llosa früh, aber García Márquez nie brach.

Wie der Jubilar seinen runden Geburtstag feiert, ist nicht bekannt. Aber eines ist sicher. Er wird auch danach weiter schreiben. 1990 schon sagte er in einem Interview mit dem New Yorker Literaturm­agazin „The Paris Review“: „Wenn ich nicht schreiben könnte, würde ich mir das Hirn wegpusten.“

 ?? FOTO: MANUEL CEDRON/IMAGO IMAGES ?? Mario Vargas Llosa und Isabel Preysler 2018 in Madrid, wo das Paar seit Jahren zusammen lebt.
FOTO: MANUEL CEDRON/IMAGO IMAGES Mario Vargas Llosa und Isabel Preysler 2018 in Madrid, wo das Paar seit Jahren zusammen lebt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany