Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Saubere und sichere Kinderstub­e gesucht

Einfallsre­iche Baumeister – Vögel konstruier­en mit sehr unterschie­dlichen Methoden geschützte Nester für ihren Nachwuchs

- Von Roland Knauer

Aromatisch­e Küchenkräu­ter sind in den Blumenkäst­en auf dem Balkon oder im Garten äußerst beliebt. Und das nicht nur beim Eigentümer der Pflanzen, sondern auch bei Blaumeisen, Staren und vielen anderen Vögeln. So mancher Sperling rupft mit seinem Schnabel ganze Zweige vom Thymian ab und schleppt diese Beute in sein mehr oder weniger sorgfältig unter der Dachkante errichtete­s Nest. „Damit lassen sich Parasiten vertreiben, die sonst dem Nachwuchs zusetzen würden“, erklärt Bart Kempenaers vom Max-PlanckInst­itut für Ornitholog­ie im oberbayeri­schen Seewiesen. Entscheide­nd ist für die werdenden Eltern dabei nicht der angenehme Duft, sondern die abschrecke­nde Wirkung auf Quälgeiste­r: Statt Kräuter bauen Sperlingse­ltern in Mexiko auch Zigaretten­stummel in ihr Nest ein. Darin steckt nämlich Nikotin, das Milben und andere Parasiten effektiv vertreibt.

Für den Einsatz einer solchen chemischen Keule haben die Vögel einen guten Grund: „Ihre junge Familie soll ein möglichst sicheres Zuhause haben“, sagt Bart Kempenaers. Das aber ist gerade für Vögel besonders wichtig. Während die Erwachsene­n vor einem Feind meist davonflieg­en, steckt der Nachwuchs zunächst einmal etliche Tage in seinem Ei fest. Noch dazu deponiert die Mutter zwischen den Eischalen alles, was der werdende Vogel für seine Entwicklun­g braucht. Genau dieser Vorrat aber ist natürlich auch bei anderen Lebewesen vom Eichhörnch­en bis hin zu sehr vielen Menschen mit Appetit auf Eierspeise­n hochbegehr­t. Obendrein sind auch die Küken gefragte Leckerbiss­en, können aber bei vielen Arten erst nach etlichen Tagen oder sogar erst nach Monaten einem hungrigen Maul oder Schnabel entkommen.

Bis dahin müssen also die Eltern für den Schutz ihrer Nachkommen sorgen und ihnen ein möglichst sicheres Zuhause bieten. Die verschiede­nen Wege zu einem solchen gemütliche­n Nest untersuche­n Bart Kempenaers und seine Mitarbeite­r, wenn sie die Nester aller rund zehntausen­d Vogelarten vergleiche­n, die auf der Erde ihren Nachwuchs vor den lauernden Gefahren ihrer Umwelt schützen müssen. Dabei stoßen die Forscher auf recht unterschie­dliche Methoden, die sich im Laufe der Evolution entwickelt haben.

Da gibt es zum Beispiel die Strandläuf­er, deren Ahnentafel sehr weit in die Vergangenh­eit zurückreic­ht. Diese Vögel brüten zwar im hohen Norden, mehrere Arten wie der Knutt und der Alpenstran­dläufer rasten aber auf ihrem Weg nach Süden oder aus dem Süden ausgiebig in Mitteleuro­pa. „Alle Strandläuf­er geben sich mit einer Mulde zufrieden, in die sie ihre Eier legen“, nennt der Bart Kempenaers die wohl einfachste Form eines solchen Nestes.

Bart Kempenaers vom Max-Planck-Institut für Ornitholog­ie im oberbayeri­schen Seewiesen

Ähnlich halten es auch Küstensees­chwalben, die zwar ebenfalls im Norden zu Hause sind, von denen aber einige Paare auch an den deutschen Küsten von Nord- und Ostsee brüten. Ihre braun gesprenkel­ten Eier sind zwar hervorrage­nd getarnt, und die Vogelelter­n wählen auch gern abgelegene Orte, um dort mit ihrem Körper eine Mulde in den Boden zu drücken, die häufig schon das fertige Nest ist. Hungrige Füchse oder streunende Katzen finden die Brutkoloni­en der Vögel aber trotzdem oft genug. Und stoßen auf eine erbitterte und todesmutig­e Gegenwehr der Eltern: Küstensees­chwalben erbeuten ihre Nahrung im Sturzflug aus dem Meer und wenden diese Technik auch gegen Eindringli­nge an. Zwar haben die Vögel von der Größe einer Amsel keine realistisc­he Chance gegen einen Menschen oder gar einen Eisbären. Aber sie können dem Eindringli­ng mit ihren Krallen im Sturzflug schmerzhaf­te Wunden zufügen und zielen dabei auch noch gern auf die Augen. Vor einer solchen aggressive­n und gefährlich­en Verteidigu­ng aber scheuen selbst größere Raubvögel und sogar Eisbären zurück.

Im Laufe der Jahrmillio­nen hat die Evolution dann raffiniert­ere Methoden für den Schutz des Vogelnachw­uchses entwickelt. „Das gilt vor allem für die Singvögel, die vermutlich vor rund 33 Millionen Jahren in Australien entstanden und die sich von dort in den Rest der Welt verbreitet haben“, erklärt Bart Kempenaers. Dabei teilten sich die Singvögel in verschiede­ne Gruppen auf, heute stellen sie mit rund 5000 Arten etwa die Hälfte aller Vögel. Und fast alle dieser Arten geben sich viel mehr Mühe als Strandläuf­er oder Küstensees­chwalben und errichten richtige Nester. Diese erfüllen vor allem zwei Funktionen: „Sie schützen die Eier und möglichst auch den brütenden Vogel, und sie sorgen zusammen mit der Körperwärm­e der Eltern für die angenehme Wärme, in der die Eier sich entwickeln“, erklärt Kempenaers.

Der Baustil aber unterschei­det sich zwischen den verschiede­n Vogelgrupp­en oft enorm. Die kleinen Zaunkönige bauen gleich mehrere Nester zum Beispiel im Gebüsch, unter den Wurzeln umgestürzt­er Bäume oder unter einem ausgespült­en und überhängen­den Bachufer, aber auch in alten Mauern und im Gebälk von Dächern. Aus feuchten kleinen Ästen, Moos, Farnen und Blättern konstruier­en die Männchen dort ihre kugelförmi­gen oder ovalen Nester mit seitlichem Eingang und einem weichen, gepolstert­en Innenraum, in dem Eier, Küken und brütende Vögel vor den Augen von Katzen und anderen Räubern gut geschützt sind.

Recht ähnlich bauen auch die Männchen der Beutelmeis­e aus Spinnweben und Pflanzenfa­sern ein beutelförm­iges Nest, das etwa 17 Zentimeter hoch und elf Zentimeter breit ist. Dieses architekto­nische Meisterwer­k hängt an biegsamen Zweigen und hat einen seitlichen Eingang, der zum flauschige­n Nest im Innern führt. Die Weibchen wählen das ihnen am besten erscheinen­de Nest aus und übernehmen dann den Innenausba­u. „Besonders die Arten, deren Nachwuchs nach dem Schlüpfen als Nesthocker längere

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Zeit in ihrem Zuhause bleiben, sind auf solche Nester angewiesen, die sie vor den Blicken hungriger Räuber verbergen“, erklärt Bart Kempenaers diese Strategie. Neben so aufwändige­n Bauten wie bei Beutelmeis­en und Zaunkönige­n gibt es noch einige weitere Möglichkei­ten für ein schützende­s Dach über den Köpfen des Nachwuchse­s. Spechte hämmern sich zum Beispiel Höhlen in das Holz von Baumstämme­n. Und da sich diese Vögel immer wieder neue Nester zimmern, finden sich für die leerstehen­den Altbauten meist sehr rasch Nachmieter in Form weniger begabter Baumeister.

„Meisen wählen dabei aus gutem Grund eine Höhle mit möglichst schmalem Zugang“, erinnert sich Bart Kempenaers an seine Masterarbe­it zu diesem Thema. Je enger der Zugang, umso schwierige­r wird es für die Pfote eines Marders oder eines Eichhörnch­ens, die Eier oder Küken aus dem Nest zu holen. Heutzutage handelt es sich bei dieser Bruthöhle häufig um ein Vogelhäusc­hen, in das die Meisen auch in der nächsten Saison gern zurückkehr­en. Aber nur, wenn vorher ein Mensch ihr altes Nest entfernt hat, in dem sich während der Brut leicht Parasiten ansammeln.

Solche Baumhöhlen sind ja ohnehin nicht allzu dicht gesät und die Aussichten auf ein solches Zuhause sind oft ähnlich schlecht wie die Chancen auf eine gute Mietwohnun­g in bester Lage einer boomenden Großstadt. Mehlschwal­ben bauen sich ihr Zuhause daher lieber selber, indem sie Schlamm mit ihrem Speichel anreichern, der beim Aushärten das Ganze ähnlich wie Mörtel zusammenhä­lt. Ist der erste Baustein trocken und fest, wird der nächste Schlamm geholt und mit Mörtel angefügt. Bis schließlic­h ein kleines Lehmhaus entstanden ist, in dem der Nachwuchs sicher aufwachsen kann.

Die Kunst des Nestbaus erben die Vögel zwar von ihren Eltern, verbessern oft aber ihre Fähigkeite­n von Jahr zu Jahr weiter. „Allerdings bauen sie später in der Saison manchmal auch schlechter­e Nester, vermutlich weil die Zeit dann schon drängt“, berichtet Bart Kempenaers. Überhaupt gibt es in den hand- oder besser schnabelwe­rklichen Fähigkeite­n zwischen den Vögeln oft enorme Unterschie­de – und die Weibchen haben gute Gründe sich das Nest genau anzuschaue­n, bevor sie ihren Zukünftige­n auswählen.

Vor allem große Vögel wie Störche, Bussarde und Adler, die ihre Brut gut gegen Krähen und andere Nesträuber verteidige­n können, setzen dagegen jedes Jahr auf das altbewährt­e Zuhause. Das bauen sie in jedem Jahr weiter aus, um seine Stabilität zu stärken. Dadurch wächst der Bau weiter und so mancher Storch zieht seinen Nachwuchs dann in einem vier Meter hohen Nest auf, das zwei Meter Durchmesse­r hat und bis zu zwei Tonnen wiegt. In Florida saß der Nachwuchs eines Weißkopfse­eadler-Paares in einem Baum sogar auf einem sechs Meter hohen Nest, das mit nicht ganz drei Tonnen schwerer war als mancher SUV.

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FOTOS: ROLAND KNAUER Die Küken der Blaumeisen schlüpfen in Baumhöhlen oder heutzutage oft in Nistkästen, deren Eingänge zu schmal für die Pfoten eines Marders sind.
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In der Antarktis gibt es kaum Pflanzen, daher schichten Riesenstur­mvögel aus kleinen Steinchen ein Nest auf, in dem sie ihre Eier ausbrüten (oben). In Neuseeland bauen Elsterscha­rben einfache Nester im Gebüsch, in denen ihr Nachwuchs sicher aufwachsen kann (links).

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