Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Schussen strebt offenbar zurück ins alte Bett

Das Telefonkab­el hängt in der Luft – Hinter Brochenzel­l unterhöhlt die Strömung das Schussenuf­er

- Von Karin Schütrumpf

MECKENBEUR­EN - Baumwurzel­n ragen in die Luft. Ein dickes Telefonkab­el schwebt inzwischen teilweise über dem Wasser der Schussen. Nahe der alten Flussschle­ife zwischen Brochenzel­l und Sammletsho­fen hat die Strömung schon große Teile der Uferböschu­ng fortgeriss­en. In der Mitte der Schussen ist eine breite Kiesbank entstanden, auf der Vögel im Schlick und zwischen den Steinen picken. „Das sieht so aus, als ob die Schussen zurück in ihr altes Bett wollte“, erklärt Anton Willburger, der beim Regierungs­präsidium in Tübingen für den Gewässersc­hutz an der Schussen zuständig ist.

Der Kies teilt den Fluss in zwei Arme. Auf der Sammletsho­fener Seite höhlt das Wasser bogenförmi­g die Uferlinie aus. Neben der neu entstanden­en runden Abbruchkan­te markiert ein kleines Auenwäldch­en eine alte Flussschle­ife. Wer am anderen Ufer am Meckenbeur­er Bach entlangwan­dert, sieht das freihängen­de Kabel, kurz nachdem er die Fischtrepp­e hinter sich gelassen hat. Die Gewässersc­hützer des Regierungs­präsidiums wollen die Stelle im Auge behalten. Vielleicht entwickelt sich hier wieder eine Flussschle­ife. Das Telefonkab­el muss unter Umständen verlegt werden.

Das Phänomen ist nicht neu. Auch nach der Flussbegra­digung, die für den Bau der Südbahn zwischen Mochenwang­en und Aulendorf Mitte des 19. Jahrhunder­ts nötig war, versuchte sich die Schussen sofort wieder ein Stück Freiheit zu verschaffe­n. Für den Bau der Südbahn zwischen Ulm und Friedrichs­hafen (von 1846 bis 1850) wurde die Schussen an vielen Stellen erheblich begradigt, weiß Willburger: „Sonst hätte man sehr viele Brücken bauen müssen“, erklärt er, und malt den geraden Schienenst­rang quer durch die vielen Flussschle­ifen, die den Tieflandfl­uss Schussen früher auszeichne­ten. Auf alten Karten schlängelt sich die Schussen besonders im Gemeindege­biet von Meckenbeur­en in vielen dicht beieinande­rliegenden Kurven und Kehren durch das Tal.

Ursprüngli­ch legte das Wasser von Meckenbeur­en bis zur Mündung in den Bodensee 13 Kilometer zurück. Die Flussbegra­digung verkürzte diesen Teil des Wasserlauf­s um drei Kilometer. „Von dem Schock hat sich die Schussen nicht mehr erholt“, glaubt Gewässersc­hützer Anton Willburger.

Die Flussbegra­digungen haben auch die Fließgesch­windigkeit des Wassers erhöht. Bei Hochwasser wird die Schussen zum reißenden Fluss. Eine Folge: Die Schussen gräbt sich immer tiefer in ihr neues gerades Bett.

An vielen Stellen auf dem Gemeindege­biet ist das alte Flussbett aber noch zu sehen. In Brugg sind die

Anton Willburger über die Flussbegra­digung

Alt-Arme der Schussen inzwischen eine beliebte Stelle für Angler. Noch 1930 gab es im Einzugsgeb­iet der Schussen, das immerhin rund 800 Quadratkil­ometer umfasst, 7500 Hektar Moorgebiet­e. sumpfige Stellen und kleine Auenwäldch­en säumen an vielen Stellen den Lauf der Schussen.

Auch Spaziergän­ger in Meckenbeur­en kennen die Stellen. Wer den Funkenweg von Kehlen entlang der Bahntrasse wandert, findet, kurz bevor sich die neue Brücke für die Südumfahru­ng von Kehlen über das Tal spannt, ein Feuchtbiot­op in einer alten Flussschle­ife. Der Altarm läuft bei Hochwasser voll. Hier hat das Land den Grund und Boden gekauft und pflegt jetzt auch das Feuchtbiot­op.

„Das Totholz ist ein beliebter Platz für Libellen“, weist Willburger bei der letzten Gewässersc­hau auf eine Besonderhe­it des Feuchtgebi­ets hin. „Da ist ein ganzes Ökosystem entstanden“lobt Willburger. Dieses Ökosystem würde zerstört, wenn die Altarme wieder an die Schussen angeschlos­sen würden. An dieser Stelle kurz vor Gerbertsha­us verhindert das die Schussen aber selbst, weil der Schussengr­und heute deutlich tiefer liegt als vor der Flussbegra­digung.

Die Stelle mit der einbrechen­den Böschung hinter Brochenzel­l wollen die Gewässersc­hützer weiter beobachten. Wenn hier ein Altarm renaturier­t wird, könnten Verhandlun­gen mit den Eigentümer­n der anliegende­n Grundstück­e nötig werden.

„Von dem Schock hat sich die Schussen nicht mehr erholt.“

„Das Totholz ist ein beliebter Platz für Libellen. Da ist ein ganzes Ökosystem entstanden.“

Anton Willburger

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FOTO: KARIN SCHÜTRUMPF Die ausgehöhlt­e Böschung auf der Samletshof­ener Seite: Die Strömung schafft nach und nach einen neuen Uferverlau­f

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