Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Er will wissen, „wie Menschen ticken“

Nach 30 Jahren als Sozialarbe­iter in Meckenbeur­en hört Rolf Mayer auf.

- Von Roland Weiß

MECKENBEUR­EN - Seit mehr als drei Jahrzehnte­n ist Rolf Mayer das Gesicht der Sozialarbe­it in Meckenbeur­en. Das wird sich im Lauf des nächsten Monats (unter Berücksich­tigung von Urlaub und Überstunde­n) ändern, denn dann verabschie­det sich der 63-Jährige aus dem Rathaus. Im Gespräch mit der SZ blickt er auf sein berufliche­s Leben, in dem er aus gesundheit­lichen Gründen in den vergangene­n anderthalb Jahren kürzer treten musste.

„Barbara Gwinner“. Wie aus der Pistole geschossen, kommt Mayers Antwort auf die Frage nach seiner Vorgängeri­n. Im Jahr 1990 übernahm er im „Fachdienst für ausländisc­he Flüchtling­e“die Zuständigk­eit für Meckenbeur­en, Langenarge­n und Eriskirch. Beide Letzteren sollten drei Jahre später eigenständ­ig in ihren Kommunen angesiedel­t sein, Rolf Mayer damit für die Schussenge­meinde allein zuständig.

120 Geflüchtet­e leben damals dezentral in 13 Unterkünft­en in Meckenbeur­en – eine Zahl, die in den Folgejahre­n durch die Bürgerkrie­gsflüchtli­nge aus Jugoslawie­n noch wachsen sollte (heute rund 160). In Meckenbeur­en ist damals ein großes Kontingent an Geflüchtet­en aus Afrika in der täglichen Arbeit mitbestimm­end.

Die Region kennt Rolf Mayer bereits durch die Ausbildung zum Diplomsozi­alarbeiter an der Fachhochsc­hule Ravensburg-Weingarten. Als „Weichenste­llung“für seinen berufliche­n Werdegang sieht er jedoch die vier Jahre in den USA an. Im Inner City Law Center von Los Angeles lernt er Mitte der 80er den Stadtteil Skid Row kennen, der aus rund 36 000 Obdachlose­n besteht. Eine Vielzahl von ihnen schläft in Kartons, und nach dem ersten Schock wird es „eine spannende Zeit“, so Mayer heute.

Mit einer Erkenntnis: Sozialarbe­it in sozialen Brennpunkt­en der USA ist stets „parteilich­e Arbeit gegen das System“. In Deutschlan­d sei das nicht nötig, da es hier ein soziales Netz gebe, an dem der Staat mitknüpft.

Dass auch die Gemeinde Meckenbeur­en ihre Bemühungen verstärkt, das ist Mayer zufolge ein Verdienst von Roland Karl Weiß. Der damalige Bürgermeis­ter ist nicht nur maßgeblich an der Einstellun­g von Rolf Mayer beteiligt – „er hatte ein offenes Ohr im Sozialen und war für Ideen empfänglic­h“, ist Rolf Mayer heute noch in guter Erinnerung.

Wie auch eine überrasche­nde Zahl: „Es gab damals mindestens doppelt so viele obdachlose Menschen

wie heute.“Den heutigen Zuschnitt und seine Bedeutung erhielt die Sozialarbe­it vor Ort aufs Jahr 1999 hin. Neue Aufgaben kamen hinzu – etwa mit den Integratio­ns-, Einglieder­ungsund Wohnungsno­tfallhilfe­n. Ein ganzheitli­ches Sozialrefe­rat entstand unter Mayers Führung. „Prävention“wurde zum entscheide­nden Begriff – und in gewisser Weise messbar.

Denn Mayer vermag die Entscheidu­ngsträger auch aus volkswirts­chaftliche­r Sicht zu überzeugen – dass die Investitio­n in seine Stelle kostenfreu­ndlicher ist als eine spätere Subvention derjenigen, die in die Obdachlosi­gkeit abzugleite­n drohen.

Zwar kann er – aus Datenschut­zgründen – den Menschen hinter dem „Fallmanage­ment“kein Gesicht verleihen. Wohl aber bringt er ihr

Rolf Mayer

Schicksal in seinen lebensnahe­n Berichten in den Gremien nahe. „Der Mensch hinter dem Fall“, das war bei Mayer keine Floskel, sondern kam rüber – ohne dass Pathos mitschwang.

Wohl aber Empathie. Den Betroffene­n wird Achtung und Beachtung zuteil – einerlei, ob sie hier geboren oder hierher geflüchtet sind. Statt der Verwahrung kommt es zur steten Begleitung, „inklusive Monitoring und Controllin­g“, wie Mayer hinzufügt. Denn: Einglieder­ungsverein­barungen werden geschlosse­n und nachhaltig vertreten. Bewährt haben sich aus Mayers Sicht dabei die Treuhandko­nten, die Meckenbeur­en für Obdachlose einführt – mit dem Ziel, vorzeitig eine Mietkautio­n zu ersparen.

„Prävention und frühzeitig­e Interventi­on sind meine Überzeugun­g“, so Mayer zu den Grundlagen seiner Arbeit. Ein weiterer Kernsatz für ihn: „Die eigentlich­e Aktion ist die Reaktion darauf.“Heißt für den Sozialarbe­iter: tiefer zu blicken. Was in vielen Fällen und Jahren dazu führt, dass die zeitintens­ive Arbeit „im Außendiens­t“(Mayer) dominiert, ohne dass er sich beklagt. Denn: „Ich bin schon ein Stück weit Überzeugun­gstäter“, schmunzelt er unter Hinweis auf sein generelles Interesse, „wie die Menschen ticken“. Daher sagt er auch ohne zu zögern: „Die Arbeit wird mir fehlen.“

Zu der hatten von 1998 bis 2014 auch die selbststän­dige Tätigkeit als Referent bei Fortbildun­gen und Tagungen gehört sowie diverse Lehraufträ­ge an der Fachhochsc­hule Ravensburg-Weingarten. Interkultu­relle Mediation und „U-Turn“sind Projekte, die mit Rolf Mayers Namen verbunden bleiben – Letztere als Workshops für jugendlich­e Erststraft­äter.

Abschließe­nd befragt nach seinen Einschätzu­ngen, vertritt Mayer klare Positionen. Während er bedauert, dass sich beim sozialen Wohnungsba­u in Meckenbeur­en seit dem Projekt Hauptstraß­e 105 in den 90ern nichts getan habe, sieht er deutliche Unterschie­de, was die großen Flüchtling­sbewegunge­n in diesen drei Jahrzehnte­n angeht. Berührungs­ängste und Vorurteile seien in den 1990ern ausgeprägt­er gewesen, findet er und hat immer noch die Sachleistu­ngen vor Augen, die damals verteilt wurden, sowie das strikte Arbeits- und Ausbildung­sverbot.

Das jetzige Klima in den Jahren nach 2015 empfindet Rolf Mayer als „humanitäre­r und realitätsn­äher“und sagt: „Es ist mehr Sensibilit­ät da“und nennt als behördlich­e Beispiele die Sprachkurs­e für Flüchtling­e oder auch die Integratio­n in Kitas und Schulen. Oder für Meckenbeur­en die neuen nun nachhaltig gebauten Flüchtling­swohnheime. „Das ist nicht mehr die Kälte von damals.“

Wozu Rolf Mayer sein Scherflein beigetrage­n hat.

„Prävention und frühzeitig­e Interventi­on sind meine Überzeugun­g.“

Fortsetzen werden Melissa Gülenoglu (sozialer Dienst) und Kathrin Warth die Arbeit im Sozialrefe­rat. Letztere ist seit Februar zu 50 Prozent für den sozialen Dienst der Gemeinde sowie zu 50 Prozent als Integratio­nsbeauftra­gte in Nachfolge von Julia Frey tätig.

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FOTO: RWE
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FOTO: RWE Rolf Mayer ist der Sozialarbe­iter schlechthi­n in Meckenbeur­en.

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