Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Lockdown im Einzelhandel: Vor allem Frauen leiden
Beraterteam für Frauen bei der Agentur für Arbeit im Einsatz – Gewerkschaft kritisiert schlechte Bezahlung
BODENSEEKREIS - Leidtragende der Corona-Pandemie sind die Einzelhändler. Aber auch ihre Mitarbeiterinnen – rund 80 Prozent der Angestellten im Verkauf sind Frauen – haben es nicht leicht. Die Agentur für Arbeit und die Gewerkschaft Ver.di sehen die Situation besorgniserregend. Trotzdem scheint die Region noch einigermaßen mit der Lage klarzukommen.
Das zumindest geht aus den Aussagen des Sprechers der Agentur für Arbeit, Walter Nägele, hervor. Die Kurzarbeit folge der jeweiligen Lage, der Wechsel in die Kurzarbeit und wieder raus – je nach Lockdown-Situation – sei bei Verkäuferinnen besonders stark zu spüren. Trotzdem gebe es keine Wanderbewegungen, sich einen anderen Job zu suchen. Das komme im Einzelhandel nur vereinzelt vor, ein Trend aber sei nicht abzuleiten, sagt Nägele. „Gut ausgebildete Verkäufer und Verkäuferinnen, die das Warensortiment und ihre Kunden kennen, sind echte Fachkräfte und die setzen weiter auf diese
Karte“, so der Agentursprecher. Aktuelle Zahlen zur Entwicklung der Kurzarbeit im Einzelhandel liegen der Agentur für Arbeit nicht vor.
Die Gewerkschaft sieht das kritischer. Rainer Dacke, Ver.di-Gewerkschaftssekretär für den Fachbereich Handel Ostwürttemberg-Ulm und Oberschwaben, betrachtet die Lage im Einzelhandel differenziert. „Gewinner sind die Lebensmittelgeschäfte und diejenigen, die die sogenannten Waren des täglichen Bedarfs verkaufen und es gibt die Geschäfte, die seit Monaten so gut wie keine Umsätze machen.“Im Einzelhandel seien außerdem mehr als 70 Prozent der Beschäftigten Teilzeitbeschäftigte. Und die treffe der Verdienstausfall besonders hart, da Mieten und Grundkosten wie Strom und Heizung nicht gesenkt seien. Somit sei sehr wohl von einer Krise die Rede.
Eine Entlassungswelle, so Walter Nägele, sei aber nicht sichtbar. Manche Unternehmen, so sagt er, hätten zu kämpfen, um zu überleben. Die Arbeitslosenzahlen, die in Folge dreimal zurückgegangen sind, würden im Einzelhandel keine anderen Ergebnisse zeigen. „Der Arbeitsmarkt ist stabil und das tut der Region gut“, sagt Walter Nägele. Die Arbeitslosenquote liegt im Bodenseekreis bei 3,3 Prozent. Offene Arbeitsstellen gibt es im Bodenseekreis derzeit 1334, davon 110 allein im Einzelhandel.
Rainer Dacke hat aber noch andere Punkte vorzubringen, die in der aktuellen Situation besonders wirken und nicht vergessen werden dürften. Der Umstand, dass viele Händler Tarifflucht betreiben würden und entsprechend schon im „Normalbetrieb“schlechter bezahlen als dies der Tarifvertrag vorsehe, wirke sich jetzt nochmal so negativ für die Betroffenen aus. „Eine gelernte Verkäuferin verdient zwischen 11,66 Euro und 16,58 Euro in der Stunde im sechsten Berufsjahr. Der Tarifvertrag geht von einer monatlichen Arbeitszeit von 163 Stunden aus.“Das, so Dacke weiter, bedeute, dass Kurzarbeit hier für viele Existenzsorgen bereite. Entsprechende Ängste seien bei den Betroffenen verbreitet.
Rainer Dacke sieht ein weiteres Problem im Lebensmittelbereich, in dem sich die Beschäftigten vor Arbeit nicht retten könnten. „Die Corona-Regeln werden von vielen Kunden ignoriert. Waren am Anfang der Pandemie noch Sicherheitsdienste an den Eingängen postiert, welche die Einhaltung von Regeln wie Desinfektion, Anzahl der Kunden, Abstände an den Kassen und natürlich auch Abstände zum Verkaufspersonal überwacht haben, findet man heute in manchen Geschäften nicht mal einen gefüllten Behälter mit Desinfektionsmitteln vor. Das ist in einigen Fällen auch der Tatsache geschuldet, dass diese schlicht geklaut werden“, sagt Dacke.
Die Agentur für Arbeit hat den Einzelhandel und insbesondere die Frauen dieser Branche im Blickfeld. Walter Nägele nennt eine vierköpfige Beraterinnen-Gruppe, die sich speziell um Qualifikation für arbeitslos gewordene Frauen kümmert. Dort werden Perspektiven angeboten und Qualifikationen empfohlen, die für viele Betroffene den Weg zurück auf den Arbeitsmarkt bedeuten.