Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Spahn fordert Länder zum Handeln auf
Welche Maßnahmen der Bundesgesundheitsminister vorschlägt und wann Arzneien auf den Markt kommen
BERLIN - Impfen, testen und Kontaktbeschränkungen sind die wichtigsten Mittel im Kampf gegen Coronaviren. Ob Ausgangsbeschränkungen ebenfalls dazugehören, ist umstritten. Antworten auf die wichtigsten Fragen.
Wie sind die Zahlen?
Während der Bundestag erst in der kommenden Woche über die bundesweite Corona-Notbremse bei einer Sieben-Tage-Inzidenz von 100 entscheiden will, ist der aktuelle Wert bereits bei 160,1 angekommen (am Vortag 153,2, vor vier Wochen 90,4). Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) forderte die Bundesländer auf, unabhängig vom erwarteten Bundesgesetz schon jetzt weitere Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie zu ergreifen. Auch RKI-Präsident Lothar Wieler unterstrich: „Klar ist, wir müssen jetzt handeln.“In vielen Krankenhäusern spitze sich die Lage „teilweise dramatisch zu“. Laut dem Register der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin liegen aktuell 4679 Covid-19-Patienten auf den Intensivstationen.
Für Ende des Monats wird erwartet, dass die Zahl 6000 überschritten werden könnte – der bisherige Höchststand war am 3. Januar mit 5762 erreicht worden. Für Spahn ist klar, „dass ohne einen Stopp dieser Entwicklung unser Gesundheitssystem an den Rand seiner Kapazität gelangen wird“. Im Südwesten sind derzeit noch rund 290 Intensivbetten frei, weitere 1300 könnten innerhalb einer Woche bereitgestellt werden.
Wer ist besonders betroffen?
Nachdem durch die Impfungen viele Ältere geschützt wurden, gibt es nun die meisten neuen Fälle bei den 15bis 49-Jährigen. Wieler und Spahn kritisierten die in dem Gesetzentwurf vorgesehene Regelung, dass die Schulen erst ab einer Sieben-TageInzidenz von 200 den Präsenzunterricht einstellen sollen. Er könne sich diese Maßnahme „deutlich früher“vorstellen, betonte der Minister. Und für Wieler ist klar, dass bei hohen Inzidenzen durch die Tests an Schulen sehr viele einzelne Schüler oder ganze Klassen in Quarantäne müssten.
Was macht die Mutation B.1.1.7?
Laut Wieler beträgt ihr Anteil bei den Neuinfektionen 90 Prozent. Das habe deutliche Auswirkungen, denn die höhere Ansteckungsgefahr sei unstrittig. „Die Übertragung ist rasch und intensiv.“Ob die englische Variante aber auch tödlicher sei, bleibe „eine offene Frage“. Zunächst hatte es englische Erhebungen gegeben, die einen tödlicheren Verlauf nahelegten, nun gibt es neue Untersuchungen, die bei Krankenhaus-Patienten bei den Todesfällen keinen Unterschied zur ursprünglichen Corona-Form erkennen können.
Sind die in der Neufassung des Infektionsschutzgesetzes vorgesehenen Ausgangssperren zulässig?
Das ist höchst umstritten. Viele halten sie für unverhältnismäßig, weil es sich um einen schweren Grundrechtseingriff handelt, die Wirksamkeit für den Infektionsschutz aber nicht bewiesen ist. „Im Vergleich zu anderen Maßnahmen haben Ausgangssperren nur einen minimalen
Effekt bei der Pandemiebekämpfung“, sagte der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Stephan Thomae. Aber auch für diese Behauptung ist die Beweislage dünn. In einigen Fällen wurden Ausgangssperren in den Ländern von Gerichten gekippt. Sollte es Ausgangssperren in einem Bundesgesetz geben, drohen Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht.
Medikamente zur Behandlung von Covid-19 werden dringend benötigt. Was tut sich in Deutschland?
Bundeswissenschaftsministerin Anja Karliczek (CDU) veröffentlichte am Donnerstag die Namen von acht Unternehmen, deren Forschungen an Covid-Medikamenten vom Bund mit 50 Millionen Euro gefördert werden sollen. Es handelt sich um die Firmen AdrenoMed, Aptarion Biotech, Atriva Therapeutics, Bayer, Corat Therapeutics, Eisbach Bio, EMC microcollections und Explicat Pharma. Die Projekte befinden sich alle noch in der Entwicklung.
Welche Mittel sind zugelassen?
In der EU sind zwei Medikamente zur Behandlung von Covid-Patienten zugelassen: Remdesivir und Dexamethason. Remdesivir wurde zur Bekämpfung von Ebola entwickelt und soll die Virenvermehrung reduzieren. Die Weltgesundheitsorganisation WHO empfiehlt das Medikament im Kampf gegen Covid aktuell nicht, weil es kaum Wirkung zeige. Dexamethason ist ein Kortisonpräparat, das die Immunreaktion des Körpers auf Coronaviren dämpfen soll. Durch den Einsatz des Medikaments sind manche Patienten vor dem Tod gerettet worden.