Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Garn – die DNA eines jeden Stoffes
Im oberschwäbischen Dietenheim behauptet sich die Spinnerei Gebrüder Otto gegen die weltweite Textilkonkurrenz
DIETENHEIM - Hosen, Hemden, Blusen, Tops und T-Shirts – im Sonderangebot, alles zu haben für ein paar Euro. Textildiscounter wie Kik oder Primark haben in den vergangenen Jahren an Bedeutung gewonnen. In Pandemiezeiten verlagert sich die Suche nach dem billigen T-Shirt zudem ins Netz. Alles zu Lasten der Umwelt und der Menschen, die in der Regel in Südostasien Garne spinnen, Stoffe weben, Hemden färben und Hosen nähen. Das geplante Lieferkettengesetz, das Unternehmen über die gesamte Lieferkette zur Einhaltung von Umweltstandards und Arbeitsrechten verpflichtet, soll die Situation der Textilindustrie in Entwicklungsländern verbessern. Quasi als Nebeneffekt hilft es aber auch Unternehmen, die in Hochlohnländern produzieren, im Wettbewerb gegen die Billigkonkurrenz aus Fernost zu bestehen.
„Das Lieferkettengesetz kommt uns entgegen“, sagt denn auch Andreas Merkel. Der Unternehmer ist der geschäftsführende Gesellschafter der Gebrüder Otto GmbH & Co. KG. Die im Jahr 1901 gegründete Spinnerei mit Sitz im oberschwäbischen Dietenheim spinnt, zwirnt, färbt und strickt – und stellt so Garne und Zwirne für Textilien her. Das Unternehmen setzt auf Premium- und Nischenprodukte – und hat sich im Gegensatz zu vielen anderen Südwest-Textilunternehmen, die ihre Produktion im Laufe der vergangenen Jahrzehnte nach und nach ins Ausland verlagert haben, am Stammsitz im Alb-Donau-Kreis an der bayerisch-baden-württembergischen Grenze halten können. Otto hat seine Produktion komplett in Deutschland – und hat sich, wie Merkel, der das Unternehmen in vierter Generation führt, schon längere Zeit der Nachhaltigkeit verschrieben. „Ich finde es richtig, dass mehr Bewusstsein geschaffen wird.“
Die Spinnerei versuche, nicht nur Standards zu erfüllen, sondern Treiber zu sein. „Garn ist die DNA eines Textils.“So entwickelt Merkel mit seiner Mannschaft und in Kooperation mit der Universität Ulm bereits vor mehr als zehn Jahren ein Garn, das zu 75 Prozent aus Biobaumwolle und zu 25 Prozent aus recycelter Baumwolle besteht. Hintergrund
ist einst ein Vortrag über den Wasserverbrauch beim Baumwollanbau gewesen. Ein Großteil der auf der Welt benötigten Baumwolle wird in Indien angebaut. Für die Produktion eines Kilos Baumwolle werden in Indien nach Angaben des „Water Footprint Network“22 500 Liter Wasser verbraucht. „Wenn die Baumwolle so viel Wasser verbraucht, stellte sich die Frage, wie kann ein Garn mit einer besseren Ökobilanz entwickelt werden“, sagt Merkel. Denn jedes Produkt müsse ein Problemlöser sein. Und bei dem speziellen Garn werden bei einem Kilogramm Textilien global gesehen etwa 5000 Liter Wasser eingespart. Das ressourcenschonende Produkt ist seit drei Jahren am Markt. Es kommt unter anderem bei Produkten des Bekleidungsherstellers Hugo Boss zum Einsatz. Es gebe gleichfalls immer mehr Länder, die im Bereich der öffentlichen Beschaffung vorschreiben, dass ein gewisser Anteil recycelter Produkte mit dabei sein müsse, sagt der Unternehmer und nennt als Beispiele T-Shirts oder auch Polo-Shirts.
Gebrüder Otto kennt seine Lieferanten teilweise schon sehr lange. Baumwolle wird aus Spanien, Israel oder Amerika bezogen. Im Normalfall
werden die auch einmal im Jahr von einem Mitarbeiter besucht, wie auch die Betriebe in der Türkei oder Ägypten in denen das Familienunternehmen produzieren lässt. Man stehe in regelmäßigen Kontakt. Der Preis für Baumwolle sei in den vergangenen zwölf Monaten sehr stark gestiegen. Als Beispiel nennt der 48Jährige den Preis für langfaserige, hochwertige Baumwolle. Hier habe er von 1,80 auf 3,50 Euro pro Kilogramm zugelegt. Die Corona-Pandemie habe zu einer verstärkten Nachfrage geführt.
Das Garn des Mittelständlers kommt nicht nur bei Textilien von
Premiummarken wie Mey und Lacoste aber auch bei Aida, Trigema und Speidel zum Einsatz, sondern gleichfalls in Heimtextilien wie Handtüchern oder im medizinischen Bereich, wie bei Stützstrümpfen oder Bandagen. Die flammenhemmende Variante wird für Schutzkleidung für Feuerwehr und Rettungskräfte verwendet.
Das Familienunternehmen erzielt über 95 Prozent seiner Erlöse in Westeuropa. Der Exportanteil beträgt rund 50 Prozent. Merkel spielt immer mal wieder mit dem Gedanken, den japanischen Markt in Angriff zu nehmen. Dies müsste aber zusammen mit einem Partner geschehen. Einem Wäschekunden hatte er seine Idee einmal versucht, schmackhaft zu machen. Doch daraus ist nicht geworden. „Die Japaner stehen auf ‚Made in Germany‘ und Tradition“, ist der Unternehmer überzeugt, der seit vergangenen Jahr mit dem Garn namens „Cotton since 1901“am Markt ist. Dazu werden Rohstoffe aus möglichst regionalem Anbau am Stammsitz in Dietenheim zu einem hochwertigen Premiumgarn verarbeitet. „Damit soll als Gegenbewegung zur Globalisierung der regionalen Herstellung wieder mehr Gewicht verliehen werden“, erläutert Merkel. Produkte, die damit hergestellt worden sind, werden entsprechend ausgezeichnet. Merkel kann sich vorstellen, dass regionale Produkte eine übergeordnete Marke erhalten, damit diese auch von den Kunden auf den ersten Blick erkennbar sind. So etwas gibt es mit Swiss Cotton beispielsweise in der Schweiz.
Den Strukturwandel in der Textilindustrie bekommt der Mittelständler regelmäßig zu spüren. Er plane jedes Jahr mit einem Mengenschwund von 15 Prozent aufgrund der bereits seit sehr vielen Jahren rückläufigen Marktentwicklung der Textilproduktion in Europa. „In einem rückläufigen Markt wie der Textilindustrie zu überleben, ist schon eine echte Herausforderung. Um alleine die Umsätze zu halten, müssen in einem rückläufigen Markt bereits effektiv Marktanteile gewonnen werden.“Dies gehe nur durch neue Konzepte, Produkte oder Märkte. Und Merkel geht durchaus manche Idee durch den Kopf. Die Zukunft wird zeigen, was daraus wird.