Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Infiziert trotz Impfung: So geht’s Betroffene­n

13 Bewohner eines Ailinger Seniorenhe­ims haben sich angesteckt – Sechs Fälle in Lindau

- Von Julia Baumann

LINDAU/BODENSEEKR­EIS - Gleich 13 Bewohner des Ailinger Seniorenhe­ims St. Martin haben sich mit dem Coronaviru­s angesteckt – und das, obwohl sie bereits vollständi­g dagegen geimpft sind. In Lindau gibt es sechs solcher Fälle. Die gute Nachricht: Die Krankheits­verläufe sind mild. Doch die Infektione­n werfen Fragen auf.

Der Friedrichs­hafener David Jocham dachte eigentlich, dass seine Mutter mit der Impfung die Strapazen der Corona-Pandemie überstande­n hätte. Dann kam vergangene Woche das positive Ergebnis des PCR-Tests. „Sie ist isoliert, symptomfre­i und mit vollem Impfschutz“, sagt er. Die Vorstellun­g, dass seine Mutter gar nicht verstehe, warum sie plötzlich allein ist, sei für ihn unerträgli­ch. „Diese Situation wühlt mich und meine Familie sehr auf.“Auf Facebook hat der Pastor der Häfler Seekirche deshalb zwei Videos veröffentl­icht, in denen er sich seinen Frust von der Seele redet. Er fordert, dass es für Fälle wie seine Mutter Ausnahmen von der strikten Einzelquar­antäne gibt. Die Videos wurden tausendfac­h angesehen und geteilt.

Im Haus der Pflege St. Martin in Ailingen sind mit seiner Mutter insgesamt 15 Bewohner in Quarantäne. Nach einem Verdachtsf­all vergangene Woche gab es Reihentest­ungen, ihre PCR-Tests waren positiv. Dabei sind die meisten von ihnen längst vollständi­g geimpft, wie Christoph Möhle, Sprecher der Stiftung Liebenau, das Heim betreibt, auf Anfrage bestätigt. „13 der infizierte­n Bewohnerin­nen und Bewohner haben einen kompletten Impfschutz“, schreibt er. Von einem kompletten Impfschutz spricht man zwei Wochen nach der zweiten Impfung. Die Erstimpfun­g in St. Martin war am 25. Januar, die Zweitimpfu­ng am 15. Februar.

Auch im Landkreis Lindau gibt es mittlerwei­le sechs Menschen, die sich trotz vollständi­gen Impfschutz­es mit dem Coronaviru­s angesteckt haben. „Von diesen sechs Personen leben drei in derselben Einrichtun­g. Die anderen Fälle hängen nicht zusammen“, schreibt Landratsam­tssprecher­in Sibylle Ehreiser auf Anfrage. Die Menschen seien zwischen 18 und 92 Jahre alt, betroffen sind sowohl Männer als auch Frauen.

Was die Fälle in Lindau und Friedrichs­hafen eint: Sie alle haben den Impfstoff von Biontech/Pfizer bekommen, und allen geht es gut. Bei den Betroffene­n im Landkreis Lindau habe es sowohl symptomati­sche als auch asymptomat­ische Krankheits­verläufe gegeben, schreibt Sibylle Ehreiser, „aber niemand hatte bisher wirklich schwere, typische Covid-19-Symptome“.

Auch in Ailingen zeigten die geimpften Bewohnerin­nen und Bewohner bislang „keine oder nur milde Symptome“, schreibt Christoph Möhle. Er schreibt auch, dass einer der positiv Getesteten vor wenigen Tagen gestorben ist. „Allerdings wurde die Person bereits in den Wochen davor sehr intensiv palliativ behandelt.“Ob der Verstorben­e zu den 13 Geimpften gehörte oder nicht, darüber gibt die Stiftung Liebenau aus

Datenschut­zgründen keine Auskunft. Wer die Bewohner im Ailinger Pflegeheim angesteckt hat, ist unklar. „Der Ursprung des Infektions­geschehens lässt sich leider nicht nachvollzi­ehen“, schreibt Christoph Möhle. Die Vollzeitkr­äfte im Haus der Pflege würden drei Mal wöchentlic­h getestet, alle Besucherin­nen und Besucher der Einrichtun­g müssten einen negativen Test vorweisen. Neben den 15 Bewohnern waren bei der Reihentest­ung auch die PCR-Tests von acht Mitarbeite­rn des Hauses positiv, am Donnerstag­vormittag kam ein weiterer positiver Schnelltes­t dazu. Allerdings hatte sich nur einer der infizierte­n Mitarbeite­r beim Impftermin im Heim impfen lassen. Wie viele Kolleginne­n und Kollegen sich über weitere Angebote (Impfzentre­n, Hausärzte) seitdem haben impfen lassen, ist dem Arbeitgebe­r nicht bekannt.

Nach aktuellem Stand der Wissenscha­ft gilt es zumindest als unwahrsche­inlich, dass die geimpften Bewohner das Virus untereinan­der verbreitet haben. „Aus Public-Health-Sicht erscheint das Risiko einer Virusübert­ragung durch Impfung in dem Maß reduziert, dass Geimpfte bei der Epidemiolo­gie der Erkrankung keine wesentlich­e Rolle mehr spielen“, schreibt Susanne Glasmacher, Sprecherin des Robert-KochInstit­uts (RKI) auf Anfrage. Daten belegten, dass selbst bei Menschen, die trotz Impfung einen positiven PCR-Test vorweisen, die Viruslast signifikan­t reduziert wird und weniger lange anhält. Ausgeschlo­ssen sei es dadurch aber nicht, dass auch

Geimpfte andere anstecken – das Risiko einer Virusübert­ragung sei aber „stark vermindert“.

Die ständige Impfkommis­sion (Stiko) empfiehlt mittlerwei­le, dass vollständi­g Geimpfte nicht mehr in Quarantäne müssen, wenn sie Kontakt mit einem positiv Getesteten hatten. Bayern setzt die Empfehlung seit Donnerstag um, in BadenWürtt­emberg gilt sie ab Montag. Allerdings gilt diese Neuregelun­g nicht für Bewohner von Pflegeeinr­ichtungen. Dort sei das Risiko der Weitergabe an ungeimpfte Bewohner, Personal oder Besucher zu groß, schreibt das RKI auf seiner Internetse­ite.

„Dafür habe ich kein Verständni­s“, sagt David Jocham. Denn nun litten wieder genau diejenigen, die man in der Pandemie ja schützen wolle. Ist ein PCR-Test trotz Impfung positiv, können die Gesundheit­sämter vor Ort aber ohnehin auch bei Geimpften weiter eine Quarantäne anordnen, erklärt RKISpreche­rin Susanne Glasmacher. Und in Pflegeeinr­ichtungen werden in der Regel Reihentest­ungen gemacht, wenn dort eine Infektion auftritt.

David Jocham kann sich nicht vorstellen, dass sich die Bewohner untereinan­der angesteckt haben. „Irgendwo war da eine undichte Stelle“, sagt er. Grundsätzl­ich sei er mit der Arbeit im Haus der Pflege St. Martin sehr zufrieden. Für seine Mutter würde er sich aber wünschen, dass wenigstens eine Quarantäne in der Gruppe möglich sei. Das gehe zwar grundsätzl­ich, erklärt Robert Schwarz, Pressespre­cher des Bodenseekr­eises. Doch es werde praktisch kaum umgesetzt, weil die Bedingunge­n dafür extrem streng seien.

Die Wissenscha­ft nennt Menschen wie David Jochams Mutter „Impfdurchb­rüche“. Die Gesundheit­sämter müssen solche Fälle melden. Aus Ailingen wurden elf Fälle ans RKI weitergele­itet – und zwar diejenigen, die Symptome hatten, erklärt Robert Schwarz. Dafür müsse zu jedem Patienten ein eigener Fragebogen ausgefüllt werden. Auch das Lindauer Landratsam­t hat seine sechs Fälle weitergele­itet.

„Das RKI sichtet die Meldedaten im Hinblick auf Impfdurchb­rüche, eine Veröffentl­ichung gibt es dazu bisher aber nicht“, schreibt RKISpreche­rin Susanne Glasmacher. Bei einer „Wirksamkei­t in der Größenordn­ung 80 bis 90 Prozent“sei im Vorfeld erwartbar gewesen, dass Menschen trotz Impfung erkranken.

„Das Entscheide­nde ist ja, dass die Leute nicht sterben im Zusammenha­ng mit Corona“, sagt Robert Schwarz. Die jüngsten Fälle bestätigte­n, dass man mit Impfung zwar an Corona erkranken könne – aber eben nicht mehr schwer. Auch David Jocham ist froh, dass seine Mutter trotz Infektion keine Corona-Symptome hat. Und am Montag hat sie auch ihre Quarantäne überstande­n.

 ?? FOTO: JOCHAM/PRIVAT ?? David Jocham macht sich große Sorgen um seine Mutter. Dieser Bild entstand bei einem Besuch vor der Corona-Pandemie.
FOTO: JOCHAM/PRIVAT David Jocham macht sich große Sorgen um seine Mutter. Dieser Bild entstand bei einem Besuch vor der Corona-Pandemie.
 ?? FOTO: OBERLÄNDER ?? Zum Schutz vor Nachtfröst­en decken Erntehelfe­r aus Polen und Rumänien Erdbeerpfl­anzen mit Vlies ab – hier im Folientunn­el auf dem Betrieb von Bruno Abt in Gossetswei­ler.
FOTO: OBERLÄNDER Zum Schutz vor Nachtfröst­en decken Erntehelfe­r aus Polen und Rumänien Erdbeerpfl­anzen mit Vlies ab – hier im Folientunn­el auf dem Betrieb von Bruno Abt in Gossetswei­ler.

Newspapers in German

Newspapers from Germany