Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Was bleibt, ist Apfelmost
Frostnächte richten in den Obstkulturen am Bodensee Schäden an – Experten befürchten Ernteausfälle
FRIEDRICHSHAFEN - Die Frostnächte der vergangenen zwei Wochen haben in den Obstkulturen am Bodensee bedeutende Schäden angerichtet. Laut den Experten vom Kompetenzzentrum Obstbau-Bodensee in Bavendorf (KOB) und der Marktgemeinschaft Bodenseeobst in Friedrichshafen ist vor allem die wichtige Apfelsorte Jonagold stark betroffen. Auch bei Kirschen, Nektarinen und Birnen (Xenia) ist mit größeren Ernteausfällen zu rechnen.
„Die Verluste kann man noch nicht zählen, man kann sie aber befürchten“, sagt Manfred Büchele, der Geschäftsführer des KOB. Frosttemperaturen um minus drei, minus vier Grad wurden in der vergangenen Woche im ganzen Bodenseekreis gemessen. Die entscheide Frage ist, in welchem Maße die Blüte bereits durch teilweise warme Temperaturen aus den Bäumen gelockt wurde. Dementsprechend anfällig sind sie für die Fröste. Auf dem Versuchsbetrieb in Bavendorf hätten zum Beispiel die Kirschen schon ausgetrieben. „Wenn 50 Prozent überleben, sind wir froh“, sagt Büchele dazu. Daran glaube er aber noch nicht. Nektarinen habe es noch schlimmer getroffen.
Ärgerlich sei das, aber die Kirsche sei am Bodensee ja nicht das Hauptgeschäft. Größte Befürchtungen hat Büchele aber auch für die Xenia, „unsere schöne, neue Birne“, wie er sagt. Die Xenia wurde laut der Marktgemeinschaft Bodensee „wegen ihres hervorragenden Geschmacks und der guten Lagerfähigkeit für die produzierenden Betriebe ein wirtschaftlicher Erfolg“. Noch wichtiger ist die Apfelsorte Jonagold. „Die Blüten waren auch in diesem Jahr schon weit entwickelt“, sagt Peter Triloff von der Marktgemeinschaft. Es handle sich eben um eine frühe Sorte. In der Genossenschaft sind 400 Obstbaubetriebe in der Region zusammengeschlossen. Schon in den Nächten direkt nach Ostern habe es erste Frostschäden
gegeben. „Das hat sich die ganze letzte Woche bis jetzt durchgezogen“, sagt Triloff ernüchtert, als er am Mittwochvormittag von einer Besichtigung zurückkommt. Auch späte Sorten seien mittlerweile betroffen. Von drei bis fünf Grad minus reichten die Temperaturen von Dienstag auf Mittwoch. „Die Blüten waren schon weiter entwickelt als letzte Woche“, sagt er und rechnet deshalb mit weiteren Schäden. Vergangene Woche habe man noch auf eine normale Ernte gehofft, „davon müssen wir uns jetzt wohl verabschieden“. Triloff glaubt, das Jonagold-Äpfel, sollte es überhaupt noch eine Ernte geben, Frostzungen bekommen werden. „Das gibt auf keinen Fall mehr Tafelware.“Vor allem die Sorte Jonagold sei empfindlich und anfällig für die Frostzungen, also längliche, dunkel gefärbte Einkerbungen, sagt Büchele. Äpfel mit diesen Frostringen würden vom Handel nicht akzeptiert. Im vergangenen Jahr habe es dieses Problem auch gegeben. Die Äpfel taugten nur noch als Mostobst. Zwar habe man noch die Möglichkeit, mit Ausdünnen gegenzusteuern. Das verursache aber Kosten, und im vergangenen Jahr habe man wegen der Frostzungen am Ende doch „alles ins Mostobst geschmissen“, weil sich das Pflücken nicht mehr gelohnt habe.
Für die restlichen Apfelsorten haben die beiden Experten Büchele und Triloff noch Hoffnung. Letztendlich reichen demnach rund fünf Prozent „schön aufgegangene Blüten“für eine gute Ernte. Das Problem sei aber oft, dass vom Frost ganze Reihen an Bäumen komplett kaputt gehen. Büchele glaubt, dass man die Schäden in rund drei Wochen genauer sehen kann. Die meisten Bäume würden trotz der Schäden noch blühen, sagt Triloff, „dann müssen wir schauen, wie viele Triebe abfallen“. Erst dann könne man abschätzen, wie viel Obst es gibt.
Gegen die Kälte helfen laut Büchele sogenannte Frostkerzen, also Blechbüchsen mit brennbarem Material, die man in den Plantagen aufstellt und bei Frost anzündet. „Das muss man aber jede Nacht machen“, sagt Büchele, man brauche dazu viele Arbeitskräfte. Pro Hektar koste eine Behandlung rund 2000 Euro. Ein besseres Mittel sei die sogenannte Frostschutzberegnung, das gezielte Besprühen der Blüten mit feinen Wassertröpfchen. Durch die sogenannte Kristallisationswärme sind die Blüten dann geschützt. „Dafür haben wir aber zu wenig Wasser“, sagt Büchele. Dort, wo Wasser zur Verfügung stehe, sei das hilfreich.
Dass die Blüte in diesem Jahr schon relativ weit war, wundert den Geschäftsführer des KOB. Zwar hätte es im Januar eine warme Phase gegeben, dennoch hätte man erwartet, dass die Natur durch das kalte Wetter ab Februar wieder stärker ausgebremst werde. „Da sind wir noch nicht so weit“, sagt Büchele, „dass wir das wissen.“
Vielleicht gebe es einen Schalter, der ausgelöst werde „und dann marschiert die Natur los“. Ab kommende Woche sind wieder wärmere Temperaturen angesagt. Die Erfahrungen der letzten Jahre hätten gezeigt, dass es ab Ende April keine Fröste mehr gebe. Wirklich sicher sei man erst nach den Eisheiligen, den Abschluss bildet dann die „kalte Sophie“am 15. Mai.
Triloff gibt zu bedenken, dass es nun innerhalb der letzten sechs Jahre zum fünften Mal gravierende Schäden durch Frost in den Obstplantagen am Bodensee gab. Nur 2018 sei man verschont geblieben. „Da gab es aber europaweit so viele Äpfel, dass sie nichts mehr gekostet haben. Jetzt haben wir drei heftige Frostjahre in Folge“, sagt Triloff weiter, der glaubt, dass einige Betriebe den Obstbau aufgeben müssen. Er rechnet zum Beispiel damit, dass Bauern gepachtete Flächen zurückgeben werden. Es wundere ihn eher, dass die Betriebe die fünf schlechten Jahre durchgehalten hätten. Der Ausfall der Ernte bedeute schließlich ein Jahr ohne Einkommen. Jetzt gehe es wohl bergab, „viele sind auch demotiviert“, sagt Triloff.