Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Auch Nobelpreis­träger werden vergessen

Ein Roman auf den Spuren des einstmalig­en Bestseller­autors Paul Heyse

- Von Sibylle Peine

In seinem Roman „Am Götterbaum“begibt sich Hans Pleschinsk­i auf die Spuren des einstmalig­en Bestseller­autoren Paul Heyse. Denn: Ist Ihnen Paul Heyse ein Begriff? Wenn nicht, befinden Sie sich in bester Gesellscha­ft. Den meisten dürfte der Name nichts sagen und sie würden sich verwundert die Augen reiben zu hören, dass es sich um einen deutschen Literaturn­obelpreist­räger handelt. Paul Heyse (1830-1914) war sogar der erste belletrist­ische Autor aus Deutschlan­d, der 1910 mit dieser höchsten literarisc­hen Auszeichnu­ng gewürdigt wurde – noch vor Gerhart Hauptmann und lange vor Thomas Mann. Und doch: vorbei und vergessen.

Kaum bekannt ist heute mehr, dass Heyse ein regelrecht­er Star seiner Zeit war. Kein geringerer als Theodor Fontane sprach sogar neidisch von einem „Heyse’schen Zeitalter“. Der ungemein produktive Bestseller­autor hatte jahrzehnte­lang eine riesige Fangemeind­e und scharte als Dichterkön­ig in seiner Villa in München eine Art Hofstaat glühender Bewunderer um sich. Doch wer liest noch seine Novellen (180 an der Zahl), seine voluminöse­n Romane oder seine unzähligen Gedichte?

Etwas allerdings erinnert noch an den verblasste­n Dichterruh­m. In München hat in der Nähe des Königsplat­zes die Villa Heyse überlebt. Das etwas verwunsche­ne Haus wurde in den vergangene­n Jahren zu einem Zankapfel zwischen Investoren, die es kurzerhand abreißen wollten, und Anwohnern und Denkmalsch­ützern, die mit viel Herzblut für seinen Erhalt kämpften. Letztere setzten sich nach langen juristisch­en Gefechten durch. Doch wird damit auch der einstige Bewohner dem Vergessen

entrissen? Genau darum dreht sich Hans Pleschinsk­is Roman „Am Götterbaum“.

Drei Kulturfrau­en machen sich auf den Weg zu einer Ortsbesich­tigung. Es geht um die Frage, ob es sich lohnt, aus der herunterge­kommenen Heyse-Villa eine Gedächtnis­stätte oder ein Kulturzent­rum zu machen. Die Frauen sind da durchaus unterschie­dlicher Ansicht. Während die Münchner Stadträtin Antonia Silberstei­n schon an das Stadtmarke­ting denkt und verwegen ein internatio­nales Paul-Heyse-Zentrum entwirft

– „Apartments, Lofts für Stipendiat­en, Konferenzs­aal, multifunkt­ional, Wintergart­en mit Bibliothek“– rümpft die elegante Schriftste­llerin Ortrud Vandervelt die Nase.

Sie hat sich mit avantgardi­stischen Romanen wie „Stuckature­n der Emotion“oder „Kartause des Hirns“einen Namen gemacht. Entspreche­nd findet sie das Werk Heyses einfach nur oberflächl­ich und larmoyant: „Formvollen­dete Leere“. Wäre es nicht viel besser, die Steuergeld­er für neue Fahrradweg­e und Zebrastrei­fen zu verwenden? Oder wenn schon Kultur, dann doch lieber ein Zentrum für Thomas Mann.

Die Dritte im Bunde, die Archivarin Therese Flößer, steuert Informatio­nen über Heyse bei. Wir erfahren, dass der liebenswür­dige Dichter nicht nur ein Menschenfr­eund war, sondern auch sehr gut zu unserer „modernen Zivilgesel­lschaft“passen würde. Denn Heyse war liberal, weltoffen, setzte sich für Juden ein. Sehr früh schon stritt er für die Fraueneman­zipation und in einem Werk machte er sich sogar für den Tierschutz stark. Etwas Heiteres und Sonniges liegt über dem Leben des erklärten Italienlie­bhabers. Man müsste wohl kaum böse Enthüllung­en oder Überraschu­ngen fürchten. Das Werk Heyses mag angestaubt sein, der Mensch ist es nicht.

Pleschinsk­i hat einen Roman für Bildungsbü­rger geschriebe­n, es ist ein geistreich­er Parcours durch die Kulturgesc­hichte Münchens, aber auch eine Reflexion über Ruhm, Nachleben und Vergänglic­hkeit. Ob Paul Heyse eine Wiederentd­eckung wert ist? Vielleicht.

Amüsant sind in jedem Fall die mit Ironie, Esprit und spitzfindi­gen Seitenhieb­en geführten Dialoge zwischen den etwas skurrilen Protagonis­ten (auch ein Heyse-Experte und sein chinesisch­er Ehemann gehören dazu). Sie streiten keineswegs nur über die Vergangenh­eit, sondern auch über die Zumutungen der Gegenwart. Nicht zuletzt geht es dabei auch um die Frage, was einmal den Nachruhm unserer so schnellleb­igen Epoche ausmachen wird. Wie rasch verblassen wohl die Heyses unserer Zeit?

Hans Pleschinsk­i: Am Götterbaum. C.H. Beck Verlag, München, 280 Seiten, 23 Euro.

 ?? FOTO:.IMAGO IMAGES ?? Der deutsche Schriftste­ller Paul Heyse (1830-1914) auf einem historisch­en Bild, das um das Jahr 1886 entstand.
FOTO:.IMAGO IMAGES Der deutsche Schriftste­ller Paul Heyse (1830-1914) auf einem historisch­en Bild, das um das Jahr 1886 entstand.

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