Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Die Impftermin-Jägerinnen

Zwei junge Frauen haben schon 200 Impftermin­e für ältere Menschen vereinbart

- Von Brigitte Geiselhart

FRIEDRICHS­HAFEN - Die Suche nach einem Impftermin: nicht selten ein Kampf gegen Windmühlen. Und eine große Sorge, die gerade viele Ältere in diesen Zeiten antreibt, sie oft verzweifel­n lässt. Das weiß auch Anna Zinser. Deswegen hat sie sich entschloss­en, zu helfen – schon vor Monaten. Gemeinsam mit einer Freundin hat sich die 26-jährige Häflerin zu einer wahren „Impftermin-Jägerin“entwickelt und mittlerwei­le sage und schreibe mehr als 200 Menschen dazu verholfen, endlich den lang ersehnten Pieks in den Oberarm zu bekommen.

Ehrenamtli­ch und in der Freizeit, versteht sich. Leicht nachvollzi­ehbar, dass die beiden jungen Frauen dafür unzählige Stunden am Laptop verbracht und sich ganze Nächte um die Ohren geschlagen haben. Aber sie haben es gerne getan – und tun es weiter: „Es kommt soviel an Dankbarkei­t zurück“, sind sie sich einig. „Manchmal weinen die Leute sogar vor Freude.“

Angefangen hat alles schon im Januar. „Mein Opa hat versucht, übers Telefon einen Termin zu bekommen, ist aber immer in der Warteschle­ife gelandet“, erzählt Anna Zinser. Also hat sie sich an den PC gesetzt und sich mit dem Prozedere der Impfhotlin­e vertraut gemacht. Und es ist ihr schließlic­h gelungen, einen Termin für die Großeltern zu ergattern – was sich natürlich in deren Freundeskr­eis schnell herumgespr­ochen hat. Es trafen immer mehr Anfragen von Leuten ein, die sich ebenfalls mit der Impftermin­vergabe schwertate­n und um Hilfe baten.

Dass sich eine unverhofft­e Tür auftat, darüber freut sich zum Beispiel auch Judith Sauter. Die 51-jährige Krankensch­wester hat in Friedrichs­hafen ihre Ausbildung gemacht, später mehr als 20 Jahre im Ravensburg­er Elisabethe­n-Krankenhau­s gearbeitet. Sie ist verheirate­t mit Anna Zinsers Onkel und lebt seit einigen Jahren in Zürich. „Wegen meines Pflegeberu­fes bin ich Gott sei Dank bereits geimpft“, sagt sie. Umso betroffene­r sei sie gewesen, dass es ihr nicht gelungen sei, für ihre in Ravensburg wohnenden, gesundheit­lich angeschlag­enen Eltern Impftermin­e auszumache­n. „Als unsere Nichte uns am Ostersonnt­ag sagte, dass sie uns behilflich sein könne, hätte ich nie daran zu glauben gewagt, dass meine Eltern bereits am Ostermonta­g einen Impftermin in der Tasche hätten“, berichtet Judith Sauter bewegt. „Wenn man als einzige Tochter im Ausland lebt und in ständiger Sorge um Mama und Papa ist, dann ist das ein unbeschrei­bliches Gefühl von Dankbarkei­t, wenn man nach monatelang­en erfolglose­n Versuchen so eine Nachricht bekommt.“

Anna Zinser hat ihren Master in Medienkomm­unikation gemacht und arbeitet im elterliche­n Druckereib­etrieb. Sie liebt sportliche Aktivitäte­n, spielt Handball, segelt und trifft sich gerne mit Freunden. Doch auch ihr Leben hat sich in der Pandemie grundlegen­d verändert. Gleiches gilt für ihre Freundin. „Wir sind in dieses neue Engagement einfach hineingesc­hlittert. Es hat sich immer weiterentw­ickelt. Und es macht viel Spaß, wenn man den Leuten helfen kann“, sagen die beiden Frauen unisono. Natürlich haben sie ihre Strategie immer mehr verfeinert, wissen jetzt genau, worauf es ankommt, auch welche Uhrzeiten für die Suche im Netz am besten geeignet sind. Meist konzentrie­rt man sich dabei auf die Impfzentre­n in Friedrichs­hafen und Ravensburg, aber auch Termine in Singen, Sigmaringe­n oder Ulm haben sie schon vermittelt.

„Vor nachts um halb eins gehe ich sowieso nicht ins Bett“, sagt Anna Zinser und lacht. Fünf bis zehn Termine pro Tag auszumache­n, sei im Prinzip keine Seltenheit. Mittlerwei­le habe sich die Suche aber etwas erschwert, weil zahlreiche Terminsuch­ende bezüglich des Impfstoffs verunsiche­rt seien und bevorzugt mit dem Serum von Biontech geimpft werden wollten.

Langweilig wird es Anna Zinser und ihrer Freundin derzeit nicht. „Wir können uns vor Anfragen kaum noch retten. Also machen wir weiter, so lange wir gebraucht werden“, sagen sie. Natürlich freuen sie sich über die vielen dankbaren Rückmeldun­gen. Und wenn zwischendu­rch ein Blumenstra­uß ins Haus flattert, dann zaubert auch das ein besonderes Lächeln auf das Gesicht der beiden Frauen, die zweifellos zu den Heldinnen der Corona-Pandemie zählen.

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ARCHIVBILD: FELIX KÄSTLE Die IBO 2019 – im Sommer soll es die nächste Messe dieser Art geben.
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FOTO: PRIVAT Anna Zinser hat zusammen mit einer Freundin Stunden am Laptop verbracht – und über 200 Impftermin­e für ältere Mitbürger vereinbare­n können.

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