Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Der letzte Schäfer im Bodenseekreis
In zweiter Generation führt der Salemer Florian Gulde einen Hof mit weit über 1000 Tieren
SALEM - Raschelndes Stroh, feines Blöken: Im Schafstall von Florian Gulde herrscht reges Treiben. An diesem Morgen haben gleich mehrere seiner Mutterschafe ihre Lämmer zur Welt gebracht – in der Landwirtschaft spricht der Bauer dabei vom sogenannten Ablammen. Vier Lammzeiten gibt es bei der Schäferei Gulde in Salem pro Jahr, wie der Landwirt verrät. Eine war bereits im Januar, eine ist jetzt gerade im Frühjahr, August und November sind die beiden in der zweiten Jahreshälfte.
Florian Gulde steht im großen Stall neben mehreren Geburtsboxen seiner Mutterschafe und nimmt ein weißes Lämmchen mit schwarz-gefleckter Musterung auf den Arm. „Das hier ist gerade erst vor drei Stunden geboren worden und schon ein Waisenkind“, erzählt er. Die Mutter habe ihr Lamm nicht angenommen. Das komme immer wieder vor, schildert der Schäfer. „Ich werde eine andere Mutter für das Kleine finden müssen“, sagt Gulde und lässt es in den Gemeinschaftsstall mit den noch trächtigen Schafen, wo das Lamm direkt auf die Suche geht und bei einem Mutterschaf, das es neugierig beschnuppert, sogar kurz trinken darf.
Das Schaf, das am Ende die neue Mutter für das Lamm sein wird, muss eines sein, welches nicht gleich zwei Lämmer bekommt. „Mit drei Lämmern wäre das zu viel für ein Schaf allein, so viel Milch gibt es nicht“, erläutert Florian Gulde. Das Waisenlamm nun einer neuen Mutter zuzuordnen, werde am besten funktionieren, wenn er beim Ablammen eines anderen Schafes dabei sei und das verwaiste Lamm direkt dazustellen könne, schildert der Landwirt. „Einer Kuh ein fremdes Kälbchen unterzujubeln ist leichter als das Gleiche bei einem Schaf zu tun. Die Mutterschafe wollen das grundsätzlich eher nicht, aber es funktioniert schon“, sagt er.
„Määäh“schallt es aus einer Ecke erneut. Auch wenn die Lämmer nur wenige Stunden bis Tage alt sind: Ein kräftiges Stimmchen haben sie bereits. „Wenn die Mutter-Lamm-Bindung sicher ist, kommen die Schafe gemeinsam als eine Herde raus auf die Wiese“, berichtet Florian Gulde.
Jeden Morgen um 7.30 Uhr beginnt der Tag des Salemers, der seinen Hof im Ortsteil Buggensegel hat. Gulde ist der letzte hauptberufliche Schäfer im gesamten Bodenseekreis. Er besitzt 850 Mutterschafe und aktuell 450 Lämmer vom Januar. „Morgens schaue ich als Erstes, was abgelammt wurde, danach geht es zur
Kontrollfahrt nach draußen und ich überprüfe, ob das Futter überall reicht“, beschreibt Florian Gulde seinen Tagesablauf. Wie bei allen anderen Landwirten auch, gibt es keine Unterscheidung zwischen Wochenende und Wochentagen. Die Tiere müssen eben täglich versorgt sein.
Florian Gulde betreibt seine Schäferei in zweiter Generation. Klar war es für ihn jedoch nicht von Anfang an, dass er diesen Beruf von seinem Vater übernehmen will, wie er berichtet. „Ich wusste ja eigentlich schon alles über die Schafhaltung und dachte aber, ich sollte vielleicht lieber in die Industrie gehen. Ich habe dann nach der Schule die Ausbildung
zum Industriemechaniker gemacht und in dem Beruf auch die Vorzüge von der 37-Stunden-Woche genossen, aber doch auch schnell festgestellt, dass das auf Dauer nicht meins ist. Mit 21 Jahren bin ich dann bei der Schäferei eingestiegen“, erzählt Gulde.
Zusätzlich zu seiner Schäfermeister-Ausbildung, die er direkt bei seinem Vater absolvierte, hat er auch noch den Fleischergesellen gemacht. Das kommt jetzt seinem Betrieb zugute. „So kann ich ein Produkt komplett aus eigener Hand und auf hohem handwerklichem Niveau gewährleisten“, sagt Florian Gulde. Und auch für die finanzielle Stabilität
so eines Hofes ist die Fleischproduktion wichtig, fügt er an. „Aus dem Verkauf des Lammfleisches generiere ich die Haupteinnahmen“, erklärt der Schäfer. Andere Einnahmequellen seien der Verkauf der Wolle sowie Flächenprämien.
Florian Gulde ist allerdings kein Hüteschäfer, sondern ein sogenannter Koppelschäfer, wie er betont: „Ich hüte die Tiere nicht den ganzen Tag, sondern baue der Herde den Zaun auf und dann bleiben die Schafe dort bis die Wiese abgefressen ist.“70 Hektar festen Maschendraht hat er sich in den vergangenen 20 Jahren an verschiedenen Stellen aufgebaut und ist so flexibel, die Herde je nachdem auch einmal spontan auf eine andere Weide zu stellen. Froh ist der Salemer, dass es dem Wolf im Bodenseeraum noch nicht gefällt.
„Wenn ein Wolf in den Kreis kommt, wird die Region Präventionsgebiet und Tierhalter sind angehalten, die Schutzmaßnahmen zu ergreifen, sonst bekommen sie kein Geld nach einem Übergriff. Die Zäune, die man dafür braucht, werden vom Land bezuschusst. Ein Hüteschäfer braucht vielleicht zehn Netze, denn er hat gerade mal eine Einzäunung für die Nacht und ist ja sonst den ganzen Tag bei seiner Herde. Ich als Koppelschäfer müsste meine gesamten 70 Hektar Koppelzäune alle überarbeiten, um die Wolfsprävention zu gewährleisten. Vom Land würde ich dann zwar die neuen Zäune bezuschusst bekommen, aber meine doppelte Arbeitszeit dafür zahle ich selbst oben drauf“, erklärt Gulde das Dilemma. „Ich kann nur darauf hoffen, dass es den Wolf weiterhin nicht hierher zieht“, meint er.
Wechselt Florian Gulde mit einer seiner Herden von der einen Wiese zur nächsten, dann nutzt er seine Lockschafe – einige wenige Tiere, die er sich etwas zahmer herangezogen hat. „Ansonsten sind Schafe von Natur aus Fluchttiere und eher scheu. Die Lockschafe helfen dabei, dass die Herde folgt“, schildert Gulde. Und dann wäre da noch seine älteste Mitarbeiterin: Hündin Kaja. Mit ihr zusammen gehören vier altdeutsche Hütehunde zum Hof dazu. Zwei landwirtschaftliche Mitarbeiter unterstützen den Landwirt außerdem. Auch wenn der Stundenlohn eines Schäfers – der derzeit Gulde zufolge im statistisch errechneten Landesdurchschnitt bei 6,50 Euro liegt – am Ende angesichts des Arbeitsaufwands in der Stunde und des generell hohen Zeitaufwandes niedrig ist, hat der Salemer es noch keinen Tag bereut, Schäfer geworden zu sein, meint er. Seinen drei Kindern will er den Entschluss, irgendwann in seine Fußstapfen zu treten, offen lassen. „Das sollen sie dann selbst entscheiden, wenn es so weit ist. In Zeiten von Corona kann ich aber mehr denn je bekräftigen: Wir haben den schönsten Job der Welt“, sagt er und lacht.
Laut des zuletzt veröffentlichten Schafreportes des Landes BadenWürttemberg von 2015 gibt es einen fortlaufenden Rückgang des Schafbestandes in Baden-Württemberg, da weniger Betriebe größere Herden halten. So gab es beispielsweise 2010 noch 248 650 Schafe in Baden-Württemberg, 2013 waren es schon nur noch 247 300. Die Lammpreise steigen außerdem nur langsam. Ein neuer Schafreport erscheint, so die Landesanstalt für Landwirtschaft, Ernährung und Ländlichen Raum in Schwäbisch Gmünd, Ende 2021. Vom Beratungsbüro Dr. Florian Wagner & Partner, das die Daten für den Report erhebt, heißt es, dass sich die Situation seit 2015 „nicht zwingend verschärft“hat, die Förderpolitik für die Schafhaltung habe sich sogar etwas verbessert, doch im Kern blieben den Erhebungen zufolge die gleichen Probleme. „Die Kosten für die Haltung und die Produktion galoppieren davon“, wie Florian Wagner sagt.