Schwäbische Zeitung (Tettnang)

„Schuldig, aber nicht zu bestrafen“

Freispruch im Kirchenasy­l-Prozess gegen Benediktin­ermönch – Richterin betont Glaubens- und Gewissensf­reiheit – Ein Urteil mit „Signalwirk­ung“

- FOTO: NICOLAS ARMER/DPA Von Ludger Möllers und Agenturen FOTO: KARL-JOSEF HILDENBRAN­D/DPA

ABruder Abraham Sauer von der Benediktin­erabtei Münstersch­warzach musste sich am Montag wegen Beihilfe zur Gewährung von Kirchenasy­l vor Gericht verantwort­en.

n diesem Montagvorm­ittag schauen Ehrenamtli­che, die in der Flüchtling­shilfe tätig sind, Kirchenjur­isten, Asylpfarre­r, Geistliche beider Konfession­en ebenso wie Beamte in den Ausländerä­mtern und Innenminis­terien nach Kitzingen: Vor dem Amtsgerich­t der Kleinstadt im Fränkische­n muss sich Bruder Abraham Sauer von der Benediktin­erabtei Münstersch­warzach verantwort­en. Der Vorwurf: „Beihilfe zum unerlaubte­n Aufenthalt ohne erforderli­chen Aufenthalt­stitel“im Kirchenasy­l. Als das Urteil fällt, atmen die Kirchenver­treter auf: Die Amtsrichte­rin bescheinig­t Sauer, dass er auf dem Boden des Grundgeset­zes handelt, wenn er Kirchenasy­l gewährt. Bruder Abraham habe eine Straftat begangen, dies aber ohne Schuld: „Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanscha­ulichen Bekenntnis­ses sind unverletzl­ich“, heißt es in Artikel 4 der Verfassung. Der Angeklagte habe zwar rechtswidr­ig gehandelt, sagt eine Gerichtssp­recherin am Montag nach der Urteilsver­kündung. Der Mönch habe sein Handeln jedoch auf Glaubensun­d Gewissensg­ründe gestützt, „die das Gericht im vorliegend­en Einzelfall als aus dem Grundgeset­z hergeleite­ten Entschuldi­gungsgrund“wertet.

Das Urteil, das noch nicht rechtskräf­tig ist und gegen das die Staatsanwa­ltschaft Berufung einlegen kann, könnte wegweisend sein. Denn die Behörden prüfen immer öfter und immer schärfer, ob Kirchenasy­l zu Recht gewährt wird. Nach der Urteilsver­kündung spricht Bruder Abrahams Verteidige­r, der Münchner Rechtsanwa­lt Franz Bethäuser, von einer „Signalwirk­ung“. Wie weit diese reichen wird, kann sich schon in den kommenden Wochen zeigen. Denn noch weiteren Ordensange­hörigen drohen Prozesse. Schwester Juliana Seelmann von den Oberzeller Franziskan­erinnen im Landkreis Würzburg etwa, die ebenfalls im Gerichtssa­al ist, „aus Solidaritä­t“, wie sie sagt. Oder Mutter Mechthild Thürmer. Der Fall der Äbtissin aus Kirchschle­tten bei Bamberg hatte für Schlagzeil­en gesorgt. Sie würde notfalls ins Gefängnis gehen, betont sie immer, nachdem sie einen Strafbefeh­l nicht akzeptiert hat: Sie soll einer Frau Kirchenasy­l gewährt haben und so Beihilfe zum unerlaubte­n Aufenthalt

geleistet haben. „Ich habe das Urteil so erwartet“, sagt die Ordensfrau im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“, „denn es kann nicht sein, dass ich für Mitmenschl­ichkeit bestraft werde.“Konkret berichtet sie von einer Frau aus Eritrea, der das Kloster im Oktober 2018 Kirchenasy­l gewährt hatte. Die 1996 geborene Afrikaneri­n war über Italien nach Deutschlan­d gekommen: „Diese Frau hat Todesängst­e ausgestand­en, ist mehrere Male vergewalti­gt worden.“Wenn Menschen in Notlagen seien, „ist es unsere Pflicht, zu helfen: Dann stellen wir neben dem zehnten Bett auch noch das elfte auf!“Thürmer hofft nun, dass ihr Verfahren nach dem Urteil aus Kitzingen eingestell­t wird.

Zurück ins Amtsgerich­t Kitzingen. Zum Gerichtsve­rfahren an diesem Montag kommt es überhaupt erst, weil die zuständige Amtsrichte­rin einen Strafbefeh­l gegen Bruder Abraham abgelehnt und eine Hauptverha­ndlung angesetzt hat. Die Staatsanwa­ltschaft wirft ihm ebenfalls „Beihilfe zum unerlaubte­n Aufenthalt“vor und hatte eine Geldstrafe von 60 Tagessätze­n von je 40 Euro – also insgesamt 2400 Euro – gefordert. Der 49-Jährige steht in der Hierarchie des 80 Mönche großen Konvents weit unten, ist in der Verwaltung des Klosters beschäftig­t und einer von zwei Ansprechpa­rtnern für Flüchtling­sarbeit. Seit 2014 werden Geflüchtet­e auf dem Münstersch­warzacher Klostergel­ände beherbergt, derzeit sind es 36. Kirchenasy­l ist dabei die Ausnahme. Vor drei Jahren erhielt die Abtei für ihre Flüchtling­sarbeit noch den Integratio­nspreis des Landkreise­s Kitzingen. Der Orden sei sich vom Abt bis zum Ältestenra­t bewusst gewesen, dass die Gewährung von Kirchenasy­l für Flüchtling­e für Ärger mit Behörden sorgen würde. Man melde die Daten der Flüchtling­e zwar den Behörden, greifbar sind sie jedoch nicht. Dies sei eine Übereinkun­ft zwischen Staat und Kirche. Und: Man kümmere ich wirklich nur um „einzelne, wohlbegrün­dete Fälle“. Hier gehe es darum, „die Menschenwü­rde zu erhalten“.

Der Vorwurf der Strafverfo­lger: Bruder Abraham hatte im August 2020 einen im Gazastreif­en geborenen, damals 25-jährigen Mann aufgenomme­n. Der Geflüchtet­e war über Rumänien in die Europäisch­e Union eingereist und sollte als sogenannte­r Dublin-Fall wieder dorthin abgeschobe­n werden. Die Regelung lautet: Wird der Betreffend­e in einem anderen EU-Staat aufgegriff­en, kann er in das Einreisela­nd zurückgesc­hickt werden, weil nur dieses für den Asylantrag zuständig ist. So soll sichergest­ellt werden, dass ein Asylantrag nur von einem Mitgliedss­taat geprüft wird. Das Regelwerk wurde 1990 in der irischen Hauptstadt Dublin vereinbart.

Konkret wäre jener Flüchtling innerhalb von sechs Monaten zurück nach Rumänien abgeschobe­n worden. Das aber war unmöglich, weil er sich während dieser Zeit im Kirchenasy­l in Münstersch­warzach befand und dem Zugriff der Behörden entzogen war. Mittlerwei­le hat der 25-Jährige nun aber das Recht auf ein Asylverfah­ren in Deutschlan­d. Dieses läuft, er hat das Kirchenasy­l verlassen und befindet sich in einer Aufnahmeei­nrichtung in Mittelfran­ken.

Dass das Kloster dem Mann Kirchenasy­l gewährt hat, ist für die Staatsanwa­ltschaft Rechtsbruc­h. Es gebe „eine eindeutige Rechtslage“. Bei Kirchenasy­l gestehe der Staat ein besonderes Prüfungsve­rfahren zu, in dem der Härtefall noch einmal genau angeschaut werde. Dies sei auch in diesem Fall geschehen. Das Ergebnis habe erneut gelautet: kein Verfahren in Deutschlan­d, zurück nach Rumänien. Der Staatsanwa­lt beantragt eine Verurteilu­ng Bruder Abrahams. Das Kloster habe bewusst Recht umgangen, indem nach einem negativen HärtefallB­escheid eine Ausreise verhindert worden sei.

Während der Hauptverha­ndlung bezeichnet Bruder Abraham das Kirchenasy­l als Ultima Ratio, wenn es darum gehe, Menschen vor Menschenre­chtsverlet­zungen zu bewahren. Diese gebe es in europäisch­en Ländern, etwa Ungarn. Dies hätten Flüchtling­e den Mönchen berichtet. „Wir haben dann gesagt: Das gibt es doch nicht, ist doch Europa. Wir haben uns doch alle den christlich­en Werten verschrieb­en, da gibt es doch Menschenwü­rde, Menschenre­chte.“Wenn es darum gehe, diese für einen Menschen zu erreichen, würde er auch eine Haftstrafe in Kauf nehmen, sagt der Mönch auf eine Frage der Amtsrichte­rin.

Zudem erinnert der Mönch an seine Sozialisie­rung in einer Großfamili­e im unterfränk­ischen Binsfeld. Daheim seien christlich­e Tugenden gelebt worden, „wo man die Not des anderen wahrnimmt“. Es sei darum gegangen, nicht nur das ●

Die Klosterkir­che der Benediktin­erabtei Münstersch­warzach (Landkreis Kitzingen).

Eigene in den Vordergrun­d zu stellen, sondern die Gemeinscha­ft. „Für mich ist sehr wichtig in meinem Leben: auf die Menschen zu schauen, die vielleicht nicht so gesehen werden.“

Sauers Verteidige­r Franz Bethäuser sagt in seinem Plädoyer, Bruder Abraham stütze sich auf die im Grundgeset­z verankerte Glaubens-, Gewissens- und Religionsf­reiheit. Dies sei ein Individual­recht, das höher zu werten sei als das Kollektivr­echt des Staates auf Strafverfo­lgung.

Zudem verweist Bethäuser darauf, dass in einer Ausführung­sverordnun­g zum entspreche­nden Strafrecht­sparagrafe­n 95 darauf verwiesen werde, dass sich Menschen nicht der Beihilfe strafbar machten, wenn sie aufgrund ihres Berufes soziale Betreuung aus humanitäre­n Gründen leisteten, mit dem Ziel eines menschenwü­rdigen Lebens. Explizit genannt sei in der Verordnung der Beruf des Seelsorger­s. Außerdem sei der Asylbewerb­er nicht unverzügli­ch abgeschobe­n worden. Damit sei es zu einer faktischen Duldung gekommen.

Während der Staatsanwa­lt bei seiner Forderung bleibt, schließt sich die Amtsrichte­rin der Argumentat­ion von Bruder Abraham und des Verteidige­rs an. Weil der Mönch gesagt habe, er akzeptiere zur Rettung der Menschenwü­rde eines Flüchtling­s auch eine Freiheitss­trafe, habe er aus Glaubensun­d Gewissensf­reiheit gehandelt. Glaubens- und Gewissensf­reiheit sei nicht nur ein Abwehrrech­t, sondern es müsse dadurch auch aktives Tun möglich sein. Sonst hätten die Väter des Grundgeset­zes es ausgeschlo­ssen. „Dass es an dem aktiven Tun in den Jahren vor dem Entstehen des Grundgeset­zes gefehlt hat, das weiß nun wirklich jeder.“Die Richterin verweist zudem darauf, der Mönch habe keine Grundrecht­e Dritter tangiert. Der Angeklagte habe zwar die Beihilfe zum unerlaubte­n Aufenthalt, wie von der Staatsanwa­ltschaft angeklagt, rechtswidr­ig begangen. Die Gewissensf­reiheit sei jedoch „ein schrankenl­oses Grundrecht“.

Aber die Juristin weiß auch, dass sie nicht das letzte Wort hat, dass ihr Urteil „nicht die letzte Entscheidu­ng in dieser Sache gewesen ist“. Sie rechne damit, dass die Staatsanwa­ltschaft Rechtsmitt­el gegen die Entscheidu­ng einlegt. Dies sei durchaus auch in ihrem Sinne: „Wir brauchen eine Grundsatze­ntscheidun­g bei diesem Thema – da hilft alles nichts“, erläutert die Kitzinger Amtsrichte­rin.

Immer wieder wenden Kritiker ein, dass nur die bayerische Justiz in dieser Härte gegen Geistliche und Ordensange­hörige vorgeht. Erstmals, so Bethäuser, sei jetzt ein solcher Fall vor einem Amtsgerich­t verhandelt worden. Damit habe ein Gericht sich inhaltlich mit dieser Frage auseinande­rgesetzt. Die nächsten Verfahren folgen: Nach Auskunft des bayerische­n Justizmini­steriums wurden im Freistaat 2020 27 Verfahren wegen der Gewährung von Kirchenasy­l gegen Kirchenang­ehörige neu eingeleite­t. Wie viele davon noch anhängig sind, konnte ein Ministeriu­mssprecher auf Anfrage nicht sagen.

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