Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Eine Gemeinde unter Schock
Mutter nach Tod zweier Kinder in Oberstadion in Haft – Entsetzen im Alb-Donau-Kreis
OBERSTADION - Auch einen Tag nach der Tötung zweier Kinder in Oberstadion halten sich Polizei und Staatsanwaltschaft mit Informationen über die Tat und den möglichen Hintergrund zurück. Die Mutter steht unter Verdacht, das sechsjährige Mädchen und den dreijährigen Jungen Sonntagnacht umgebracht zu haben. Sie wurde noch am Montag festgenommen. Die Gemeinde steht unter Schock und stellt sich vor allem eine Frage: Warum?
Wie überall im Alb-Donau-Kreis leuchtet am Dienstag der Himmel auch über der 1500-Seelen-Gemeinde Oberstadion in Blau, die Sonne strahlt und verheißt Frühlingsgefühle. Doch der Schein trügt. Tiefe Trauer, Entsetzen und Ratlosigkeit haben sich über den Ort gelegt. An dem Grundstück, auf dem die furchtbare Tat am Montagmorgen mutmaßlich geschehen ist, zeugen Blumen und Kerzen vom Mitgefühl der Bürger für die Opfer und deren Angehörige.
Ein Team der Notfallseelsorge Ulm hat sich am Nachmittag eingefunden, um trauernden Passanten die Gelegenheit zum Gespräch zu geben. Bedarf dafür gibt es zahlreich in diesen schrecklichen Tagen in Ober- stadion. „Wir sind eine verwundete Gemeinde“, sagt Bürgermeister Kevin Wiest. Der frühere Polizist der Zollfahndung hat aus Erfahrung für sich „einen Weg gefunden, mit solchen Ereignissen umzugehen“. Doch auch er ist fassungslos über das Geschehen und findet keine Antwort auf die Frage, die alle bedrückt: Wie und warum bringt es eine Mutter übers Herz, ihre Kinder zu töten?
Polizei und Staatsanwaltschaft können und wollen darauf Stand Dienstagmittag noch keine Antwort geben, haben aber eine Vermutung: Das Motiv für die Tat könnte im familiären Bereich liegen. Die Polizei teilt weiter mit, dass die tatverdächtigte Mutter bisher keinerlei Aussagen gemacht habe. Am Dienstag wurde die Frau der Haftrichterin am Amtsgericht vorgeführt. Sie erließ Haftbefehl gegen die 36-Jährige wegen des dringenden Verdachts des zweifachen Mordes. Die Frau befindet sich nun in einem Justizvollzugskrankenhaus, so die Polizei.
Die Staatsanwaltschaft beabsichtigt, die Beschuldigte im Hinblick auf ihre Schuldfähigkeit zur Tatzeit psychiatrisch begutachten zu lassen. „Wir haben entsprechende Anhaltspunkte, die es notwendig machen, das zu überprüfen“, sagt Oberstaatsanwalt Michael Bischofberger. Es könne also auch sein, dass am Ende eine Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit bei der Mutter festgestellt wird. Doch jegliche Aussagen dazu seien verfrüht. Derweil laufen die Ermittlungen
der Kriminalpolizei weiter. Auch die Obduktion der Kinder, für die ein Ergebnis noch am Dienstag erwartet wird, soll wichtige Erkenntnisse geben. Denn noch ist zumindest der Öffentlichkeit nicht bekannt, wie die beiden Kinder zu Tode kamen.
Bislang steht die 36-jährige Mutter offiziell nur unter Verdacht, wenngleich viele Indizien für ihre Täterschaft sprechen. Der Vater habe seine toten Kinder am Montag gegen 7.30 Uhr in der eigenen Wohnung entdeckt, hieß es in einer knappen Pressemitteilung. Nach der Mutter sei sofort gefahndet worden, man habe sie schließlich aufgegriffen und in ein Krankenhaus gebracht.
Nichts habe nach außen darauf hingedeutet, dass die Frau zu so einer Tat fähig sein könnte, dass es womöglich massive Probleme in der Familie gegeben haben könnte, heißt es im Ort. Von ganz normalen und freundlichen Menschen wird berichtet; von einer Mutter, die ihre Kinder augenscheinlich geliebt habe. „Die Familie ist tief verwurzelt und integriert in der Gemeinde. Kein Mensch konnte so etwas ahnen“, betont der Bürgermeister der Gemeinde Oberstadion. Mehr möchte er nicht berichten über die Familie, um sie und die Angehörigen zu schützen. Deshalb äußert sich auch die Polizei zurückhaltend, die lediglich von einem „Familiendrama“spricht, aber keine Details veröffentlicht. Bürgermeister
Wiest ist es wichtig, dass die seelsorgerische Betreuung der Bürger schnellstmöglich ihre Wirkung entfaltet, insbesondere bei den Lehrkräften und Mitschülern der Erstklässlerin sowie den Erziehenden und Kindern in der Kita, die der kleine Junge besucht hatte. Bereits am Montagmittag hatten die Gemeinde, die Notfallseelsorgedienste von Schul- und Landratsamt sowie die Schul- und Kindergartenleitung in einer Konferenz erste Schritte in die Wege geleitet. Schulleiter Tobias Tress verschickte einen Rundbrief an alle Eltern mit Informationen über Gesprächsangebote und psychologische Beratungsstellen sowie der kirchlichen Seelsorgeeinheit Donau-Winkel.
Mitarbeitende der Notfallseelsorge Ulm um dessen Leiter Michael Lobenhofer kamen am Dienstag in den Kindergarten und standen auch am mutmaßlichen Tatort für Gespräche zur Verfügung. „Einige Mütter, die mit ihren Kindern vorbeigekommen sind und Blumen abgelegt haben, haben unser Angebot wahrgenommen“, berichtet Lobenhofer.
Die häufigste Frage sei gewesen: Wie erkläre ich meinen Kindern, was passiert ist? „Ehrlich antworten“, rät Lobenhofer vor allem. „Man muss ja nicht gleich alles sagen, sondern kann nach und nach das erzählen, was man glaubt, verantworten zu können. Das hängt auch vom Typ des Kindes ab, das die Eltern am besten kennen.“Nur einen Satz sollte man seiner Meinung nicht sagen: „Darüber reden wir nicht.“Auch im Kindergarten hätten die meisten Erziehenden vor allem wissen wollen, wie sie mit den Kleinen über das Geschehene sprechen sollen. Und selbst einige der Kleinsten seien auf die Notfallseelsorger zugekommen. „Auch Dreijährige haben Fragen“, sagt Lobenhofer.
Kevin Wiest ist überzeugt, dass die Seelsorgeangebote noch recht lange aufrecht erhalten werden müssen: „Das Geschehen ist leider nichts, worüber man heute spricht und das morgen vorbei ist. Das wird uns noch länger begleiten. Es ist mit der größte anzunehmende Katastrophenfall für eine Gemeinde, wenn eine Mutter ihre Kinder tötet. Manche, die heute womöglich relativ taff darauf reagieren, brauchen vielleicht in ein paar Wochen Hilfe, weil sie nicht damit klarkommen.“
Wie sehr die Tat auch die Menschen außerhalb von Oberstadion schockiert, zeigt sich am Nachbarort Emerkingen. Bürgermeister Paul Burger hat die für vergangenen Montagabend anberaumte Gemeinderatssitzung kurzerhand abgesagt. „Was in Oberstadion passiert ist, ist eine große Tragödie. Da bleibt kein Raum für vergleichsweise belanglose Themen“, begründet er die Entscheidung. Er sei zutiefst berührt, und dasselbe spüre er bei allen Leuten, mit denen er derzeit spreche.