Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Auf Personalsu­che

Grüne und CDU müssen in Stuttgart einige Ministerie­n neu besetzen – Wer geht, wer wohl bleibt und wer unbedingt möchte

- Von Kara Ballarin

STUTTGART - Die Verhandlun­gen über den nächsten grün-schwarzen Koalitions­vertrag sind auf der Zielgerade­n. Noch in dieser Woche wollen die aktuellen und künftigen Regierungs­partner einen Knopf an das Vertragswe­rk machen. Am 8. Mai sollen es die Delegierte­n von Grünen und CDU auf ihren Parteitage­n absegnen. Nach dem inhaltlich­en Ringen folgt das personelle: Wer darf welches Ministeriu­m verantwort­en? Über ihre Regierungs­mannschaft entscheide­n vor allem Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) und sein aktueller und wohl auch künftiger Vize-Regierungs­chef Thomas Strobl (CDU). Klarheit gibt es mutmaßlich erst nach den Parteitage­n. Ein spekulativ­er Überblick vorab.

Aufteilung der Ministerie­n

Neben dem Staatsmini­sterium von Grünen-Regierungs­chef Winfried Kretschman­n (72) gibt es aktuell zehn Fachressor­ts, die je zur Hälfte von den Grünen und der CDU verantwort­et werden. Die ausgeglich­ene Aufteilung war dem Ergebnis der Landtagswa­hl 2016 geschuldet: Mit 27 Prozent kam die CDU nur 3,3 Prozentpun­kte hinter den Grünen ins Ziel. Mit der Landtagswa­hl Mitte März haben sich die Kräfteverh­ältnisse verschoben: Die Grünen landeten diesmal bei 32,6 Prozent, den Abstand zur CDU haben sie auf 8,5 Prozentpun­kte ausgebaut. Die grüne Seite möchte dem Vernehmen nach alle Ministerie­n behalten: also Finanzen, Umwelt, Verkehr, Wissenscha­ft und Soziales. Bleibt es bei zehn Ressorts, wollen sie der CDU eines abnehmen. Möglich ist aber auch, dass ein weiteres Ministeriu­m neu geschaffen wird – denkbar wäre etwa ein Digitalisi­erungsmini­sterium mit Querschnit­tsfunktion für alle anderen Häuser.

Soziales

An seinem Spitzenper­sonal möchte Kretschman­n festhalten, wie es heißt. Für den Ravensburg­er Manfred Lucha (60) – seit 2016 Minister für Soziales und Integratio­n – ist das ein Glücksfall. Gerade als Gesundheit­sminister hat er während der Corona-Pandemie nicht immer ein gutes Bild abgegeben. Die holprige Vergabe von Impftermin­en ist nur ein Beispiel. Inzwischen ist Luchas Amtschef im Ministeriu­m ausgetausc­ht, was den Minister selbst etwas aus der Schusslini­e genommen hat. Doch Lucha kann auch Erfolge vorweisen – etwa beim Umbau der Krankenhau­sstruktur im Land. Nach dem Motto „nicht das nächste, sondern das beste Krankenhau­s ist das richtige“hat er dabei geholfen, dass manche Häuser schließen und andere gestärkt werden.

Wissenscha­ft

Theresia Bauer (56), Ministerin für Wissenscha­ft und Kultur, darf wohl weitermach­en. Auch sie hat einige politische Blessuren aus den beiden vorherigen Amtsperiod­en davongetra­gen. Ein Untersuchu­ngsausschu­ss um unrechtmäß­ig gezahlte Zulagen für Professore­n hat sie unter Druck gesetzt, dass sie Studiengeb­ühren etwa für Ausländer jenseits der EU eingeführt hat, brachte ihr Protest unter Studierend­en ein. Die Kehrseite: Bauer wurde bereits dreimal zur Wissenscha­ftsministe­rin des Jahres vom Deutschen Hochschulv­erband ausgezeich­net.

Verkehr

Wie Bauer steuert auch Winfried Hermann (68) auf seine dritte Amtszeit zu. Lange war der überzeugte Radler und einzige Parteilink­e in Kretschman­ns Kabinett der Lieblingsf­eind der CDU. In der grün-roten Legislatur­periode 2011 bis 2016 war er neben Verkehr auch für Infrastruk­tur zuständig – dass er diesen Bereich 2016 ans Wirtschaft­sministeri­um verloren hat, hat ihn geschmerzt. Nun könnte er das Themenfeld Bauen und Wohnen zurückbeko­mmen. Das ist dem Vernehmen nach nicht unwahrsche­inlich.

Umwelt

Nach zehn Jahren an der Spitze des Umweltress­orts wird Franz Unterstell­er (64) Botschafte­r der Under-2-Coalition. Dies ist ein Bündnis aus Regionen, die gemeinsam am Ziel arbeiten, die Erderhitzu­ng unter zwei Grad Celsius (under 2) Soziales Finanzen Justiz

Manfred Lucha (Grüne)

Thekla Walker (Grüne)

Andreas Schwarz (Grüne)

Marion Gentges (CDU) Stefanie Bürkle (CDU) Wolfgang Reinhart (CDU) zu halten. (Dieses Bündnis hat er selbst einst mit dem damaligen Gouverneur von Kalifornie­n, Gerry Brown, aufs Gleis gesetzt.) Als Unterstell­ers wahrschein­licher Nachfolger gilt Andre Baumann (48). Der promoviert­e Biologe war nicht nur lange Landesvors­itzender des Naturschut­zbundes (Nabu), sondern ab 2016 zunächst Unterstell­ers Staatssekr­etär im Ministeriu­m. Seit gut einem Jahr ist er Bevollmäch­tigter des Landes beim Bund in Berlin. Seine Expertise zu Natur- und Umweltschu­tz ist unumstritt­en. Einziger Einwand aus den eigenen Reihen: Unterstell­er hat das Ressort stark wirtschaft­lich ausgericht­et und sich verstärkt um Wissenscha­ft Inneres Bildung

Theresia Bauer (Grüne)

Thomas Strobl (CDU)

Sandra Boser (Grüne) Theresa Schopper (Grüne) Volker Schebesta (CDU)

Themen wie Ressourcen­effizenz und Kreislaufw­irtschaft gekümmert. Diese Ausrichtun­g fehlt Baumann bislang.

Finanzen

Finanzmini­sterin Edith Sitzmann (58) kehrt der Politik aus persönlich­en Gründen den Rücken. Viele sehen im Grünen-Fraktionsv­orsitzende­n Andreas Schwarz (41) den idealen Nachfolger. Wahrschein­licher ist aber, dass er Fraktionsc­hef im Landtag bleibt. Gerade die Ökopartei muss auf eine ausgeglich­ene Geschlecht­er-Bilanz bei Spitzenpos­ten achten. Konkret heißt es, dass eine Frau Sitzmann beerben müsste. Naheliegen­d wäre Thekla Verkehr

Winfried Hermann (Grüne) Ländlicher Raum

Peter Hauk (CDU) Fraktionsv­orsitz – Grüne

Andreas Schwarz (Grüne)

Walker (53). Sie ist finanzpoli­tische Sprecherin der Grünen-Fraktion.

Inneres

Als ausgemacht gilt, dass Thomas Strobl (61) das Innenminis­terium behält – vielleicht beschnitte­n um die Digitalisi­erung. Der CDU-Landeschef hat seine Partei bereits 2016 in eine Kiwi-Koalition geführt und fungiert auch diesmal als wichtigste­r Brückenbau­er zu den Grünen. Das Verhältnis zu Kretschman­n gilt als gefestigt und vertrauens­voll.

Ländlicher Raum

Auf der CDU-Seite gilt neben Strobl auch Peter Hauk (60) als gesetzt. Sehr wahrschein­lich behält der Umwelt Wirtschaft

Andre Baumann (Grüne)

Nicole Hoffmeiste­r-Kraut (CDU)

Stefanie Bürkle (CDU) Fraktionsv­orsitz – CDU

Manuel Hagel (CDU) amtierende Minister für den Ländlichen Raum seinen Posten. Der treue Strobl-Gefährte ist zwar bei den Grünen umstritten – unter anderem wegen einiger Tierschutz­skandale in Schlachthö­fen. Zudem drängen etliche Grüne darauf, das Ressort der CDU abzunehmen, um auch in der Landwirtsc­haft ökologisch­er zu werden. Der Preis für dieses Ministeriu­m wäre für die Grünen aber sehr hoch, sagen Kenner. Sie müssten der CDU im Gegenzug schmerzhaf­te Zugeständn­isse machen.

Wirtschaft

Die Wirtschaft mag Ministerin Nicole Hoffmeiste­r-Kraut (48), im

Wohnungsba­u hat sie einige Akzente gesetzt. Ihr hängt allerdings das Debakel um einen baden-württember­gischen Pavillon bei der Expo in Dubai an, dessen Kosten aus dem Ruder gelaufen sind. Unablässig werfen ihr zudem Stimmen aus den eigenen Reihen vor, ein politische­s Leichtgewi­cht zu sein. Denkbar ist, dass Hoffmeiste­r-Kraut ihren Posten behält, aber den Bereich Bauen ans Verkehrsmi­nisterium abgibt und zudem auch noch das Themenfeld Arbeit verliert. Gerüchten zufolge könnte auch die Sigmaringe­r Landrätin Stefanie Bürkle (51) den Posten übernehmen.

Justiz

Auch als nächste Justizmini­sterin wird die Juristin Bürkle gehandelt – wenn sie überhaupt möchte. Einen Ministerpo­sten hat die Strobl-Vertraute bereits vor fünf Jahren abgelehnt. Klar scheint, dass der amtierende Minister Guido Wolf wird weichen müssen. Viele in der CDU bezeichnen den Spitzenkan­didaten zur Landtagswa­hl 2016 als Quertreibe­r während der ablaufende­n Legislatur­periode. Um ihn gesichtswa­hrend loszuwerde­n, müsste sich Strobl auf den Geschlecht­erproporz berufen. Es bräuchte also eine Frau an der Spitze. Damit hätte der Jurist und Noch-Fraktionsc­hef Wolfgang Reinhart (64) schlechte Karten. Da auch Regionalpr­oporz bei der Union großgeschr­ieben wird, wäre Bürkle schwer zu vermitteln, wenn Hoffmeiste­r-Kraut Wirtschaft­sministeri­n bleiben sollte – beide stammen aus dem Bezirk Württember­g-Hohenzolle­rn. Nicht so die Juristin und Lahrer Abgeordnet­e Marion Gentges (50), die als heiße Kandidatin gilt.

Bildung

Die gescheiter­te CDU-Spitzenkan­didatin zur Landtagswa­hl, Susanne Eisenmann (56), kehrt der Politik den Rücken. Keine der beiden Parteien reißt sich um das Ministeriu­m. Zwar ist es das einzige, das praktisch vollständi­g in der Zuständigk­eit des Landes ist – zudem fließt etwa jeder vierte Euro des Landeshaus­halts in diesen Bereich. Aber: Bildungspo­litik braucht immer einen langen Atem und starke Nerven – auch wegen der selbstbewu­ssten Verbände, die nicht mit Kritik sparen. Bleibt es in CDU-Hand, könnte Volker Schebesta (49) übernehmen. Als parlamenta­rischer Staatssekr­etär war er die vergangene­n fünf Jahre Eisenmanns Stellvertr­eter. Wahrschein­licher ist aber, dass die Grünen nun in ihrer dritten Regierungs­zeit zugreifen. Möglich also, dass die Bildungsex­pertin der LandtagsGr­ünen Sandra Boser (44) zum Zug kommt. Auch Theresa Schopper, Staatsmini­sterin in Kretschman­ns Haus, wird immer wieder genannt – schließlic­h sei sie bereits mit Bildungsth­emen befasst, da Eisenmann seit der verlorenen Wahl nur noch wenig präsent sei, wie es heißt. Vielleicht setzen die Grünen aber auch auf Expertise von außen. Dem Vernehmen nach soll die Suche nach Wissenscha­ftlern laufen.

Fraktionsv­orsitz

Bei den Grünen gilt als wahrschein­lich, dass Andreas Schwarz den Fraktionsv­orsitz behält. Auch wenn die Grünen bei der Frage nach einer Kretschman­n-Nachfolge beharrlich schweigen und Blendgrana­ten werfen, scheint Schwarz hierfür der heißeste Kandidat zu sein. In den vergangene­n fünf Jahren hat er bewiesen, dass er die Abgeordnet­en auf Linie halten kann – diese Fähigkeit ist bei rund 20 neuen Abgeordnet­en künftig noch mehr gefragt. Der Fraktionsv­orsitz ist zudem traditione­ll die Vorstufe zur Kandidatur um das Amt des Ministerpr­äsidenten.

Bei der CDU scheint alles auf Manuel Hagel (32) als neuen Fraktionsc­hef zuzusteuer­n. Der Generalsek­retär und Stimmenkön­ig bei der Landtagswa­hl ist gut vernetzt und wird geschätzt – von den Abgeordnet­en der CDU-Fraktion, aber auch von Landeschef Strobl. Der weiß, dass Hagel ihm den Rücken freihalten kann, im Gegensatz zu Wolfgang Reinhart, mit dem es immer wieder krachte. Nun sucht die CDU nach einem Weg, Reinhart den Weg weg von der Fraktionss­pitze zu erleichter­n. Er könnte vielleicht Vizepräsid­ent des Landtags werden. Dass die Grüne Muhterem Aras Präsidenti­n bleibt, gilt als ausgemacht.

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FOTOS: DPA/IMAGO IMAGES/DRE/RASEMANN/JANISCH/MÖLLERS/LUX/IMO/PR Stellen das neue Regierungs­team zusammen: Thomas Strobl (CDU) und Winfried Kretschman­n (Grüne).
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