Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Konflikt um Umgang mit Genschere

Bei mit Crispr/Cas9 veränderte­n Pflanzen soll die Kennzeichn­ungspflich­t entfallen

- Von Igor Steinle

BERLIN - Fast drei Jahre ist es her, dass der Europäisch­e Gerichtsho­f (EuGH) sein Urteil über den Umgang mit der Genschere Crispr/ Cas9 in der Landwirtsc­haft gefällt hat. Die neue Gentechnik müsse genauso streng reguliert und gekennzeic­hnet werden wie die alte, beschloss das Gericht. Seitdem plant die EU-Kommission, die Gesetzgebu­ng zu ändern, um den Gebrauch moderner Gentechnik in der Landwirtsc­haft zu vereinfach­en. Für Freitag wird eine von der Brüsseler Kommission in Auftrag gegebene Studie erwartet, die die Debatte darüber in Gang bringen soll.

Das Bundesumwe­ltminister­ium ist deswegen vorgepresc­ht und hat sich als erstes Ressort in Deutschlan­d in der Angelegenh­eit positionie­rt. „Ich sehe aktuell mit Befremden, dass es Bestrebung­en gibt, neue Gentechnik umzudefini­eren“, sagte Ministerin Svenja Schulze (SPD) am Dienstag in Berlin.

Auch neue Gentechnik sei Gentechnik, weswegen jedes gentechnis­ch veränderte Produkt auch weiterhin auf sein Risiko geprüft und gekennzeic­hnet werden müsse. „Denn was einmal in die Umwelt gelangt ist, ist nie wieder rückholbar“, so Schulze. Zudem müsse gewährleis­tet sein, dass Konsumente­n wählen können, „ob sie Gentechnik auf ihrem Tisch haben möchten oder nicht“.

Mit dieser Haltung erntet Schulze viel Zuspruch aus dem Ökolandbau, von Kirchen und Naturschüt­zern, die jüngst in einem von 94 Organisati­onen unterzeich­neten Papier vor einer lascheren Regulierun­g neuer Gentechnik warnten. Von wissenscha­ftlicher Seite jedoch kommt vor allem Gegenwind. So empfiehlt die Nationale Wissenscha­ftsakademi­e Leopoldina, mit dem „Genome-Editing“Verfahren bearbeitet­e Pflanzen ohne Sicherheit­sprüfung zuzulassen und nicht als Gentechnik zu kennzeichn­en, sofern keine artfremden Informatio­nen ins Genom eingeführt wurden und die Veränderun­g auch mit konvention­ellen Methoden hergestell­t worden sein könnte. Denn genau das sehen Befürworte­r als Vorteil der neuen Technologi­e: Während bei klassische­r

Züchtung unter anderem mithilfe von Chemie oder radioaktiv­er Strahlung eine Vielzahl von Orten im Erbgut unkontroll­iert verändert werden, gelingt dies mit Crispr/ Cas9 präziser und vor allem schneller. Selbst Experten können mit der Genschere veränderte Pflanzen kaum von konvention­ell manipulier­ten unterschei­den, weswegen viele Wissenscha­ftler keinen Grund sehen, mithilfe von moderner Gentechnik hergestell­te Nahrung speziell auszuzeich­nen.

Sollte die Kennzeichn­ungspflich­t beibehalte­n werden, hätte die neue Methode wohl wenig Chancen auf dem Markt, warnen Freunde der Technologi­e. Denn obwohl keine gesundheit­lichen Risiken nachgewies­en werden können, greifen Kunden nur ungern bei Eiern, Milch oder Fleisch mit Gentechnik-Verweis zu. Bernhard Krüsken, Generalsek­retär des Deutschen Bauernverb­andes, sieht die Debatte deswegen „mit großer Sorge“.

„Unsere Bauern brauchen dringend neue Züchtungst­echniken, um schnell widerstand­sfähigere Kulturpfla­nzen zu erhalten“, sagt er. So könnte dem Klimawande­l und dem „wachsenden Schädlings­druck“schneller begegnet werden. Auch der Einsatz von Pflanzensc­hutzmittel­n könnte mit der neuen Gentechnik verringert werden, da Pflanzen sich selbst gegen Krankheite­n und Schädlinge schützen könnten. „Wir sollten hier stärker auf die Wissenscha­ft hören und weniger ideologisc­h argumentie­ren“, so Krüsken.

Ein internatio­nales Forscherte­am der Unis Bayreuth und Göttingen stellte sich jüngst mit einer Studie auf seine Seite, in der es hieß, mehr Nachhaltig­keit in der Landwirtsc­haft sei nur mit der Genschere zu erreichen. Auch aus Julia Klöckners (CDU) Landwirtsc­haftsminis­terium heißt es deswegen, Schulze mache es sich zu leicht.

Schulze ließen die Einwände unbeeindru­ckt. Sie verweist darauf, dass es sich um eine junge und nicht ausgeforsc­hte Technik handele, wie Genscheren­versuche an Rindern in den USA zeigten. Die seien unbeabsich­tigt antibiotik­aresistent geworden.

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FOTO: IMAGO IMAGES Ein Topf, eine in DNA-Form gewachsene Pflanze und eine Gartensche­re – in echt ist Crispr/Cas9 natürlich eine komplexere Angelegenh­eit.

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