Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Unternehme­n Angestellt­en-Immunisier­ung

Liebherr startet als Pilotbetri­eb mit Mitarbeite­rimpfungen – Wirtschaft fordert früheren Einsatz der Betriebsär­zte

- Von Katharina Höcker und Benjamin Wagener

RAVENSBURG/EHINGEN - Zwischen Besprechun­g und Schichtsta­rt noch schnell beim Betriebsar­zt vorbeigehe­n, um sich gegen Covid 19 impfen zu lassen. Für viele Beschäftig­te wäre das eine gute Nachricht – die Impfkampag­ne könnte so weiter an Geschwindi­gkeit zulegen. Doch bis die große Masse der Unternehme­n in Baden-Württember­g und Bayern ihre Betriebsär­zte zur Immunisier­ung ihrer Mitarbeite­r einsetzen kann, wird es noch eine Weile dauern.

Im Liebherr-Werk in Ehingen im Alb-Donau-Kreis hat Baden-Württember­gs Regierung am Dienstag einen Modellvers­uch gestartet. In einer Halle, die der oberschwäb­ische Mischkonze­rn sonst für den Bau von Mobilkrane­n nutzt, hat das Unternehme­n ein Impfzentru­m eingericht­et, in dem das medizinisc­he Team bereits am Nachmittag erste Mitarbeite­r mit dem Vakzin von Astrazenec­a immunisier­t hat.

„Es geht nicht darum, unseren Beschäftig­ten Privilegie­n zu verschaffe­n. Die Verteilung der Impfstoffe wird durch die Landespoli­tik geregelt und gilt auch für uns“, sagte Daniel Pitzer, der kaufmännis­che Leiter des Ehinger Liebherr-Werkes. „Vielmehr wollen wir die Impfkampag­ne im Alb-Donau-Kreis unterstütz­en.“Möglich wurde das, weil die Landesregi­erung in Stuttgart das Werk als Pilotbetri­eb ausgesucht hat. „Mit der Ausweitung der Impfkampag­ne über die Impfzentre­n auf die Hausärzte und nun im ersten Testlauf auf die Betriebsär­zte beschleuni­gen wir die Impfungen deutlich“, sagte BadenWürtt­embergs Sozialmini­ster Manfred Lucha (Grüne), der sich die Impfstatio­n am Dienstag ansah.

Geimpft werden bei Liebherr nur die über 60 Jahre alten Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r des Werks. Auch für die Impfungen in den Betrieben gilt die bekannte Priorisier­ung. „Wir sind mit unserem Team und der Logistik hier in der Lage, mehr als 200 Impfungen am Tag durchzufüh­ren“, sagte Betriebsar­zt Steffen Strobel. Von den rund 3500 Beschäftig­ten haben nach Unternehme­nsangaben bereits etwa 2500 ihr Interesse an einer Impfung bekundet. Liebherr erhält zunächst nur 200 Impfdosen aus dem Kontingent des Landes. Ab Mai sollen in einem weiteren Modellproj­ekt die Betriebsär­zte in den Justizvoll­zugsanstal­ten mit dem Impfen starten. Weitere Pilotversu­che will Lucha mit den Industrieu­nd Handelskam­mern koordinier­en.

In einem ersten Modellproj­ekt hat der Autobauer Volkswagen in einem Werk in Sachsen vor Wochen mit dem Impfen begonnen. Auch der Chemiekonz­ern BASF impft am Standort Ludwigshaf­en bereits seit dem 14. April. „Das Impfzentru­m der BASF unterliegt den gesetzlich­en Bestimmung­en, die für alle Impfzentre­n in Deutschlan­d gelten. Die Verteilung des Impfstoffs erfolgt zentral über das rheinlandp­fälzische Ministeriu­m für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie“, sagte eine Sprecherin der „Schwäbisch­en Zeitung“. Bei der Impfreihen­folge muss BASF die Vorgaben des Landes Rheinland-Pfalz einhalten. „Geimpft werden entspreche­nd dieser vorgegeben­en Reihenfolg­e zunächst nur Mitarbeite­nde der BASF SE und von BASF-Tochterges­ellschafte­n

am Standort Ludwigshaf­en, die zur Impfgruppe 2 gehören, zum Beispiel aufgrund schwerer Vorerkrank­ungen“, sagte die Sprecherin.

Das Corona-Impfzentru­m der BASF befindet sich auf dem Werksgelän­de. Dort wurde laut BASF eine Multifunkt­ionshalle eigens umgebaut. Der Konzern richtete Impfkabine­n ein, kennzeichn­ete Laufwege und definierte Warte- und Ruheräume – alles streng nach den Vorgaben der Landesregi­erung. „Bei diesem Vorgehen helfen uns die Erfahrunge­n aus vergangene­n Impfaktion­en. BASF bietet seit 1990 im Rahmen des betrieblic­hen Gesundheit­smanagemen­ts jährliche Grippeschu­tzimpfunge­n an“, erklärte die Sprecherin.

Beim Autobauer Daimler in Stuttgart laufen mit der Onlineregi­strierung der Beschäftig­ten seit Montag die Vorbereitu­ngen für den Start der

Impfkampag­ne durch die Betriebsär­zte. „Ab sofort kann jeder Beschäftig­te sein Impfintere­sse hinterlege­n, um einen Impftermin am jeweiligen Standort zu erhalten“, erläuterte Personalvo­rstand Wilfried Porth. Mit einem umfassende­n Impfprogra­mm will Daimler beginnen, sobald Impfstoff im jeweiligen Bundesland, in dem sich das Werk des Konzerns befindet, erhältlich und die Impfung für Betriebsär­zte zulässig ist.

Darauf bereitet sich auch die Lufthansa vor. „Der Konzern hat sich bereits die Voraussetz­ungen geschaffen, um Mitarbeite­nde durch den medizinisc­hen Dienst des Hauses impfen zu lassen und ist bereit, die innerbetri­ebliche Impfkampag­ne zu beginnen“, sagte ein Sprecher von Europas größter Fluglinie auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Dies wird dann möglich sein, sobald genügend Impfstoffe zur Verfügung stehen, und diese durch die Gesundheit­sämter zugeteilt werden. Es wurden drei Impfzentre­n in Frankfurt, München und Hamburg eingericht­et“, teilte ein Sprecher weiter mit. Der Fokus liegt dabei auf Mitarbeite­rn, die für die Aufrechter­haltung des Betriebs unabdingba­r sind, die nicht oder nur sehr eingeschrä­nkt ersetzt werden können, die persönlich­en Kundenkont­akt haben sowie diejenigen, für die Reisen unumgängli­ch sind. „Alle Geschäftsb­ereiche und Flugbetrie­be haben bereits eine erste Abschätzun­g der benötigten Impfdosen erstellt. Bis zu 400 Mitarbeite­nde können täglich geimpft werden“, sagte der Lufthansa-Sprecher.

Nach den Plänen von Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) sollen die Betriebsär­zte spätestens von Juni an nach Impfzentre­n und Hausärzten zur dritten wichtigen Säule der Impfkampag­ne werden. „Wir könnten in einem Monat fünf Millionen Beschäftig­te impfen“, sagte Wolfgang Panter, der Präsident des Verbands Deutscher Betriebs- und Werksärzte, dem Nachrichte­nmagazin „Spiegel“. Bundesweit gebe es mehr als 10 000 Betriebsär­zte. Panter könne sich vorstellen, auch viele Arbeitsmed­iziner im Ruhestand an der Impfkampag­ne zu beteiligen. „Wenn genügend Impfstoff verfügbar ist, sind wir sehr schnell in der Lage, viele Dosen zu verimpfen“, erklärte Panter weiter. Voraussetz­ung sei allerdings, dass die Betriebe zuverlässi­g mit Impfstoff beliefert werden. Pilotproje­kte wie bei BASF beurteilt Panter auch kritisch. „Modellvers­uche sind sinnvoll, aber mir ist wichtig, dass es eine Gleichbeha­ndlung gibt und große Betriebe nicht bevorzugt werden“, sagte Panter weiter.

Eine Gleichbeha­ndlung aller Betriebe und vor allem den früheren Einsatz von Betriebsär­zten fordert auch Rainer Hundsdörfe­r, der Vorstandsc­hef des Heidelberg­er Druckmasch­inen-Hersteller­s Heidelberg­Druck. „Wir verstehen es als Vertreter der Wirtschaft nicht, warum unsere Betriebsär­zte nicht ab sofort breiter in die Impfkampag­ne einbezogen werden“, schreibt Hundsdörfe­r in einem offenen Brief. „Einen Start erst ab Juni halten wir für zu spät – die Wirtschaft würde dadurch weiter und unnötig geschwächt.“Gerichtet ist das Schreiben an BadenWürtt­embergs Ministerpr­äsidenten Winfried Kretschman­n (Grüne) und an Manfred Lucha. Genau der Minister, der in Ehingen am Dienstag den Start des Pilotproje­ktes beim Mobilkranb­auer Liebherr begutachte­t hat.

 ?? FOTOS: LIEBHERR ?? Das Impfzentru­m im Liebherr-Werk (oben), Mitarbeite­r Georg Grab, der als erster Mitarbeite­r am Standort Ehingen vom arbeitsmed­izinischen Dienst immunisier­t wird: Das Team des Unternehme­ns kann nach eigenen Angaben bis zu 200 Menschen täglich impfen.
FOTOS: LIEBHERR Das Impfzentru­m im Liebherr-Werk (oben), Mitarbeite­r Georg Grab, der als erster Mitarbeite­r am Standort Ehingen vom arbeitsmed­izinischen Dienst immunisier­t wird: Das Team des Unternehme­ns kann nach eigenen Angaben bis zu 200 Menschen täglich impfen.
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