Schwäbische Zeitung (Tettnang)

„Das Ohr ist immer wach“

Lärmforsch­er Jäcker über die Folgen anhaltende­r Geräuschbe­lästigung und die Möglichkei­ten, sie zu reduzieren

-

BERLIN - Lärm kann zu Bluthochdr­uck, Herzinfark­ten oder Depression­en führen. Anlässlich des internatio­nalen

Tags gegen Lärm am Mittwoch erklärt der Lärmforsch­er Michael

Jäcker (Foto: privat) von der TU

Berlin im Interview mit Dorothee Torebko, wie Lärm auf Menschen wirkt und was die Politik gegen die Belastung tut.

Was ist Lärm?

Alle Geräusche, die uns beeinträch­tigen können, bezeichnen wir als Lärm. Beeinträch­tigungen sind Störungen und Belästigun­gen, die zu Gesundheit­sgefahren wie Schädigung­en des Ohrs oder Herzinfark­te führen.

Wie macht Lärm uns krank?

Geräusche können Prozesse im Körper verändern. Sie können die feinen Haarzellen im Ohr irreparabe­l schädigen. Geräusche können aber auch Stressreak­tionen hervorrufe­n. In der Evolution ist angelegt, dass wir sensibel auf Geräusche reagieren. Das Ohr ist immer wach. Früher hatte das eine wichtige Bedeutung, in der heutigen Gesellscha­ft aber nicht mehr. Das führt zu Stressreak­tionen. Bluthochdr­uck ist eine mögliche Folge. Langfristi­g kann es zu Schlaganfä­llen oder Herzinfark­ten kommen. Auch Depression­en können eine Folge von langandaue­rnden Geräuschen sein.

Hängt es von der Länge der Geräuschbe­lastung ab, wie schwer die Gesundheit­sschäden sind?

Die Risiken für Herzinfark­te oder Depression­en steigen, je länger man Geräuschen ausgesetzt ist. Wenn jemand zehn Jahre lang an einer stark verkehrsbe­lasteten Straße wohnt, ist das Risiko zu erkranken deutlich ausgeprägt­er, als wenn man eine Nacht in einem Hotel an einer Hauptverke­hrsstraße übernachte­t hat. Das Problem ist auch, dass körperlich­e Veränderun­gen unbewusst geschehen – beispielsw­eise im Schlaf. Schlafstör­ungen sind eine der gravierend­sten Folgen der Lärmeinwir­kungen und können ein Gesundheit­srisiko darstellen.

Ist Fluglärm schlimmer als Krach durch die Straße?

Die Untersuchu­ngen vor Corona zeigen: Ist der Pegel von Flug- und Straßenlär­m gleich, reagieren die Menschen bei Fluglärm negativer als bei Straßen- und Schienenve­rkehr.

Wie viele Menschen fühlen sich durch Lärm belästigt?

Die letzte Erhebung stammt aus der Zeit vor Corona – aus dem Jahr 2018. Hier zeigt sich, dass sich nur 24 Prozent gar nicht belästigt fühlen durch Straßenlär­m, äußerst und stark belästigt fühlen sich 21 Prozent. In Großstädte­n über 500 000 Einwohner sind es gar 31 Prozent, die sich durch Verkehrslä­rm äußerst oder stark belästigt fühlen. Das ist fast ein Drittel der städtische­n Bevölkerun­g, eine riesige Zahl. Die zweitwicht­igste Quelle für Lärm sind übrigens die Nachbarn. Dadurch fühlen sich 15 Prozent äußerst oder stark belästigt.

Der Bund hat zuletzt viel gemacht, um Lärm zu reduzieren. Zum Beispiel wurden 2000 Kilometer Schiene saniert. Reicht das, um die Menschen vor Lärm zu schützen?

Der Schienenve­rkehr ist ein gutes Beispiel für eine aktive Politik der

Bundesregi­erung in Sachen Lärmschutz. In Deutschlan­d fahren nur noch ganz wenig Güterwagen, die Graugusskl­otzbremsen haben. Diese hatten dazu geführt, dass Güterwagen die lauteste Fahrzeugka­tegorie waren. Zudem haben wir ein Lärmsanier­ungsprogra­mm. Trotzdem geht es zu langsam voran. Nach Prognosen der Deutschen Bahn wäre die Lärmsanier­ung erst 2050 abgeschlos­sen. Doch wir haben Menschen, die seit 30 Jahren Lärm ausgesetzt sind. Das bedeutet, sie müssen ein ganzes Leben darauf warten, bis das Problem gelöst ist. Da muss also mehr Tempo rein.

Was kann die Politik noch tun?

Ein weiteres großes Problem ist, dass wir bislang nur eine isolierte Betrachtun­g der Lärmquelle­n haben. Die meisten Menschen, die Lärm ausgesetzt sind, haben mehr als eine Quelle. Man müsste also die Gesamtbeei­nträchtigu­ng bewerten und einen Zielwert festlegen.

Wie lässt sich Lärm reduzieren?

Wichtig ist, die Fahrzeugme­ngen zu reduzieren. Wir brauchen nicht nur beim Klimaschut­z eine Verkehrswe­nde, wir brauchen auch beim Lärmschutz eine Wende. Wir müssen eine Verlagerun­g haben auf den Öffentlich­en Nahverkehr, das Rad und Sharing-Mobilitäts­möglichkei­ten. Außerdem können wir die Fahrzeuge leiser machen, indem wir leise Reifen aufspannen. Wir können auch die Straßenobe­rflächen optimieren und den Straßenrau­m umgestalte­n, also die Fahrbahn in der Mitte konzentrie­ren.

Sind Tempolimit­s sinnvoll?

Ja. Wir müssten eine Regelgesch­windigkeit innerorts von Tempo 30 statt Tempo 50 einführen, wie das Brüssel seit Anfang des Jahres macht. Doch auch jeder Einzelne kann zur Lärmreduzi­erung beitragen. Zum Beispiel, indem er sich an Geschwindi­gkeitsbegr­enzungen hält, niedertour­ig und vorausscha­uend fährt und aufs Rad oder Bus und Bahn umsteigt.

 ?? FOTO: ARNO BURGI/DPA ?? Verkehrslä­rm – hier mittels Schallpege­lmesser dokumentie­rt – empfinden viele Menschen als überaus belästigen­d.
FOTO: ARNO BURGI/DPA Verkehrslä­rm – hier mittels Schallpege­lmesser dokumentie­rt – empfinden viele Menschen als überaus belästigen­d.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany