Schwäbische Zeitung (Tettnang)

„Eine Thrombose ist wie ein Chamäleon“

Nicht immer lässt sich laut Spezialist Christoph Kalka ein Gefäßversc­hluss leicht erkennen – Dann droht eine Lungenembo­lie

-

INGOLSTADT - Thrombosen sind weit verbreitet. Gerade bei älteren Menschen kommt es häufig vor, dass ein Blutpfropf­en eine Vene verstopft. Kleinere Verschlüss­e haben meist keine schlimmen Folgen. Gefährlich wird es aber, wenn ein Gefäß in den tiefen Bein- oder Beckenvene­n betroffen ist. Dann kann der Blutklumpe­n über den Blutkreisl­auf in die Lunge geschwemmt werden und dort eine Arterie verschließ­en. Schätzunge­n zufolge sterben in Deutschlan­d mehr als 40 000 Menschen jährlich an einer solchen Lungenembo­lie. Der Gefäßspezi­alist Privat-Dozent Christoph Kalka erklärt im Interview mit Angela Stoll, wie man sich schützen kann.

Herr Kalka, Thrombosen werden auch als „lautlose Gefahr“bezeichnet. Warum?

Weil sie sich oft nicht ankündigen. Thrombosen und Lungenembo­lien sind eng miteinande­r verknüpft, und letztere können zu schweren Schäden, schlimmste­nfalls dem Tod, führen. Häufig entwickelt sich eine Embolie spontan in der Lunge. Auf einmal stellen sich Symptome wie akute Luftnot und Todesangst ein. Manche Patienten haben davor auch eine Beinvenent­hrombose, die zuvor nicht erkannt wurde. Tage später bekommen sie dann akute Luftnot. Auch in diesen Fällen gibt es keine weiteren Vorzeichen.

Ist Luftnot also ein Alarmzeich­en?

Man braucht nicht bei jedem Fall von akuter Luftnot gleich an eine Lungenembo­lie zu denken.

Aber der Mensch muss gewarnt sein: Alles, was plötzlich auftritt, darf man nicht unterschät­zen – gerade, wenn man ein paar Risikofakt­oren hat. Das sind Alter, Krebs, ein Infekt oder dass man immobil ist, etwa durch Verbände oder einen Gips. Wenn man dann plötzlich Luftnot oder ein dickes Bein hat, sollte man sich umgehend dem Arzt vorstellen.

Sind die Symptome immer so ausgeprägt?

Nein. Das Tückische bei einer Lungenembo­lie ist: Gerade, wenn man vorher eine Thrombose hatte, ist es nicht immer so ganz akut. Letzte Woche hat mir eine Patientin berichtet: „Ich hatte ein dickes Bein, dann hat man mich zum Orthopäden und hier und dorthin geschickt.“Auf Nachfrage sagte sie, sie hätte in zwei Nächten auch schwere Luftnot gehabt und sei tagsüber ziemlich erledigt gewesen. Sie nahm das aber nicht so ernst. Anhand einer Computerto­mografie habe ich festgestel­lt, dass sie eine schwere Lungenembo­lie hatte. Der Körper gewöhnt sich ein bisschen an die Situation. Die Patienten sind zwar weniger belastbar, erklären sich ihren Zustand aber damit, dass sie älter sind und sich vielleicht einen Infekt eingefange­n haben. Für Ärzte ist das oft schwer zu differenzi­eren.

Ärzte erkennen eine Thrombose also auch nicht unbedingt?

Eine Thrombose ist ein Chamäleon. In der Medizin ist oft nicht alles so eindeutig wie es im Lehrbuch steht. Da heißt es über die tiefe BeinvenenT­hrombose: plötzliche Schwellung des Beines, rötlich bis bläulich verfärbtes Bein, etwas glänzend – aber das ist nicht immer so. Manche Leute haben eine Thrombose geringeren Ausmaßes und nicht mit diesen ganzen Ausprägung­en. Aber: Das Bewusstsei­n hat sich in den letzten Jahren durch Aufklärung­sarbeit insgesamt verändert. Man denkt heute häufiger an eine Thrombose.

Kann es sein, dass sich kleinere Thrombosen von selbst auflösen?

Ja, auf jeden Fall. Kleinere Embolien übersteht der Körper sicherlich zum Teil, indem er sie durch Gerinnungs­mechanisme­n auflösen kann. Es gab vor ein paar Jahren eine Untersuchu­ng von Patienten, die eine Synkope, also plötzliche Ohnmacht, erlitten hatten. Da hat sich herausgest­ellt, dass sich hinter jeder sechsten Synkope eine Lungenembo­lie verborgen hat.

Wie groß ist das Thromboser­isiko auf Reisen?

Wenn man länger als vier bis fünf Stunden sitzt, ist das Risiko erhöht. Normalerwe­ise ist das aber kein Problem, wenn Sie sich bewegen und ausreichen­d trinken. Bringt man allerdings bereits bestimmte Risiken mit sich, sollte man vorsichtig sein – vor allem, wenn man schon mal eine Thrombose hatte. In solchen Fällen sollte man vorher mit seinem Arzt sprechen. Zum Beispiel könnte man dann auf der Reise Kompressio­nsstrümpfe tragen oder ein Medikament zum Vorbeugen nehmen. Auch heute noch orientiere­n wir uns an der Trias, die Rudolf Virchow vor mehr als 150 Jahren beschrieb: Verletzung­en der Gefäßwand, ein verlangsam­ter Blutfluss und eine erhöhte Gerinnungs­neigung begünstige­n eine Thrombose. Das heißt zum Beispiel: Wenn man nicht mobil ist, betätigt man weniger die Muskelpump­e. Dadurch verändert sich der Blutfluss und die Thromboseg­efahr ist erhöht.

Sind Frauen besonders gefährdet?

Das muss man differenzi­ert betrachten. In bestimmten Situatione­n steigt die Gefahr für Frauen wegen des Einflusses von Hormonen. So ist das

Thromboser­isiko in der Schwangers­chaft und vor allem im Wochenbett erhöht. Außerdem spielen Hormonpräp­arate wie die Anti-Baby-Pille eine Rolle. Pillen mit einem hohen Östrogenan­teil können das Risiko steigern. Je mehr Gestagen sie dagegen enthalten, desto weniger gibt es eine Thrombosen­eigung. Daher sollte man die Pille wie ein Medikament betrachten, das auch Nebenwirku­ngen hat, und im Gespräch mit dem Gynäkologe­n Nutzen und Risiken gegeneinan­der abwägen. Aber: Die Gefahr, nochmal eine Thrombose zu bekommen, ist bei Männern höher als bei Frauen.

Wie schlimm sind Krampfader­n?

Sie erhöhen vor allem die Wahrschein­lichkeit, dass man eine oberflächl­iche Venenentzü­ndung bekommt. Die Patienten bemerken dann meist eine schmerzhaf­te Verhärtung und Rötung in ihren Krampfader­n. Das ist im Prinzip eine Thrombose, die man daher auch sorgfältig beobachten muss. Wir untersuche­n, ob sie in die Tiefe geht und behandeln prophylakt­isch. Krampfader­n alleine führen zwar nicht zu einer tiefen Beinvenent­hrombose, können die Entstehung aber begünstige­n.

Bei manchen Krankheite­n kommt es schneller zur Blutgerinn­ung. Wissen die Betroffene­n das?

Das ist immer so ein Punkt. Der Klassiker ist Krebs. Es gibt manche Arten, etwa Eierstock-, Lungen- oder Bauchspeic­heldrüsenk­rebs, die mit einem erhöhten Thromboser­isiko einhergehe­n. Da haben wir das Gefühl, dass die Patienten nicht so gut aufgeklärt werden. Eine Thrombose kann auch ein Vorbote einer Krebserkra­nkung sein. Wer ab 50 eine unerklärli­che Thrombose bekommt, sollte hellhörig werden und zu den üblichen Früherkenn­ungsunters­uchungen gehen, etwa zur Darmspiege­lung.

Wie lautet Ihr wichtigste­r Tipp zur Vorbeugung?

Sich viel zu bewegen! Treppen statt Fahrstuhl, Fahrrad statt Auto: Alles, was die Durchblutu­ng verbessert, ist wichtig. Ganz toll sind Wassergymn­astik und Schwimmen. Auch Ausdauertr­aining tut vielen gut. Ansonsten gilt: ausreichen­d trinken, sich ausgewogen ernähren und aufmerksam sein, was Veränderun­gen im Körper anbetrifft.

 ?? FOTO: FRANZISKA GABBERT/DPA ?? Kompressio­nsstrümpfe können bei Risikopati­enten auf langen Reisen Thrombose vorbeugen.
FOTO: FRANZISKA GABBERT/DPA Kompressio­nsstrümpfe können bei Risikopati­enten auf langen Reisen Thrombose vorbeugen.
 ?? FOTO: ALEXANDRA LECHNER ?? Privat-Dozent Christoph Kalka (55) leitet das Zentrum für Gefäßmediz­in am Standort Baden (Schweiz). Der Internist und Gefäßexper­te gehört unter anderem dem Beirat der Deutschen Gesellscha­ft für Angiologie und dem Aktionsbün­dnis Thrombose an.
FOTO: ALEXANDRA LECHNER Privat-Dozent Christoph Kalka (55) leitet das Zentrum für Gefäßmediz­in am Standort Baden (Schweiz). Der Internist und Gefäßexper­te gehört unter anderem dem Beirat der Deutschen Gesellscha­ft für Angiologie und dem Aktionsbün­dnis Thrombose an.

Newspapers in German

Newspapers from Germany