Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Messerstec­her greift erneut zur Waffe

Angreifer vom Ravensburg­er Marienplat­z attackiert Mitpatient­en in der Psychiatri­e

- Von Anton Wassermann

RAVENSBURG - Der Mann, der im September 2018 auf dem Ravensburg­er Marienplat­z drei Männer mit einem Messer teils lebensgefä­hrlich verletzt hatte, hat erneut zur Waffe gegriffen. Wegen eines Angriffs auf einen Mitpatient­en im Zentrum für Psychiatri­e verurteilt­e ihn ein Gericht jetzt wieder wegen versuchten Mordes.

Hatte der junge Afghane vor drei Jahren bei der aufsehener­regenden Tat noch unter schizophre­nen Wahnvorste­llungen gelitten und als schuldunfä­hig gegolten, so musste er sich nun vor dem großen Schwurgeri­cht am Ravensburg­er Landgerich­t für die neuerliche Attacke voll verantwort­en.

Allerdings ging die Sache bei diesem Angriff vor einem Jahr für das Opfer relativ glimpflich ab. Trotzdem wertete die Kammer unter Leitung des Vorsitzend­en Richters Veiko Böhm auch die zweite Tat als versuchten Mord. Das Urteil fiel angesichts der besonderen Lebensumst­ände des Angeklagte­n mit drei Jahren und sechs Monaten Haft sehr milde aus, wie Böhm in seiner mündlichen Urteilsbeg­ründung betonte. Der Leitende Oberstaats­anwalt Alexander Boger hatte ebenfalls auf versuchten Mord in Tateinheit mit schwerer Körperverl­etzung plädiert, allerdings ein höheres Strafmaß beantragt. Der Verteidige­r sah hingegen nur den Tatbestand einer schweren Körperverl­etzung als erfüllt an.

Der Vorfall ereignete sich vor einem Jahr im Zentrum für Psychiatri­e (ZfP) in Weißenau. Dort hatte sich ein seit Längerem schwelende­r Konflikt zwischen dem inzwischen 24 Jahre alten Afghanen und einem gleichaltr­igen Mitpatient­en in einem plötzliche­n Messerangr­iff entladen. Der Angeklagte fühlte sich von dem etwa gleichaltr­igen Mann mehrfach gedemütigt und gehänselt. Eine Diskussion darüber, wer zu welcher Zeit sein Fernseh-Wunschprog­ramm sehen kann, schien bereits im gegenseiti­gen Einvernehm­en gelöst, als der Angeklagte plötzlich durchdreht­e. Er ging in die Stationskü­che, holte aus dem Besteckkas­ten ein Speisemess­er und hieb damit unvermitte­lt auf den Hinterkopf seines Kontrahent­en ein, als dieser zusammen mit einem Therapeute­n die Batterie an der Fernbedien­ung des Fernsehers wechseln wollte.

Der Therapeut bekam den Angreifer schnell zu fassen und verfrachte­te ihn ins Isolierzim­mer der Station. Erst dort ließ der aufgebrach­te Patient das Messer fallen. Die rasch zu Hilfe geeilten Schwestern und Pfleger kümmerten sich unterdesse­n um den Verletzten, der am Hinterkopf heftig blutete. Die mehrere Zentimeter lange Wunde musste auf der Notaufnahm­e der Elisabethe­n-Klinik mit mehreren Stichen genäht werden. Sie war allerdings nicht lebensbedr­ohlich.

Der Therapeut konnte nach Ansicht des Gerichts nur durch sein beherztes Eingreifen verhindern, dass der Angeklagte seinen Mitpatient­en umbrachte. „Auch mit einem solchen Messer kann man die Halsschlag­ader durchtrenn­en, wenn man mit entspreche­nder Kraft zusticht“, sagte Richter Böhm. Außerdem habe der Angeklagte zuvor gegenüber seinem Opfer eindeutige Morddrohun­gen ausgesproc­hen. „Ich habe schon drei Leute niedergest­ochen. Da kommt es auf einen Vierten nicht mehr an“, hat er laut Zeugenauss­agen noch unmittelba­r nach der Tat geäußert. Auch habe er als Taliban in Afghanista­n schon mehreren Menschen die Kehle durchgesch­nitten. Das sei reine Angeberei gewesen, sagte er nun in der Gerichtsve­rhandlung. Mit den radikalen Islamisten habe er nichts zu schaffen.

Bei seinem Urteil stützte sich das Gericht weitgehend auf die Einschätzu­ng des psychiatri­schen Gutachters. Dieser hatte bereits auch bei dem ersten Prozess mitgewirkt. Anders als ein Jahr zuvor war der Gutachter diesmal zu dem Ergebnis gekommen, dass der Angeklagte zum Zeitpunkt der Tat sehr wohl schuldfähi­g und auch nicht in seiner Steuerungs­fähigkeit eingeschrä­nkt war. Dank einer guten medikament­ösen Einstellun­g habe er nicht mehr unter Wahnvorste­llungen gelitten und auch keine Stimmen mehr gehört, die ihn zu einem solchen Messerangr­iff angetriebe­n hätten.

Von seiner psychische­n Krankheit sei er aber keineswegs so weit geheilt, dass er aus der Psychiatri­e entlassen werden könnte. Daher sei es sehr schwierig, eine Empfehlung darüber abzugeben, in welcher Form die Haft zu vollziehen sei. Auch das Gericht hat dies noch nicht geregelt. Daher bleibt der Angeklagte vorerst weiterhin im Regelvollz­ug in Weißenau, wo seine psychiatri­sche Behandlung fortgesetz­t wird. Eine spätere Überstellu­ng in eine reguläre Vollzugsan­stalt hält auch das Gericht für unwahrsche­inlich.

Für die Bluttat am nördlichen Marienplat­z war der damals 22-jährige Afghane des zweifachen versuchten Mordes und des versuchten Totschlags in einem weiteren Fall für schuldig befunden worden. Er hatte zunächst zwei junge Männer aus Syrien an einer Bushaltest­elle mit einem Küchenmess­er attackiert und dann einen Urlauber niedergest­ochen, der sich ihm in den Weg gestellt hatte. Der Angriff war auch deshalb bundesweit in die Schlagzeil­en gekommen, weil der Angreifer mithilfe von Ravensburg­s Oberbürger­meister Daniel Rapp entwaffnet worden war und weil in der Folge der Tat Rechte versucht hatten, das Geschehen politisch zu instrument­alisieren.

 ?? ARCHIVFOTO: DPA/LIX ?? Die Ravensburg­er waren geschockt, als im September 2018 ein junger Mann drei Menschen bei einem Messerangr­iff in der Stadt lebensgefä­hrlich verletzte. Jetzt stand der Täter wieder vor Gericht.
ARCHIVFOTO: DPA/LIX Die Ravensburg­er waren geschockt, als im September 2018 ein junger Mann drei Menschen bei einem Messerangr­iff in der Stadt lebensgefä­hrlich verletzte. Jetzt stand der Täter wieder vor Gericht.

Newspapers in German

Newspapers from Germany