Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Messerstecher greift erneut zur Waffe
Angreifer vom Ravensburger Marienplatz attackiert Mitpatienten in der Psychiatrie
RAVENSBURG - Der Mann, der im September 2018 auf dem Ravensburger Marienplatz drei Männer mit einem Messer teils lebensgefährlich verletzt hatte, hat erneut zur Waffe gegriffen. Wegen eines Angriffs auf einen Mitpatienten im Zentrum für Psychiatrie verurteilte ihn ein Gericht jetzt wieder wegen versuchten Mordes.
Hatte der junge Afghane vor drei Jahren bei der aufsehenerregenden Tat noch unter schizophrenen Wahnvorstellungen gelitten und als schuldunfähig gegolten, so musste er sich nun vor dem großen Schwurgericht am Ravensburger Landgericht für die neuerliche Attacke voll verantworten.
Allerdings ging die Sache bei diesem Angriff vor einem Jahr für das Opfer relativ glimpflich ab. Trotzdem wertete die Kammer unter Leitung des Vorsitzenden Richters Veiko Böhm auch die zweite Tat als versuchten Mord. Das Urteil fiel angesichts der besonderen Lebensumstände des Angeklagten mit drei Jahren und sechs Monaten Haft sehr milde aus, wie Böhm in seiner mündlichen Urteilsbegründung betonte. Der Leitende Oberstaatsanwalt Alexander Boger hatte ebenfalls auf versuchten Mord in Tateinheit mit schwerer Körperverletzung plädiert, allerdings ein höheres Strafmaß beantragt. Der Verteidiger sah hingegen nur den Tatbestand einer schweren Körperverletzung als erfüllt an.
Der Vorfall ereignete sich vor einem Jahr im Zentrum für Psychiatrie (ZfP) in Weißenau. Dort hatte sich ein seit Längerem schwelender Konflikt zwischen dem inzwischen 24 Jahre alten Afghanen und einem gleichaltrigen Mitpatienten in einem plötzlichen Messerangriff entladen. Der Angeklagte fühlte sich von dem etwa gleichaltrigen Mann mehrfach gedemütigt und gehänselt. Eine Diskussion darüber, wer zu welcher Zeit sein Fernseh-Wunschprogramm sehen kann, schien bereits im gegenseitigen Einvernehmen gelöst, als der Angeklagte plötzlich durchdrehte. Er ging in die Stationsküche, holte aus dem Besteckkasten ein Speisemesser und hieb damit unvermittelt auf den Hinterkopf seines Kontrahenten ein, als dieser zusammen mit einem Therapeuten die Batterie an der Fernbedienung des Fernsehers wechseln wollte.
Der Therapeut bekam den Angreifer schnell zu fassen und verfrachtete ihn ins Isolierzimmer der Station. Erst dort ließ der aufgebrachte Patient das Messer fallen. Die rasch zu Hilfe geeilten Schwestern und Pfleger kümmerten sich unterdessen um den Verletzten, der am Hinterkopf heftig blutete. Die mehrere Zentimeter lange Wunde musste auf der Notaufnahme der Elisabethen-Klinik mit mehreren Stichen genäht werden. Sie war allerdings nicht lebensbedrohlich.
Der Therapeut konnte nach Ansicht des Gerichts nur durch sein beherztes Eingreifen verhindern, dass der Angeklagte seinen Mitpatienten umbrachte. „Auch mit einem solchen Messer kann man die Halsschlagader durchtrennen, wenn man mit entsprechender Kraft zusticht“, sagte Richter Böhm. Außerdem habe der Angeklagte zuvor gegenüber seinem Opfer eindeutige Morddrohungen ausgesprochen. „Ich habe schon drei Leute niedergestochen. Da kommt es auf einen Vierten nicht mehr an“, hat er laut Zeugenaussagen noch unmittelbar nach der Tat geäußert. Auch habe er als Taliban in Afghanistan schon mehreren Menschen die Kehle durchgeschnitten. Das sei reine Angeberei gewesen, sagte er nun in der Gerichtsverhandlung. Mit den radikalen Islamisten habe er nichts zu schaffen.
Bei seinem Urteil stützte sich das Gericht weitgehend auf die Einschätzung des psychiatrischen Gutachters. Dieser hatte bereits auch bei dem ersten Prozess mitgewirkt. Anders als ein Jahr zuvor war der Gutachter diesmal zu dem Ergebnis gekommen, dass der Angeklagte zum Zeitpunkt der Tat sehr wohl schuldfähig und auch nicht in seiner Steuerungsfähigkeit eingeschränkt war. Dank einer guten medikamentösen Einstellung habe er nicht mehr unter Wahnvorstellungen gelitten und auch keine Stimmen mehr gehört, die ihn zu einem solchen Messerangriff angetrieben hätten.
Von seiner psychischen Krankheit sei er aber keineswegs so weit geheilt, dass er aus der Psychiatrie entlassen werden könnte. Daher sei es sehr schwierig, eine Empfehlung darüber abzugeben, in welcher Form die Haft zu vollziehen sei. Auch das Gericht hat dies noch nicht geregelt. Daher bleibt der Angeklagte vorerst weiterhin im Regelvollzug in Weißenau, wo seine psychiatrische Behandlung fortgesetzt wird. Eine spätere Überstellung in eine reguläre Vollzugsanstalt hält auch das Gericht für unwahrscheinlich.
Für die Bluttat am nördlichen Marienplatz war der damals 22-jährige Afghane des zweifachen versuchten Mordes und des versuchten Totschlags in einem weiteren Fall für schuldig befunden worden. Er hatte zunächst zwei junge Männer aus Syrien an einer Bushaltestelle mit einem Küchenmesser attackiert und dann einen Urlauber niedergestochen, der sich ihm in den Weg gestellt hatte. Der Angriff war auch deshalb bundesweit in die Schlagzeilen gekommen, weil der Angreifer mithilfe von Ravensburgs Oberbürgermeister Daniel Rapp entwaffnet worden war und weil in der Folge der Tat Rechte versucht hatten, das Geschehen politisch zu instrumentalisieren.