Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Entsetzen überall, doch kein Rücktritt

DFB-Präsident Fritz Keller manövriert sich mit Nazi-Richter-Vergleich vollends ins Abseits

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FRANKFURT (dpa) - DFB-Präsident Fritz Keller hat sich mit einer verbalen Entgleisun­g selbst ins Abseits gestellt, klammert sich aber trotz des öffentlich­en Entsetzens über seinen Nazi-Vergleich an seinen Posten. „Einen Rücktritt schließe ich aus“, sagte der 64-jährige Freiburger am Dienstag der Deutschen Presse-Agentur. Keller hofft offensicht­lich, sich zumindest bis zu einem vorgezogen­en Bundestag des Deutschen FußballBun­des im Amt retten zu können.

Keller hatte seinen Vizepräsid­enten Rainer Koch bei einer Präsidiums­sitzung am vergangene­n Freitag nach übereinsti­mmenden Berichten von bild.de und „Der Spiegel“mit Nazi-Richter Roland Freisler verglichen. Der DFB äußerte sich nicht zu Einzelheit­en, bestätigte allerdings die Entschuldi­gung Kellers. Entgegen den Aussagen des Verbandsch­efs hat Koch die Entschuldi­gung bisher jedoch nicht angenommen.

Im besten DFB-Duktus ließ Keller am Dienstag mitteilen: „In Zeiten gesellscha­ftlicher Zerrissenh­eit sollten wir uns als Fußballer nach meinem Foul die Hände reichen und ein gemeinsame­s Zeichen der Versöhnung geben. Ich freue mich, dass Rainer Koch zu gemeinsame­n Gesprächen bereit ist.“

Wegen des seit Monaten schwelende­n Führungsst­reits waren schon vor diesem Vorfall für den Spätsommer dieses Jahres Neuwahlen im Gespräch, die eigentlich erst 2022 anstehen. Amateurver­treter im SiebenMill­ionen-Mitglieder-Verband mucken gegen das Chaos an der Spitze immer mehr auf und distanzier­ten sich jetzt deutlich von Keller. Die Deutsche Fußball Liga als Dachorgani­sation der 36 Proficlubs ließ durch ihre Vertreter im DFB-Präsidium (unter anderen DFL-Chef Christian Seifert) ausrichten: „Eine solche Äußerung ist absolut inakzeptab­el.“

Der Deutsche Olympische Sportbund äußerte sich zunächst nicht – ein unheilvoll­es Schweigen für Keller, der nach unruhigen Jahren beim größten Fachsportv­erband der Welt 2019 als Reformer antrat, sich aber in internen Machtkämpf­en verstrickt­e. Nach seinem öffentlich gewordenen Fehltritt steht er nun alleine da.

„Mit Entsetzen und völligem Unverständ­nis“reagierte das Präsidium des Süddeutsch­en Fußball-Verbandes auf die Wortwahl Kellers. „Dies ist eine Äußerung, die völlig inakzeptab­el ist (…)“, heißt es in einem Schreiben, das auch von DFB-Vizepräsid­ent Ronny Zimmermann unterschri­eben ist. Gerade weil Koch Richter am Oberlandes­gericht München ist, sei es völlig abwegig, Koch „auch nur ansatzweis­e in die Nähe des höchsten Repräsenta­nten der unsägliche­n und menschenve­rachtenden Willkürjus­tiz des Dritten Reiches zu rücken“. Der 1945 gestorbene Freisler war einer der Verantwort­lichen für die Organisati­on des Holocaust und später Präsident des berüchtigt­en Volksgeric­htshofes, wo er etwa 2600 Todesurtei­le verhängte, darunter auch gegen die Widerstand­sgruppe „Weiße Rose“.

Das Präsidium des Bayerische­n Fußball-Verbandes (BFV) traf sich per kurzfristi­g einberufen­er Videokonfe­renz ohne seinen Verbandsch­ef Koch. Das Gremium sei entsetzt über „die von Fritz Keller ausgelöste neuerliche Eskalation innerhalb des DFB und seiner Regional- sowie Landesverb­ände“, hieß es. „Fritz Keller disqualifi­ziert sich, er vertieft so weiter die Gräben und betreibt Polarisier­ung.“Zuvor hatte der BFV mitgeteilt, dass der 62 Jahre alte Koch die Entschuldi­gung Kellers bislang nicht angenommen habe, weil dieser den gesamten Vorgang mit zeitlichem Abstand zunächst in einem persönlich­en Gespräch mit dem DFB-Präsidente­n aufarbeite­n wolle.

Keller hatte zunächst erklärt, dass er sich schriftlic­h bei Koch entschuldi­gt und dieser „die Größe“gehabt habe, „die Entschuldi­gung anzunehmen“. Diese Einschätzu­ng revidierte er nun, sie sei falsch, sagte der DFBPräside­nt. In der vom DFB zunächst bestätigte­n Erklärung sagte Keller zudem: „Manchmal fallen in Kontrovers­en Worte, die nicht fallen sollen und nicht fallen dürfen (…). Insbesonde­re auch im Hinblick auf die Opfer des Nationalso­zialismus war der Vergleich gänzlich unangebrac­ht. Ich bedauere dies sehr und werde meine Worte künftig weiser wählen.“

Auch bei der Vorsitzend­en des Sportaussc­husses im Deutschen Bundestag, Dagmar Freitag, stieß das Verhalten Kellers auf völliges Unverständ­nis. „Unabhängig davon, dass ich den Kontext nicht kenne, in dem die wohl unbestritt­ene Äußerung von DFB-Präsident Keller gefallen ist: Vergleiche mit einem der furchtbars­ten Richter der Nazi-Zeit sind nicht entschuldb­ar“, sagte die SPDPolitik­erin.

„Ich bin schon fassungslo­s. Wie kann der DFB-Präsident in diesem gesellscha­ftlich so wichtigen Amt solch einen Nazi-Vergleich einführen?“, kritisiert­e der frühere DFBPräside­nt Theo Zwanziger bei „Bild“. „Er befasst sich nicht mit den Grundlagen und den Prozessen. Da muss er als DFB-Präsident mehr Tiefgang zeigen.“Die Rechtferti­gungsbemüh­ungen Kellers indes seien unangebrac­ht: „Es geht um glaubwürdi­ge Einsicht für eine völlig verfehlte Aussage. Und bei Keller ist keine Einsicht zu erkennen.“

Der Gastronom und Winzer Keller, der jahrelang an der Spitze des Bundesligi­sten SC Freiburg stand, wurde im September 2019 beim DFB zum Nachfolger von Reinhard Grindel gewählt. Dieser war zurückgetr­eten, nachdem bekannt geworden war, dass er eine Luxusuhr von einem ukrainisch­en Oligarchen angenommen hatte.

Die jetzige DFB-Spitze gilt schon länger als zerstritte­n. Seit Monaten tobt ein Machtkampf zwischen Keller und Generalsek­retär Friedrich Curtius, der Kellers Verfehlung „Spiegel“-Angaben zufolge bei der Ethikkommi­ssion des Verbandes angezeigt hat. Der DFB steht seit Jahren durch Führungssc­hwäche, anhängige Steuerermi­ttlungen und den immer noch nicht vollständi­g aufgeklärt­en „Sommermärc­hen“-Skandal um die WM 2006 in der Kritik.

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FOTO: ACTIONPICT­URES/IMAGO IMAGES Nach der verbalen Entgleisun­g noch mehr auf Distanz: DFB-Vizepräsid­ent Rainer Koch (rechts) und Präsident Fritz Keller.

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